Material älter als die Erde – entdeckt an der ETH
Ein einzigartiges Zürcher Messgerät hat 7 Milliarden Jahre alten Sternenstaub nachgewiesen – er zeugt von einem «Babyboom».

Ein 1969 in Australien gefundener Meteorit hat sich als wahre Goldgrube für Sternenforscher entpuppt. Wissenschaftler vom Field Museum und von der Universität Chicago haben in dem Himmelsgestein Staubkörner gefunden, die viel älter als unser Sonnensystem sind. Analysiert wurden diese Sternenpartikel an der ETH Zürich, mithilfe von Professoren des Departements Erdwissenschaften. Dieses verfügt über ein selbst gebautes, weltweit einzigartiges Massenspektrometer, mit dem solche winzigen Proben untersucht werden können.
Das «Tom Dooley» genannte Gerät ist rund 20 Jahre alt und war dem US-Forscher Philipp Heck deshalb bereits aus seiner Doktoratszeit an der ETH Zürich bekannt, die er von 2002 bis 2005 unter Professor Rainer Wieler absolvierte. Heck hat seine Erkenntnisse nun als Erstautor zusammen mit Wieler, dessen ETH-Kollegen Henner Busemann und Colin Maden sowie weiteren Forschern im Wissenschaftsmagazin PNAS («Proceedings of the National Academy of Sciences») veröffentlicht.

«Babyboom» vor 7 Milliarden Jahren
Die Analyse an der ETH zeigte demnach, dass der im Murchison-Meteorit gefundene Sternenstaub grösstenteils 4,6 bis 4,9 Milliarden Jahre alt ist. Einige Körner sind sogar bis zu 7 Milliarden Jahre alt. Sie stammen von Sternen, die nach ihrem Tod ihr Material wieder in den interstellaren Raum abgegeben haben. Berechnet werden konnte das Alter dieses Sternenstaubs aufgrund von Edelgasen, die durch kosmische Strahlung gebildet wurden. Je älter der Sternenstaub, desto länger waren die Körner dieser Strahlung ausgesetzt sind und desto mehr Elemente häufen sich an.
Der an der ETH untersuchte Sternenstaub ist somit präsolar, also älter als unsere Sonne (ca. 4,6 Milliarden Jahre) – und auch als die Erde (ca. 4,5 Milliarden Jahre). Und er deutet auf einen Sternen-«Boom» in der Milchstrasse vor knapp 7 Milliarden Jahren hin. Dann sollen gemäss Philipp Heck überdurchschnittlich viele neue Sterne entstanden sein, die etwa 2 Milliarden Jahre später ihr Lebensende erreichten. Sterne mit einer solchen Lebensdauer haben gemäss den Wissenschaftlern rund doppelt so viel Masse wie unsere Sonne und produzieren bei ihrem Tod besonders viel Staub.

Heck folgert nach seiner Analyse an der ETH Zürich, dass neue Sterne nicht mit einer konstanten Rate entstehen, sondern dass es Schwankungen gibt. Die Körner aus dem Murchison-Meteoriten seien ein direkter Beweis für diesen «Babyboom» der Sterne vor 7 Milliarden Jahren.
«Ich finde das extrem spannend», sagt Philipp Heck, ein ausserordentlicher Kurator am Field Museum in Chicago, der die Forschung leitete. «Obwohl ich fast 20 Jahre lang an dem Murchison-Meteoriten und den präsolaren Körnern gearbeitet habe, bin ich immer noch fasziniert, dass wir die Geschichte unserer Galaxie mit einem Gestein studieren können.»
Wenige Tausendstelmillimeter gross
Die untersuchten Körner sind zwischen 2 und 30 Mikrometer gross, wobei ein Mikrometer einem Tausendstelmillimeter entspricht. Die Forscher isolierten die winzigen Körner im Meteoriten, indem sie Fragmente des Gesteins zerkleinerten und die Bestandteile in einer Paste absonderten, die sie als nach verfaulter Erdnussbutter riechend beschrieben.
Im Murchison-Meteoriten hatten Wissenschaftler zuvor ein präsolares Korn gefunden, das etwa 5,5 Milliarden Jahre alt war, das bisher älteste bekannte feste Material der Erde. Die ältesten bekannten Mineralien, die sich auf der Erde gebildet haben, finden sich in Gestein aus den australischen Jack Hills, das sich vor 4,4 Milliarden Jahren, 100 Millionen Jahre nach der Entstehung des Planeten, gebildet hat.
Das einzigartige Zürcher Messgerät
Schon 2018 trug «Tom Dooley» zu neuen Erkenntnissen bei, als Geophysikerin Levke Kööp von der Universität Chicago ebenfalls Material aus dem Murchison-Meteroiten untersuchte. Damals konnte eine erhöhte Aktivität unserer Sonne vor 4,5 Milliarden Jahre nachgewiesen werden.
Die Forscher reisen immer wieder nach Zürich, weil es bisher niemandem sonst gelungen ist, ein ähnlich präzises Gerät zu entwickeln, wie die ETH auf ihrer Seite schreibt. «Unsere Kollegen aus Chicago sind regelmässig Gäste bei uns, da wir viele Projekte zusammen bearbeiten», sagt Henner Busemann vom Institut für Geochemie und Petrologie an der ETH Zürich.

Die Forscher kämen jeweils für ein bis zwei Wochen und gerne zu Weihnachten, weil die meisten Wurzeln in Europa haben. «Wir helfen bei den Messungen, laden, starten, beenden und instruieren, um möglichst effektiv Daten zu produzieren», erklärt Busemann. Die Maschine sei sehr empfindlich, weshalb man oft mehrere Monate «downtime» habe. «Wir messen deshalb möglichst viel, auch für verschiedene Projekte gleichzeitig.»
Von der ETH selbst gebaut
Die Schweiz und die USA tragen beide ihren Teil für die Forschung bei, wie Busemann erläutert: «Chicago ist führend in der Extraktion und Charakterisierung kleinster Teilchen. Wir haben für diese Projekte die besten Instrumente.» Diese wurden an der ETH genau für solche Messungen entwickelt und selbst gebaut, «durch Heinrich Baur, einen wirklichen Mastermind auf dem Gebiet», sagt Busemann. «Es ist daher oft so, dass Ehemalige, oft Doktoranden, die woanders ihre Karrieren fortsetzen, aber wissenschaftlich in ähnlichen Gebieten geblieben sind, für ihre Forschung auf unser Labor angewiesen sind und gern zurückkehren.»

Im aktuellen Fall waren drei Personen der ETH Zürich an der Sternenstaub-Forschung beteiligt. Rainer Wieler war zur Zeit der Ausarbeitung des Manuskripts für ein Forschungsprojekt in Chicago und konnte daher massgeblich am Manuskript mithelfen. Labor-Leiter Busemann und Colin Maden waren in Zürich bei den Vorbereitungen, den Messungen, der Problemanalyse und der Kommentierung verschiedener Manuskript-Entwürfe involviert.
«Man kann es vielleicht so zusammenfassen: Ohne die Proben und die Forschenden aus Chicago, die Instrumente aus Zürich und die gute Zusammenarbeit zwischen uns allen hätte das Projekt nicht durchgeführt werden können», sagt Busemann.
Anlehnung an bekanntes Lied
Von «Tom Dooley» profitierten nicht nur die Kosmo-Chemiker, schreibt die ETH. Auch die Eidgenössische Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz (Eawag) führe regelmässig Messungen mit dem Gerät durch, um das Alter von Grund- und Seewasser zu bestimmen und so beispielsweise Mischungsprozesse zu studieren.
Der Name des Geräts ist eine Anlehnung an den aus einem Lied bekannten Tom Dooley, der im 19. Jahrhundert als vermeintlicher Mörder gehängt wurde. In seiner Anfangszeit hing auch der Massenspektrometer aus technischen Gründen an der Decke – und erhielt so den Beinamen.
(Mit Material der Nachrichtenagentur Reuters)
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