Macht stinkt nicht
Italien hat neue Parlamentspräsidenten – dank eines Deals, der vor kurzem noch Science-Fiction gewesen wäre.

Auch die Träumer sind in der Welt der Realpolitik angekommen – viel schneller als erwartet. In Italien haben sich am Wochenende die beiden Sieger der jüngsten Parlamentswahlen, die Protestpartei Cinque Stelle und das rechtsbürgerliche Bündnis, die Vorsitze der beiden Parlamentskammern untereinander aufgeteilt. Das ist weiter nicht erstaunlich: Wer über die meisten Sitze verfügt, soll auch die Präsidenten stellen dürfen. Verwunderlich aber ist, dass die Vergabe ganz nach den alten Regeln und Gepflogenheiten vonstatten ging. Mit Tricks und Intrigen nämlich, wie man sie aus der Ersten Republik kannte, der politisch bewegten Zeit zwischen 1948 und 1994. Es gab also wieder vorgespielte Treuebrüche, nächtliche Dramen, geheime Gipfel und vorgeschobene Namen, die nur der Maskerade dienten.
Die Fünf Sterne nahmen an diesen Spielereien teil, als hätten sie in den vergangenen Jahren die «politische Kaste» nicht immer genau dafür vermaledeit. Mehr noch: Sie stellten sich wie Meister an. Die alte Politkultur normalisiert am Ende auch die, die in der Demontage des Systems ihre Bestimmung beziehen – und ihren Erfolg. Luigi Di Maio, ihr «capo politico», will an die Macht, und ohne Kompromisse geht das offenbar nicht. Für die Parlamentsvorsitze verhandelte Di Maio mit Matteo Salvini, dem Chef der rechtspopulistischen Lega. Salvini wiederum stand der Sinn in dieser Partie danach, seinen geschwächten Bündnispartner Silvio Berlusconi von Forza Italia zu demütigen, ohne jedoch ganz mit ihm zu brechen.
Coup gelungen
Heraus kam eine Absprache, die man noch vor einigen Wochen für politische Science-Fiction gehalten hätte. Die Rechte wählte den linksten und unliebsamsten Vertreter, den die Cinque Stelle vorschlagen konnten, zum Präsidenten der Abgeordnetenkammer: Roberto Fico (43), Kommunikationswissenschaftler aus Neapel. Im Gegenzug halfen die Sterne mit, eine sogenannte Super-Berlusconianerin an die Spitze des Senats zu befördern: Elisabetta Alberti Casellati (71), Scheidungsanwältin aus dem norditalienischen Padua. Sie ist die erste Frau in der Geschichte der Republik, die dieses Amt innehat.

Auf den ersten Blick sieht es so aus, als habe Berlusconi gewonnen. Immerhin sitzt Casellati seit Berlusconis Wechsel in die Politik 1994 für Forza Italia im Parlament. Sie hat alle seine Kampagnen gegen die Justiz mitgemacht, verteidigte ihn wortreich in allen Talkshows und arbeitete mit an Gesetzen, die ihm auf den Leib geschneidert waren. Doch der Eindruck trügt: Berlusconi hatte auf einen anderen treuen Senator gesetzt, auf Paolo Romani. Den aber verhinderte das Duo Salvini und Di Maio nur, um Berlusconi zu zeigen, dass er nicht mehr Patron der Rechten sei, dass diese Zeiten endgültig vorbei seien. Vielleicht unterschätzen sie den alten Mann. Doch der erste Coup ist ihnen gelungen.
Nach der Wahl Casellatis versuchten viele Parlamentarier der Cinque Stelle, den Fernsehteams auszuweichen. Die, die dennoch redeten, sagten, sie hätten sich die Nase zugehalten beim Stimmen. «Votare turandosi il naso» – auch das ist ein Ausdruck aus der Ersten Republik: Manchmal wählte man schon damals das kleinere Übel – vordringlich Christdemokraten mit zweifelhafter Moral. Casellati geriet einst in die Schlagzeilen, weil sie als Staatssekretärin im Gesundheitsministerium ihre Tochter angestellt hatte. Reines Kastengebaren. Der enttäuschte Teil der Parteibasis macht sich jetzt in den sozialen Netzwerken Luft.
Beppe Grillo, der Komiker und Gründer der Cinque Stelle, twitterte nach der Wahl: «Habemus Fico!» Als wär der Papst geworden.
Der andere Teil tröstet sich mit der Wahl von Fico, dem Anführer des «orthodoxen», romantischen Flügels der Partei. Der steht unter anderem für direkte Demokratie und flache Hierarchien. Zu Ficos unverhandelbaren Prinzipien hatte bisher auch die Losung gehört: keine Allianzen mit den etablierten Parteien! Und: «Ich garantiere, dass wir uns nie mit der Lega verbünden werden: Die ist genetisch verschieden.» Politisch passt das ja auch nicht zusammen.
Beppe Grillo, der Komiker und Gründer der Cinque Stelle, twitterte nach der Wahl: «Habemus Fico!» Als wär der Papst geworden. Dass er nur dank der Stimmen der Lega und Berlusconis zu seinem Amt kam, mochte er nicht kommentieren. Erst vor einigen Tagen hatte Grillo Berlusconi noch einen «Psychozwerg» genannt. Es ist eben alles im Fluss, und die Cinque Stelle haben nun also ihren ersten Palazzo erobert: Palazzo Montecitorio, Sitz der grossen Parlamentskammer. Wie das Rennen um den Palazzo Chigi ausgeht, den Sitz der Regierung, ist dagegen noch offen. Lega und Cinque Stelle beteuern, ihre Absprache bei der Besetzung der Parlamentspräsidenten bedeute gar nichts. Jetzt sei wieder alles offen. Nach Ostern beginnen im Quirinalspalast, dem Sitz des Staatspräsidenten, die Konsultationen für die Regierungsbildung – ohne Gewähr auf Erfolg.
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