«Man muss als Camper schon etwas tolerant sein»
Camping liegt im Trend – auch dank Glamping, das neue Gäste bringt. Ein Besuch auf dem TCS-Campingplatz von Lugano-Muzzano, wo Rita Trivella für Ordnung sorgt.

Vor- und Nachteile von Ferien auf dem Campingplatz? Rita Trivella muss nicht überlegen: «Es gibt nur Vorteile», sagt die langjährige Verwalterin des TCS-Camping Lugano-Muzzano. Man sei draussen in der Natur, und man sei frei, nicht wie im Hotel an feste Essenszeiten gebunden. «Auf dem Campingplatz hat man seinen Frieden», bringt es die 59-jährige Bündnerin auf den Punkt. Das sehen offenbar viele so, Campieren liegt voll im Trend: Mit 3,2 Millionen Logiernächten haben die über 400 Schweizer Campingplätze 2017 einen Rekord aufgestellt. Und dies, obwohl die Schweizer Plätze zu den teuersten in Europa gehören. Die einheimischen Gäste machen mit 2,1 Millionen Übernachtungen den grössten Anteil aus – es folgen die Deutschen, Holländer und Franzosen.
Die mit Abstand beliebteste Campinggegend ist das Tessin (vor dem Wallis und der Region Waadtland/Genfersee). Seit 22 Jahren hält Rita Trivella den idyllischen Platz direkt am Lago di Lugano in Schuss. Ursprünglich zusammen mit ihrem Mann. Dass Paare gemeinsam einen Campingplatz verwalten, kommt häufig vor; meist erledigt die Frau die administrativen Arbeiten, während der Mann, der Handwerker, draussen zum Rechten schaut. So war es auch beim Ehepaar Trivella.
Seit dem Tod ihres Mannes vor sechs Jahren ist sie alleine für alles verantwortlich. Vieles habe sie lernen müssen, zum Glück aber habe sie auf die Unterstützung ihres eingespielten Teams zählen können. Jetzt, in der Hochsaison, arbeiten 14 Leute auf dem mit 250 Parzellen mittelgrossen Campingplatz. Er ist mit vier Sternen bewertet, «Komfort-Camping» heisst das in der Fachsprache.
Nicht zu beneiden ist Mitarbeiter Iwan, er steckt gerade im plüschigen Kostüm von Touri, dem TCS-Maskottchen. Das dicke Murmeli lässt die Chefin noch zarter wirken. Doch Rita Trivella hat den Platz fest im Griff. Denn Regeln sind da, um eingehalten zu werden: Ab 23 Uhr soll Ruhe herrschen, ab dann ist nur noch Gemurmel zu hören. Und während der Mittagsruhe zwischen 12 und 14 Uhr dürfen der Sport- und der Tennisplatz nicht benützt werden.
Die Platzchefin ist Mama, Managerin und Aufseherin
Und natürlich muss ums Zelt eine gewisse Ordnung sein, damit der Campingplatz eine Gattung macht. Wobei der Campinggast generell ordentlich ist, alles wirkt tipptopp aufgeräumt, alles hat seinen fixen Platz. Chaos ums Zelt findet man höchstens bei Teenagern: «Jungs», sagt die Platzchefin dann, «jetzt wird aufgeräumt.» Aber mehr als einmal beschwichtigt sie: «Ich will nicht die Böse sein. Wir waren schliesslich auch einmal jung.» Wenns zu Gehässigkeiten komme, dann meist wegen der Hunde. Diese sind zwar erlaubt, aber nicht an Strand und Pool. Auf dem Gelände, so das Reglement, sollen sie an der Leine sein – «das klappt nicht immer».
Anfang August sind alle Parzellen besetzt. Die meisten Gäste bleiben auf dem Areal, sie baden, trinken ein Bierchen am Schatten und werden mit allerlei Turnieren und Wettbewerben bespasst. Eingekauft wird im eigenen Laden, und ein Ristorante mit ausgezeichneten Pizzen ist auch vorhanden. Wieder düst ein Flugzeug vom nahen Flughafen Agno über den Campingplatz – Rita Trivella nimmt das nach all den Jahren nicht mehr wahr.

Ihr Stellenprofil beschreibt die Verwalterin wie folgt: «Für die Stammgäste bin ich die Mama, im Büro die Managerin, draussen die Aufseherin.» Flexibel müsse man sein, von einer Aufgabe zur nächsten springen, das gelte auch für die Sprache: Mühelos wechselt sie von Deutsch auf Italienisch, Französisch oder Englisch – Romanisch spricht die Bündnerin natürlich auch. «Grüezi» ist der Gruss auf dem Camping im Ticino. Die Feriengäste kommen vor allem aus der Deutschschweiz, es folgen die Welschen und die Deutschen.
