Salzburger FestspieleMehr Macho geht nicht
Der Salzburger «Don Giovanni», dirigiert von Teodor Currentzis und inszeniert von Romeo Castellucci, ist ein Steigerungslauf punkto erotischer Kälte. Und ein Abend voller magischer Momente.

Lasciar le donne, die Finger von den Frauen lassen! Kaum hat Giovanni diesen impertinenten Vorschlag seines Assistenten gehört, bekommt er einen lebensbedrohlichen Anfall, zuckt, stürzt, liegt lange leblos da.
Lasciar le donne: Davon hält auch Regisseur Romeo Castellucci rein gar nichts. Er hat sich viel mehr an der Frauenliste des Assistenten inspiriert, die die 1003 Eroberungen Giovannis nicht nach Namen, sondern nach Grösse, Haarfarbe, Leibesfülle, Nationalität, Beruf und Liebeserfahrung katalogisiert. Mehr Macho geht nicht.
Der Grossmeister Romeo Castellucci bindet gern seine artistischen Einfälle an den Alltag an. Also bringt er für seine Inszenierung von Wolfgang Amadeus Mozarts Erotikstudie «Don Giovanni» bei den Salzburger Festspielen eine schier unüberschaubare Phalanx an Salzburger Frauen auf die Bühne, deren Namen er, anders als Assistent Leporello, akribisch im Programmheft vermerkt.

Es sind zwar nicht 1003 Frauen, aber die Liste füllt immerhin eine halbe Seite. Doch mittlerweile ist Giovanni aus seiner Ohnmacht erwacht und versucht wieder das, was ihm sonst spielend leichtfiel, aber an seinem letzten Lebensabend regelmässig missglückt: die Frauenverführerei.
Während Dirigent Teodor Currentzis mit seinem «musicAeterna»-Orchester dunkles Moll aus dem Graben brodeln lässt, das bald in elegante Atemlosigkeit übergeht, lässt Castellucci – er ist sein eigener Bühnen- und Kostümbildner – eine Arbeitercrew mit Gabelstaplern eine klassizistische Kirche ausräumen.
Altarkreuz (Giotto?), Heiligenfiguren, Kandelaber, alles muss raus. Später ein Auto aus dem Schnürboden in die leere Kirche, genauso ein Rollstuhl. Der Assistent singt sein Frauenregister passenderweise an einem Kopiergerät, das von einem zweiten von oben kommenden penetriert wird.
Hammer gegen Sichel
Giovanni trägt schwarzen Bart, weissen Anzug und einen Hammer, sein Unterschichtkonkurrent Masetto, dessen Name sich der erotische Übermensch partout nicht merken kann, eine Sichel. Hammer und Sichel: Castelluccis assoziativ postmoderne Witze führen regelmässig in die Irre.
Eine Ziege rennt durch die Kirche, der aufgeblasene Aristokrat Ottavio stolziert mit Pudeln daher und geriert sich als römischer Imperator, dem Masetto wird eine Ratte zugeordnet. Eine von Giovannis vielen verlassenen Ehefrauen, Elvira, rückt mit ihrem Sohn an, der den sich vor seinem Nachwuchs gruselnden Papa über die Bühne verfolgt. Vor der Pause wird die Kirche dann mit Wohlstandmüll endgültig zugestellt.

Dieser ganze erste Akt ist von heimtückischer Harmlosigkeit, unter der sich Mozarts Liebestrankklänge ungehindert ausbreiten können. Die Musik atmet nichts als Sex und Erotik, Schweiss, Körpern und Begehren. Teodor Currentzis, der selten zur Zurückhaltung tendierende Popstar und Alleskönner der Klassik, geht das Stück anfangs erstaunlich dezent an, fliessend elegant, untergründig verhalten, langsam.
Aber auch das ist eine Falle. Wie sein Regisseur schaltet auch Currentzis im zweiten und finalen Akt dieses Vier-Stunden-Abends um auf Intensivierung, Verdichtung, Leidenschaftlichkeit, Tiefenbohrung. Erotikkälte.
Don Giovanni: Immer Herr, nie Sympathieträger
Hier werden der für Salzburg so wichtige Katholizismus abgeräumt, genauso die Konsumglamourwelt, die gängigen Geschlechtermodelle. Giovanni wird als ein vor Geld triefender Machtmenschchef greifbar, der allen übel mitspielt und jeden Mann für eine Ratte hält. Giovanni (Davide Luciano) ist aalglatt. Perfekt gekleidet, immer Herr, nie Sympathieträger. Er ist seelenkalt. Selbst im Mandolinenständchen oder dem Zerlina-Duett ist er bloss eine singende Sexmachine.
Frauen sind ihm nur als jene Masse interessant, als die sie ihm Castellucci auf die Bühne stellt. Sobald eine Frau aus der Masse heraustritt, sei es die höhere Zickentochter Anna, die alleinerziehende Mutter Elvira, die Gärtnerin Zerlina, verblasst ihr Reiz für ihn im Orgasmus. Nachschub muss her, sofort und auf der Stelle.
Selten sind Aufführungen so gross, dass die Leistungen der Sänger darin vollständig aufgehen. Das ist solch ein Abend. Alle sind sie gut, alle überzeugen sie. Anna Lucia Richter (Zerlina) kombiniert Naturhaftigkeit mit Karrierebewusstsein, Nadezhda Pavlova (Anna) kämpft selbstquälerisch, stolz und mit gekonnten Koloraturen gegen die Erwartungen von Vater, Verlobtem und Vergewaltiger, Federica Lombardi (Elvira) versucht vergeblich, Selbstbestimmtheit, Erotik und Altern zu versöhnen.
Sie alle sind Opfer. Nicht Giovannis sondern eines lustfeindlichen Patriarchats, das einen Giovanni als Kompensation hervorbringt.

