Trotz Corona-Krise zu wenig ArbeitMehr als 20’000 Ärzte und Pflegende haben Kurzarbeit
Weil der Bundesrat alle nicht dringend nötigen Operationen verboten hat, führen Spitäler und Arztpraxen Kurzarbeit ein. Selbstständige Ärzte gehen allerdings leer aus.

Ausgerechnet während der Corona-Krise gibt es eine Kurzarbeitswelle im Gesundheitswesen. Denn während Ärzte und Pflegende auf vielen Intensivstationen mehr als genug zu tun haben, fehlt anderswo die Arbeit. Seit der Bundesrat die Abstandsregel von zwei Metern in der Verordnung festgeschrieben und beschlossen hat, dass nur noch notfallmässige Operationen durchgeführt werden dürfen, geht vielen Spitälern und Praxen die Arbeit aus.
«Wir haben unser Personal in allen 13 Kantonen, in denen wir tätig sind, spontan zur Bekämpfung des Coronavirus zur Verfügung gestellt.»
Raymond Loretan, Verwaltungsratspräsident der zweitgrössten Privatspitalgruppe Swiss Medical Network, bestätigt, dass die Gruppe in fast allen 21 Spitälern Kurzarbeit einführen musste. Die Massnahme gilt für rund zwei Drittel der 3000 Angestellten. Auch die rund 2000 Belegärzte der Gruppe seien von der Einschränkung ihrer Tätigkeit hart getroffen worden. «Wir haben unser Personal in allen 13 Kantonen, in denen wir tätig sind, spontan zur Bekämpfung des Coronavirus zur Verfügung gestellt», sagt Loretan, «aber es wird sehr unterschiedlich gebraucht.»
Auch die Hirslanden-Gruppe, die grösste Kette von Privatspitälern in der Schweiz mit gut 10’000 Mitarbeitenden und rund 2300 Belegärzten, hat Kurzarbeit angemeldet. Betroffen sind insbesondere Mitarbeitende im Verwaltungs- und im Hotelsektor, aber aufgrund der Bestimmungen des Bundesrates auch solche im Operationssaal, wie Sprecher Claude Kaufmann sagt. Die Anzahl ist noch nicht bekannt. Auch Hirslanden hat seine Einrichtungen für die Behandlung von Corona-Patienten zur Verfügung gestellt. «Die meisten Hirslanden-Kliniken waren von Beginn weg in die kantonalen Krisenstäbe eingebunden», sagt Kaufmann.
Besonders von Kurzarbeit betroffen sind die Rehabilitationskliniken. Weniger Operationen bedeuten auch weniger Patienten in der Rehabilitation. Gleichzeitig haben aber auch viele Patienten entschieden, dass sie gar nicht in die Reha kommen wollen. Die Auslastung der Kliniken sei teilweise um drei Viertel zurückgegangen, heisst es bei Swiss-Reha, dem Verband der Kliniken.
«Wenn der Staat Einnahmenausfälle verursacht, dann sollte er diese auch wieder ersetzen.»
Rasch auf diese Situation reagiert hat der Kanton Bern. Dort hat der Regierungsrat eine Verordnung erlassen, die den Spitälern garantiert, dass sie nicht weniger einnehmen als im vergangenen Jahr. Für Willy Oggier, Gesundheitsökonom und Präsident von Swiss-Reha, eine saubere Lösung: «Wenn der Staat durch seine Massnahmen gegen die Pandemie Ertragsausfälle verursacht, dann sollte er diese auch wieder ersetzen.» Trotz weniger Arbeit gibt es darum in mehreren Berner Spitälern keine Kurzarbeit. Zum Beispiel am Inselspital in Bern. Dort wird derzeit weniger operiert. Wie hoch der Einnahmenausfall ist, kann man jedoch zurzeit noch nicht sagen.
Spital «halb leer»
Es sind aber nicht nur Privatspitäler, die wegen des Coronavirus weniger zu tun haben. Das Kantonsspital Aarau hat Kurzarbeit eingeführt, weil das Spital «halb leer» sei, wie die «Aargauer Zeitung» berichtet. Gleiches gilt für das Zuger Kantonsspital.
Das Universitätsspital Basel hat bei Angestellten in der Forschung und Verwaltung Kurzarbeit eingeführt. Bei Ärzten und Pflegepersonal versuche man derzeit, alle bedarfsgerecht einzusetzen, sodass keine Kurzarbeit notwendig sei, sagt Sprecher Nicolas Drechsler. Wie gross der Einnahmenausfall sei, lasse sich nicht sagen.
Tausende Angestellte von Ärzten betroffen
Neben den Spitälern setzt der Einnahmenausfall auch den Ärzten zu. Florian Wanner, Sekretär der Schweizerischen Belegärztevereinigung, geht davon aus, dass neun von zehn Belegärzten und ihre Praxisassistenten Arbeitsausfälle haben. Wanner rechnet mit gut 9000 Betroffenen. Gleiches gilt für die Hausärzte, wo ebenfalls gut 10’000 Angestellte Kurzarbeit machen, wie Reto Wiesli, Geschäftsführer des Verbandes, schätzt. Allerdings bekommen höchstens die Angestellten der Ärzte eine Entschädigung.
Ob in öffentlichen oder Privatspitälern, ob bei Belegärzten oder Arztpraxen: Rechnet man alle Betroffenen zusammen, kommt man auf eine Zahl von weit über 20’000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Gesundheitswesen, die in Kurzarbeit stecken.
Arztpraxen bleiben offen
Doch längst nicht alle erhalten eine Entschädigung. Das Bundesamt für Sozialversicherungen stellt sich auf den Standpunkt, der Bundesrat habe nicht die Schliessung der Arztpraxen verfügt, auch wenn sie faktisch kaum mehr arbeiten könnten.
Die Ärzte müssen ihre Praxen offen halten und werden deshalb nicht entschädigt, dürfen aber trotzdem nur noch Notfälle behandeln. Gegen diesen Widerspruch sind die Ärzte vor drei Tagen bei Wirtschaftsminister Guy Parmelin und Gesundheitsminister Alain Berset vorstellig geworden. Auch der Verband freier Berufe unterstützt das Anliegen. Eine Antwort steht noch aus.
Die Massnahme des Bundes sei sicher richtig gewesen, findet Raymond Loretan von Swiss Medical Network. Aber jetzt müsse man das überdenken und dort, wo es möglich sei, Schritt für Schritt auch nicht notfallmässige Operationen wieder durchführen können. Es gehe vor allem darum, zu vermeiden, dass heute nicht dringliche Eingriffe in kommenden Wochen, möglicherweise mitten in der Krise, dringlich würden und das System dann überforderten. «Wir müssen im Auge behalten, dass der wirtschaftliche Schaden sowohl für die öffentliche als auch die private Schweizer Spitalinfrastruktur nicht grösser als nötig wird», sagt Loretan.
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