Mit dem einen oder anderen Gast sei sie nach all den Jahren schon per Du. Aber abends zusammenhocken, einen Jass klopfen, ein Gläschen Merlot trinken, das kommt nicht vor. Weil sie nicht jassen könne, vor allem aber, weil sie als Gastgeberin grössten Wert darauf legt, niemanden zu bevorzugen. Sie weiss aus Erfahrung: Eifersüchteleien entstehen rasch an einem Örtchen, wo jeder jeden beobachtet. Und man alles mitbekommt. Die Wände sind dünn. Ob lustvolles Stöhnen oder lusttötendes Schnarchen – man hört alles. «Das gehört dazu, man muss schon tolerant sein.» Und wo macht jemand, der das ganze Jahr auf dem Zeltplatz ist, selbst Ferien: «Ich erhole mich am besten in meinem Rebberg, zusammen mit meinem Bergamasker-Mischling Clera.»
TV und Klimaanlage sind Standard
Vieles hat sich verändert, seit Rita Trivella vor über 30 Jahren erstmals auf einem Campingplatz arbeitete. Heute müsse der Campinggast nicht einmal mehr wetterfest sein. Zelte sind die Ausnahme, die meisten rollen mit Wohnwagen oder im Motorhome an. Fahrende, bestens ausgestattete Wohnungen, die immer grösser, immer komfortabler würden. Zu ihren Anfangszeiten hatte niemand einen Fernseher, wozu auch? «Schau dir das an», habe ihr Chef damals gesagt, als der erste Wohnwagen mit TV ankam, «die spinnen.» Heute hätten alle einen TV, Klimaanlage und Kühlschrank sowieso. Selbst die Teenager im Zweierzelt können sich einen Kühlschrank mieten. Das einfache Leben in der Natur scheint nicht mehr zu ziehen.
Glamping ist heute gefragt. Glamping, eine Kombination aus «Glamorous» und «Camping», bezeichnet eine luxuriöse Art des Campierens. Anders als gewohnt, muss man sich nicht selbst um sein Zelt oder Wohnmobil kümmern, sondern übernachtet in einer komplett ausgestatteten Unterkunft auf einem Campingplatz. Hier hat man die Wahl zwischen einem Nostalgiewagen, Safarizelt, Pods in verschiedenen Grössen (einem Iglu ähnelnde Holzhütten) oder einem Mobilhome. Bis sechs Personen können in diesem Haus mit Dusche, WC und eigener Terrasse wohnen, 285 Franken kostet die Übernachtung in der Hochsaison. Nichts muss man mitnehmen: Bettwäsche, Badetücher, Geschirr, Kaffeemaschine samt Kapseln, Kühlschrank samt Eistee – alles da.
Grillmeister ist der Mann
«Damit erreichen wir eine neue Zielgruppe», sagt Oliver Grützner, Leiter Tourismus und Freizeit beim TCS, dem mit 23 Plätzen grössten Campinganbieter der Schweiz. Bereits machen die Glampinggäste 10 Prozent der Kunden aus –Tendenz steigend. Familien und Paare, eher jüngere Leute, würden sich mit der Camping-light-Variante ans echte Campieren herantasten, sagt Rita Trivella. Menschen, die gern draussen sind, nicht aber auf den Luxus vom eigenen WC verzichten wollen. Wobei es dem Hardcore-Camper natürlich nichts ausmacht, mitten in der Nacht die Toiletten aufzusuchen. Körperpflege inmitten fremder Menschen macht ihm gar nichts aus. Rita Trivella sagt: «Unsere sanitären Anlagen sind topmodern.» Nicht zu vergleichen mit dem Waschtrog von anno dazumal. Heute muss man nicht mehr vor den wenigen Duschen anstehen, heute stehen gar Familienkabinen bereit.
Natürlich kann sich die Platzchefin auch noch gut an die Schlange erinnern, die sich jeden Abend vor der Telefonkabine gebildet hatte – «jetzt hat jedes Kind sein eigenes Telefon». Und die Kinder würden heutzutage weniger gehorchen als früher, muss sie immer wieder feststellen. «Früher war ein Nein ein Nein. Heute folgt immer noch ein ‹Warum nicht?›.» Aber eben: «Warum soll es auf dem Camping anders sein als im normalen Leben?»
Was auffällt: Jeder hier hat einen Grill. Mit dem Grill, so macht es den Anschein, kann man Eindruck schinden. Am Grill steht in der Regel der Mann, das hat sich in all den Jahren nicht verändert. Ferien auf dem Campingplatz sind auch Ferien für die Frau, die sich von den Haushaltspflichten erholen soll. Und übrigens: «Der echte Campierer wäscht danach auch das Geschirr ab.»
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