Auch die Männer sind alle beschädigt durchs Patriarchat. Die naive Rebellion des Masetto läuft ins Leere, so sehr David Steffens auch aufdreht. Annas steifer Vater (Mika Kares) ist längst innerlich abgestorben, als ihn Giovanni ermordet. Und Vito Priante als Assistent changiert zwischen Giovanni-Imitation, Gefrässigkeit, Anpasslertum und Minirevolte. Am schlimmsten dran aber ist Ottavio. Michael Spyres singt ihn betörend.
Gegen Mozarts Wunsch bieten die meisten Aufführungen die beiden Arien Ottavios, die, im Ausdruck recht ähnlich, ein Weichei zeichnen. Spyres und Currentzis aber legen die beiden Stücke völlig unterschiedlich an. Das eine zeigt einen weltfremden Träumer, das andere zeigt ihn in Racheaktion.
Plötzlich machen beide Stücke Sinn. Ottavio träumt sich, das glaubt er seinem Namen schuldig zu sein, in die Antike zurück, er sieht sich als Caesar, als Friedensfürst als Befrieder der wilden Sexualität. Der Vorgriff auf Mozarts letzte Oper «Tito» ist klar, im brodelnden «Giovanni»-Gerase aber wirkt dieser Mann noch deplatzierter als sonst. Ottavio wird nie eine Frau bekommen.
Ganz im Gegensatz zu Davide Lucianos Giovanni. Der Abend meisselt unerbittlich einen Kotzbrockenmacho heraus. Hier wird klar, warum Sex gesellschaftszerstörerisch ist, Sigmund Freud hat oft darauf verwiesen. Mozarts Musik beschäftigt sich ständig mit dieser zerstörerischen Kraft.
Kein Gewissen, keine Grenzen
Giovannis Begehren ist absolut, es kennt keine Skrupel, kein Gewissen, keine Grenzen. Deshalb hat er, das behauptet Mozarts Musik, Erfolg bei Männern wie Frauen, die durch die Urgewalt dieses Begehrens fortgerissen werden. Das ist der beunruhigende Kern dieser Aufführung, so radikal und verstörend kommt dieses Axiom sonst nie heraus.
Der Bühnendialektiker Castellucci zeigt auch die zerstörerischen Folgen dieses absoluten Begehrens. Die Bekenntnisse zur als Freiheit gedeuteter Libertinage, zu Wein, Haute Cuisine und Frauen enden im Zusammenbruch des Helden. Die Hölle in Giovanni bricht aus ihm heraus.
Giovanni reisst sich den Anzug vom Leib, wälzt sich nackt in weisser Kreidefarbe. Es ist einer der grossen magischen Momente von Theater, auch, weil nackte Opernsänger eine Seltenheit sind. Zuletzt ähnelt Giovanni den Gipsabdrücken, die durch Ausgiessen der Menschformen in der Lava Pompejis gewonnen wurden.
Auch alle anderen Mitsänger verwandeln sich in solch stummen Zeugen ehemaliger Leidenschaft, während ihr Schlussfazit abweichend von der Partitur vom «musicAeterna»-Chor aus dem Graben gesungen wird. Grosser Jubel des Publikums, selbst der Regisseur wird gefeiert.
Der Salzburger «Don Giovanni» wird am 7. August, 22.05 Uhr auf Arte ausgestrahlt.
Fehler gefunden?Jetzt melden.