
Vor zehn Jahren wurde die Reform des Heilmittelgesetzes eingeleitet. Ein Ziel dieser verästelten Gesetzesnovelle ist es, dass unproblematische Medikamente künftig auch ohne den Rat des Apothekers oder Drogisten verkauft werden dürfen. Hinter den Kulissen wird zurzeit hart darum gerungen, welche Salben und Pillen bei Migros, Coop oder Aldi ins Regal dürfen. Wer sich hin und wieder in einem deutschen Drogeriemarkt umschaut, staunt, was dort alles beratungsfrei erhältlich ist – und zu welchen Preisen.
Die Apotheken und Drogerien wollen verständlicherweise möglichst wenig vom Sortiment abgeben, welches zurzeit noch ihnen vorbehalten ist. Die Detailhändler – allen voran die Migros – möchten hingegen nicht länger nur niedrig konzentrierte Vitaminbrausetabletten und Eukalyptusbäder anbieten, sondern auch Rheumasalben, Rachensprays gegen Halsschmerzen, Tabletten gegen Sodbrennen und hoch dosierte Aufbaupräparate. Wird die Wunschliste der Migros von der Heilmittelbehörde Swissmedic erfüllt, können kränkelnde Kunden beim Alltagseinkauf auch noch gleich die heilende Medizin in den Einkaufswagen legen.
Auch Pflanzliches hat Nebenwirkungen
Eine Liberalisierung beim Verkauf von komplikationsfreien Heilmitteln ist überfällig. Auf der Liste der Produkte, die heute nur in Apotheken und Drogerien verkauft werden dürfen, gibt es manche, die problemlos im Supermarkt angeboten werden können. Warum Perskindol-Gels, Arnikasalben, Lutschtabletten gegen Halsweh oder homöopathische Tropfen nicht vom Detailhändler verkauft werden dürfen, ist schwer einzusehen. Doch nicht alles auf der Wunschliste der Migros ist harmlos, wenn es überdosiert eingenommen wird. Schmerzmittel gehören nicht in Selbstbedienungsläden, auch nicht Weidenrinde-Tabletten. Diese führt die Migros in ihrem Forderungskatalog ebenso auf wie Johanniskraut-Dragees gegen Stimmungsschwankungen und Depressionen. Beides tönt nach harmloser Naturheilkunde, kann aber Nebenwirkungen haben.
Ein Spitalapotheker, der die Sache ziemlich frei von Branchenprotektionismus beurteilen kann, warnt vor beiden Heilmitteln, besonders vor den Nebenwirkungen des Johanniskrauts – auch in niedrigen Dosen. Die Migros beteuert zwar, es seien aus dem freien Verkauf in Deutschland keine Probleme bekannt. Tatsache ist, dass von Johanniskraut schwer abgeraten wird, wenn jemand Immunsuppressiva einnimmt, was nach einer Organtransplantation nötig ist. Auch Salben gegen Neurodermitis mit niedrig dosiertem Cortison gehören nicht in den Supermarkt, weil bei dauerndem Gebrauch die Haut leiden kann.
Minimale Hürden sind nötig
Swissmedic hat nun die Aufgabe, jene Vitaminpräparate, Salben und Pastillen zum freien Verkauf zuzulassen, bei denen es keinen vernünftigen Grund für die Beratungspflicht gibt. Tritt hier ein Grossanbieter wie die Migros auf den Plan, werden die Preise sinken. Gleichzeitig hat Swissmedic dem populären Argument zu widerstehen, jeder müsse doch selbst wissen, womit er sich kuriere. In den USA sind sogar Schmerzmittel wie Aspirin, Ibuprofen und Paracetamol im Supermarkt erhältlich, obwohl sie bei übermässigem Konsum schwere Nebenwirkungen haben. Bei Aspirin sind es innere Blutungen, bei Paracetamol und Ibuprofen Nierenschäden. Diese müssen in der Schweiz auf Kosten der sozialen Krankenversicherung behandelt werden. Für Ultraliberale sollte dies ein Argument zur Schadensverhinderung sein. Zwar erhält man die Schmerzmittel auch in der Schweiz rezeptfrei, kann von einer Apotheke zur nächsten ziehen und sie in rauen Mengen einwerfen. «Sie wissen, wie einnehmen?» Den Dauerkonsumenten mag diese Frage in der Apotheke nerven. Aber der erzwungene Gang zum Fachgeschäft signalisiert immerhin, dass es sich nicht nur um Traubenzucker handelt. Bei allem jedoch, wo der Volksmund sagt, «nützts nüüt, so schads nüüt», braucht es keine Zwangsberatung.
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Lutschtabletten ja, Aspirin eher nein
Nicht für jede Arznei braucht es einen Apotheker oder Drogisten. Aber Schmerztabletten und Beruhigungsmittel gehören nicht in den Supermarkt.