Mathe schon in der Krippe?
Kita-Leiterin Constanze Graube sagt, wann und wie Förderung von Kleinkindern sinnvoll ist. Und unsere Online-Umfrage zeigt, was die Eltern dazu denken.
Hier finden Sie alle Resultate unserer Umfrage.
Je mehr Kinder zwischen drei Monaten und fünf Jahren öffentliche oder private Krippen besuchen, desto stärker stellt sich die Frage nach deren bestmöglicher Förderung. Einerseits sollen Kinder aus sozial schwachen Familien frühzeitig und gezielt unterstützt werden, damit sie bei Schulbeginn auf demselben Niveau sind wie ihre Kameraden. Andererseits sollen begabte Kinder beste Startchancen erhalten und eventuell eine private Kita besuchen, die explizit auf Frühförderung setzt.
Wir haben eine Pädagogin, die eine Kita (Kindertagesstätte) der Stadt Zürich leitet, zu diesem Thema befragt und unter Eltern eine Umfrage durchgeführt. Die meisten geben an, zufrieden mit dem Angebot der Krippen zu sein. 84 Prozent der Teilnehmer finden, ihre Kita biete genügend Lernanreize. Die Eltern wünschen sich für ihre Kinder vor allem einen geborgenen und sicheren Platz, an dem die Kleinen spielen, erste Erfahrungen machen und mit anderen Kindern zusammen sein können. Denn Sozialkompetenz halten Eltern für das Wichtigste: 86 Prozent möchten, dass die Krippen vor allem darauf Wert legen.
Kitas fördern Kinder bereits im Babyalter. Weshalb?
Bei den städtischen Kitas fokussieren wir auf frühe Förderung, nicht auf Frühförderung, das hat eine andere Bedeutung. Bei der frühen Förderung geht es darum, im Alltag vielfältige, anregende Lernfelder zur Verfügung zu stellen. Denn Kinder verfügen von Geburt an über Möglichkeiten, ihre Entwicklung selbst zu steuern. Sie sind von sich aus bestrebt, sich an allem zu beteiligen, was die Umwelt bietet. Unsere Grundhaltung ist die, dass das Kind von selbst lernen will.
Wo liegt der Unterschied zur Frühförderung?
Frühförderung umfasst eher spezifische Bereiche, wie etwa das frühe Erlernen einer Fremdsprache. Uns geht es aber nicht darum, Kinder zu Genies zu machen, sondern ihnen Entwicklungsbedingungen zu bieten, die sie fit für ihre Schullaufbahn machen. Auch jene, die gegenüber ihren Altersgenossen benachteiligt sind, weil sie im familiären Umfeld weniger Anregungen erhalten.
Förderung im Kleinkindalter ist gegenwärtig in aller Munde. Geht es nach der Unesco-Sonderkommission, soll sie massiv ausgebaut werden.
Diese Entwicklung hängt mit der neueren Erkenntnis zusammen, dass die ersten Lebensjahre für die Bildungslaufbahn entscheidend sind. Studien zeigen, dass die Schulleistungen einer beachtlichen Zahl von Kindern ungenügend sind. Diese Kinder haben oft schon beim Kindergarteneintritt Defizite. Aus diesem Grund sagt man heute, Förderung müsse früher passieren. Ich begrüsse es, dass in frühkindliche Förderung vermehrt investiert wird. Auch unter dem Aspekt der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Sie meinen, weil kleine Kinder vermehrt fremdbetreut werden.
Genau. Deswegen muss gut ausgebildetes Fachpersonal da sein, das versteht, was es bedeutet, wenn wir etwa einen Säugling neu in der Kita aufnehmen. Es geht um sicheren Beziehungsaufbau, um Bindungsverhalten. Eltern machen das instinktiv bei ihrem Kind, doch in der Kita muss dies das Personal professionell angehen.
Es geht auch darum, frühe Defizite bei Kindern zu entdecken und die Chancengleichheit zu erhöhen.
Richtig. Wir wollen Chancengleichheit schaffen. Eine qualitativ gute Kita kann ausgleichend wirken, wenn ein Kind daheim nicht allzu viele Anregungen hat. Alle Kinder sollen ähnliche Startchancen haben, wenn sie in den Kindergarten kommen. Wir fördern die Ich-Kompetenz, die Sozialkompetenz und die Selbstständigkeit des Kindes.
Einige private Krippen werben mit spezieller Frühförderung, die dem Kind einen Vorsprung fürs ganze Leben verschaffen soll.
Kinder sind folgsam, sie wollen auch gefallen. Wenn es also heisst, du malst jetzt eine Sonne oder lernst ein Instrument, weil deine Eltern dafür bezahlen, dann wird es das Kind machen. Die Frage aber ist, wie nachhaltig der Lerneffekt ist und wie viel Freude das Kind auf diese Weise entwickeln kann. Ein Kind lernt ja in Entwicklungsfenstern. Ist es gerade dabei, neue Bewegungsmöglichkeiten auszuprobieren, ist es nicht sinnvoll, dem Kind zu sagen: Du muss jetzt ruhig am Tisch sitzen und Stäbchen legen, weil wir jetzt Mathematik machen.
