Palästina-Flaggen bei der WMMarokkos Erfolg schweisst die Araber zusammen
Kaum eine Flagge ist in Katar so präsent wie diejenige Palästinas. Die panarabische Solidarität hat die bislang oft verhasste Golfmonarchie auch für Nordafrikaner zum Sympathieträger gemacht.

Neben den letzten acht für den Viertelfinal qualifizierten Teams ist bei der WM in Katar noch ein Land dabei, das zwar auf keinem Spielplan erscheint. In den Stadien, auf den Fanmeilen, überall sind Armbänder, Flaggen und Accessoires in palästinensischen Farben zu sehen.
Nach ihrem Überraschungssieg gegen Spanien am letzten Dienstag kam das marokkanische Team wie üblich zu einem Gruppenfoto mit Landesfahne zusammen. Doch es war nicht das marokkanische Tiefrot, sondern die in Weiss, Grün, Rot und Schwarz gehaltene palästinensischen Flagge, die die jubelnden Spieler in die Kameras der Fotografen hielten. Auf den Rängen sangen viele Fans «Mit Feuer und Blut werden wir Palästina befreien».
Wegen ihres selbstlosen Eintretens für die palästinensische Sache werden die am Samstagnachmittag gegen Portugal antretenden Marokkaner in der arabischen Welt von einer Woge der Begeisterung getragen. «Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich eine panarabische Solidarität erlebe», sagt Sohail Nakhooda, ein libyscher Aktivist und Fussballfan. «Die palästinensische Sache schweisst uns alle zusammen, egal, was die Regierenden davon halten.»
Botschaft an arabische Regierungen
Palästina ist Fifa-Mitglied, aber nur von 139 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen anerkannt. Die sonst so strengen katarischen Sicherheitskräfte lassen die Show mit Palästina-Flaggen durchgehen, die Regenbogenfahne aber bleibt unerwünscht. Für die palästinensische Sache zu sein, gilt als chic und wird von den katarischen Veranstaltern ganz offen gefördert. Die panarabische Solidarität hat das Emirat auch für Nordafrikaner zum Sympathieträger gemacht.
«Ich würde das Verhältnis zwischen dem Maghreb und den Golfstaaten ansonsten bestenfalls als nüchtern bezeichnen», meint Asma Moussa, eine junge Ingenieurin aus Tunis, die seit dem Sommer in Katar arbeitet. «Wir werden hier mit unserem französisch geprägten Arabisch und als Gastarbeiterinnen nicht als vollwertige Araber gesehen. Aber das ist während der WM für einen Moment vergessen. Und auch ich bin Katar wirklich dankbar dafür, die arabische Welt unter der palästinensischen Fahne vereinigt zu haben.»
In sozialen Medien wird die Präsenz der Flaggen durchaus als politische Botschaft an arabische Regierungen gewertet, Israel nicht anzuerkennen und sich wieder mehr der palästinensischen Sache zu verschreiben. Vier arabische Länder hatten zuletzt mit ihrer Anerkennung Israels ein seit den 60er-Jahren geltendes Tabu gebrochen. Auch Marokkos König Mohammed VI. hat sich zur Normalisierung der Beziehungen mit Israel entschlossen – gegen den Widerstand der Mehrheit der Marokkaner.
Der Handel zwischen den Maghreb-Staaten ist wegen Zollabkommen und mangelnder Infrastruktur auf ein Mindestmass gesunken, nur die Schmuggelwirtschaft blüht.
«Unsere Regierungen repräsentieren nicht den Willen der Bevölkerung», beschreibt Asma Moussa die Normalisierung des israelisch-arabischen Verhältnisses. Doch noch komplizierter sind die Probleme zwischen den arabischen Ländern selbst. Der Handel zwischen den Maghreb-Staaten ist wegen Zollabkommen und mangelnder Infrastruktur auf ein Mindestmass gesunken, nur die Schmuggelwirtschaft blüht.

Katar hatte in Tunesien und Libyen nach dem Arabischen Frühling Islamisten mit Geld und Waffen unterstützt und gilt in säkulären Kreisen Nordafrikas immer noch als Terrorpate. Die Grenzen zwischen Algerien und Marokko sind wegen Meinungsverschiedenheiten über die von Rabat annektierte Westsahara vollständig geschlossen. Das Wüstengebiet ist ähnlich wie Palästina kein von allen Mitgliedsländern der Vereinten Nationen anerkannter Staat. Algier unterstützt ein Unabhängigkeitsreferendum. Die Regierung in Rabat will das rohstoffreiche Gebiet mit allen Mitteln unter eigener Kontrolle halten.
Gemeinsam feiern
«Wer über die illegale Besatzung Palästinas spricht, sollte auch die Rechte der Westsahara nicht vergessen», sagt der Palästinenser Nino Kader. Sein Vater war als Diplomat der UNO-Friedensmission in der Westsahara, dessen Flagge mit der palästinensischen fast identisch ist. Die Solidaritätsbekundung mit den Palästinensern bei der Fussball-Weltmeisterschaft in Katar haben eine Debatte über die seit Jahren ungelösten Probleme zwischen den arabischen Ländern ausgelöst. «Das ist die eigentliche Errungenschaft», sagt Asma Moussa, «denn unsere Medien und Regierungen lassen einen offenen Meinungsaustausch auch zehn Jahre nach dem Arabischen Frühling kaum zu.» Niemand, so die Tunesierin, spreche darüber, dass Flüchtlinge aus Palästina auch in dritter Generation im Libanon oder in Jordanien Bürger zweiter Klasse seien.
Während des Spiels des marokkanischen Teams am Samstag wird Politik wieder für einen Moment keine Rolle spielen. Wie am letzten Mittwoch werden algerische und marokkanischen Fans über die geschlossene Grenze hinweg gemeinsam feiern.
Fehler gefunden?Jetzt melden.