Mehr Würze, weniger Literatur
Keira Knightley spielt in «Colette» die legendäre Schriftstellerin, die Paris mit erotischen Werken in Aufruhr versetzte. Der Film erzählt auch etwas über die Geschlechterverhältnisse der Gegenwart.

Die junge Frau, als die sie uns zunächst begegnet, lässt noch nichts erahnen von der Emanzipationsgeschichte der Sidonie-Gabrielle Colette. Das Gesicht gerahmt von einer braven Ponyfrisur, sitzt sie am Kaffeetisch mit ihren Eltern und einem vierzehn Jahre älteren Mann, der aus Paris in das beschauliche Dorf im Burgund gekommen ist. Dort lässt er neben einer Schneekugel mit einer Miniatur des gerade errichteten Eiffelturms auch seine festen Heiratsabsichten zurück.
Es ist das Jahr 1893, und Colettes Blick auf die Glaskugel – und die Welt – ist noch unschuldig. Aber in ihren Augen und ihren Bewegungen liegt schon jene unverschämte Selbstsicherheit, mit der sie sich wenig später ins Leben und Schreiben stürzen wird. Und dieser Henry «Willy» Gauthier-Villars, der Herr im Frack und zukünftige Ehemann, den die Eltern noch skeptisch beäugen, wird dabei eine entscheidende, wenn auch widersprüchliche Rolle spielen.
Die Ausbeutungsmuster haben sich kaum verändert
Nicht zum ersten Mal ist die Lebensgeschichte der legendären Schriftstellerin verfilmt worden. Dass der amerikanische Regisseur Wash Westmoreland trotzdem einen Versuch mit einem neuen Drehbuch unternimmt, ist aber gleich in zweierlei Hinsicht einleuchtend. Erstens hat er mit Keira Knightley eine hinreissende Colette-Darstellerin gefunden für die Frau, die mit den Erfolgsromanen über die Belle-Epoque-Heldin Claudine ganz Paris in helle Aufregung versetzte und sich eine Rolle als eigenständige Künstlerin erkämpfte.
Zweitens passt ihre Geschichte sehr gut in unsere Gegenwart, in der ein Jahr nach #MeToo so viel wie nie zuvor über die Eigenmächtigkeit der Frau in Kunst und Gesellschaft debattiert wird. Denn die hitzige Energie von Colettes Identitätskampf erzählt in Westmorelands Film aus der Vergangenheit heraus auch viel über das 21. Jahrhundert. Nicht nur darüber, wie wir ihre Geschichte heute lesen, sondern auch darüber, dass sich an bestimmten Ausbeutungsmustern – besonders im Bereich der Kunst – bis heute nur oberflächlich etwas verändert hat.
Regisseur Westmoreland konzentriert sich auf die frühen Jahre seiner Heldin. Nach der Hochzeit mit Willy verlässt sie die zirpende Landschaft ihrer Kindheit in Richtung Paris und der nahenden Jahrhundertwende. Freigeistig und mondän ist die Stimmung in den Salons der Stadt, auch wenn das auf die Realität der Frauen zunächst einmal wenig Einfluss hat. Eigentum ist an die Ehe gebunden, das Hosentragen verboten, und was Frauen schreiben, will ohnehin niemand lesen, wie Willy seiner Frischvermählten einmal unumwunden erklärt.
Keira Knightley bringt Colette zum Leuchten
Der Impresario und Lebemann beschäftigt ein ganzes Team von unterbezahlten Ghostwritern und überredet schliesslich auch Colette, unter seinem Namen ein Buch zu schreiben. «Claudine à l'école» über die sexuelle Erweckung eines jungen Mädchens auf dem Lande wird ein so grosser Erfolg, dass Willys gut geölte Marketingmaschine bald nach immer lüsterneren Fortsetzungen verlangt: «Mehr Würze, weniger Literatur», rät er. Gleichzeitig muss sich Colette mit seiner Untreue herumschlagen und lässt sich bald auf eine komplizierte Dreiecksbeziehung mit der amerikanischen Salondame Georgie ein.
Keira Knightley, bei der man eigentlich das Gefühl hat, sie mindestens einmal zu oft in einem Kostümfilm gesehen zu haben, beweist hier einmal mehr ihr Können. Ihre Colette ist so leuchtend vor Neugier und Vitalität. Und so sexy, clever und charmant, dass man schnell wieder daran erinnert wird, warum sie eben gerade in historischen Rollen so gut ist. Die Darstellung ihrer Frauenfiguren passt in ihre jeweilige Epoche und besitzt trotzdem immer etwas unverkennbar Modernes: eine Eigenwilligkeit, eine Kühnheit im Blick, eine Furchtlosigkeit im Auftreten – besonders im Zusammenspiel mit Männern.
Neben seiner Hauptdarstellerin verlässt sich Wash Westmoreland vor allem auf die Ästhetik der Belle Epoque. Die umwerfenden Kostüme, das warm schimmernde Licht in den Salons und viele weitere historische Details, die diese Zeit wie ein prächtiges Arsenal aus Fussnoten zum Leben erwecken. Da wird einmal in einer illustren Salonrunde über den Bau des Eiffelturms diskutiert, der damals für viele Pariser ein skandalöser Eingriff in die Stadtsilhouette war.
Eine andere Salonszene erzählt von der einsetzenden Fluidität der Genderrollen. Wir hören den Gesang einer weiblichen Sopranstimme, der Pantomime Georges Wague, später Colettes Variété-Mentor, bewegt dazu kunstvoll die Lippen, erst am Ende sehen wir die Frau, zu der die Stimme wirklich gehört.
Das Einzige, was man Westmoreland vorwerfen kann, ist, dass sein Biopic zwischen Arthouse-Drama und selbstreflexivem Unterhaltungskino beinahe ein bisschen zu schön und geradlinig ist – zumindest im Vergleich zu dem widersprüchlichen, von Extremen und Tabubrüchen geprägten Leben, das ihm zugrunde liegt.
Was ihm aber sehr wohl gelingt, ist die wunderbar komplexe Gemengelage der Geschlechterrollen. Colette kann ebenso empfindsam sein wie rasend in ihrer Wildheit, sie will loyale Ehefrau sein und probiert sich gleichzeitig in gleichgeschlechtlichen Affären aus. Und auch Willy, herrlich nuanciert gespielt von einem spitzbärtigen Dominic West, hat sehr viel mehr als eine Seite. Er ist weder Bösewicht noch Held. Oder eben beides ein bisschen.
Willy erscheint als alternder Macho, der seine Frau liebt und sie zugleich ausbeutet, sie zum Schreiben in ein Zimmer sperrt, um später mit ihr an den Manuskripten zu arbeiten. Und ist so ein liebenswerter Hallodri, dessen männliche Selbstsicherheit Colette erst anzieht und dann von ihm forttreibt, in ein unabhängiges Leben.
Förderung und Zwang liegen hier nah beieinander – und der Regisseur Westmoreland tut gut daran, sie nicht auseinanderzudividieren. Denn genau dort, wo nicht alles immer ganz klar ist, sind wir sogleich in den Diskussionen der Gegenwart.
Der Film läuft in den Kinos.
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