Zerstört solche Frühförderung die Kreativität?
Ich bin dieser Ansicht, ja.
Welche Art von Förderung soll denn im Zentrum stehen?
Mit dem Kind zu sprechen, gehört zum Wichtigsten. Wenn ich mit ihm rede, ihm zuhöre und auf das Kind eingehe, biete ich dem Kind gute Entwicklungsmöglichkeiten. Wichtig ist, dass man das Kind in den Alltag miteinbezieht – sei es beim Tischdecken, beim Aufräumen, beim Anziehen. Dabei lernt es enorm viel. So verstehen wir frühkindliches Lernen im Alltag.
Gibt es auch Kinder, die in die Kita kommen und nach einem Tablet oder Handy fragen?
Sie fragen nicht, sondern nehmen ein Buch und wischen darauf herum.
Wie gehen Sie mit einem solchen Verhalten um?
Das ist etwas, dem wir uns auf Dauer nicht verschliessen können. Die neuen Medien gehören zur Lebenswelt der Kinder. Werden sie abends von der Kita abgeholt, kriegen Kinder von den Eltern schon mal ein Handy in die Hand gedrückt, damit sie was zum Spielen haben. Wir sind aktuell dabei, uns von der pädagogischen Seite her dem Thema zu nähern. Es besteht dazu bereits eine Arbeitsgruppe der städtischen Kitas. Deren Aufgabe ist es herauszufinden, wie wir mit dem Thema umgehen wollen.
Unsere Umfrage zeigt: 61 Prozent der Eltern halten gezielte Förderung in der Krippe für unwichtig. Überrascht Sie das?
Wir erhalten von den Eltern dieselbe Rückmeldung. Für sie ist unsere Grundhaltung zum Kind elementar und dass die Krippe ihren Kindern eine sichere Umgebung und vielfältige Möglichkeiten bietet, Dinge auszuprobieren. Zum Beispiel Besuche im Wald, in der Turnhalle oder dem kleinen Garten im Hof, den die Kinder mit uns bewirtschaften.
Wenig Wert legen Eltern auch auf eine regelmässige Beurteilung ihres Kindes: 66 Prozent sind dagegen.
Verständlich. Weshalb soll man ein kleines Kind bereits beurteilen müssen? In den städtischen Kitas finden stattdessen sogenannte Standortgespräche statt. Wir beobachten das Kind gezielt, um zu erfahren, wo die Interessen und Stärken des Kindes liegen und wie es in der sozialen Gruppe agiert. Die Gespräche mit den Eltern sind auf die Stärken des Kindes ausgerichtet, sind also ressourcenorientiert.
Wie merkt man bei Kindern dieses Alters, dass sie zu wenig weit sind?
Das kann sich etwa in der Sprache äussern, wenn ein Kind gegenüber Altersgenossen einen sehr geringen Wortschatz hat oder unvollständige Sätze macht. Wir arbeiten mit strukturierten Beobachtungsinstrumenten, und die Erzieherinnen oder Erzieher haben grosse Erfahrung darin, einen besonderen Entwicklungsbedarf festzustellen.
Wie fördert man solche Kinder?
Mit den Eltern besprechen wir, wie das Kind mit spielerischen Möglichkeiten in seiner Sprachentwicklung unterstützt werden kann. Je nach Situation ziehen wir Drittpersonen wie eine Logopädin oder eine Fachperson für Sprachförderung hinzu.
Soll man kleinen Kindern generell mehr Zeit lassen?
Ja. Sie brauchen Zeit, um sich zu entwickeln. Geben wir ihnen das Vertrauen, dass sie lernen können. Bieten wir ihnen breite Möglichkeiten, um Erfahrungen zu sammeln, und seien wir für sie als Gesprächspartner da. Und seien wir uns bewusst, dass jedes Kind ein kleines Individuum ist. Und: Freies Spiel ist seine Haupttätigkeit. Es ist das Wichtigste, was Kinder tun. Sie lernen Freundschaften zu schliessen, sich abzusprechen, zu streiten und Kompromisse einzugehen. Das ist eine Grundkompetenz für das ganze Leben.
Wird Spielen unterschätzt?
Absolut. Dabei spielen Kinder eigentlich die ganze Zeit. Es sind zentrale Erfahrungen, die sie machen. Erwachsene unterschätzen, was das bedeutet. Das Spiel ist für Kinder genauso anstrengend wie die Arbeit für Erwachsene. Doch Eltern sagen, wenn sie ihre Kinder nach einem langen Tag in der Kita abholen: Ihr habt den ganzen Tag ja nur gespielt.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch