Corona-UmfrageMehrheit will Ungeimpfte für Tests zahlen lassen
Erstmals zeigt sich, wie die Bevölkerung zu kostenpflichtigen Corona-Tests und zur ausgedehnten Zertifikatspflicht steht.

Die Debatte über die Kostenübernahme bei Corona-Tests ist zuletzt – gelinde gesagt – unübersichtlich geworden. Zuerst wollten die SVP-Bundesräte die kostenlosen Tests für Personen ohne Symptome abschaffen und SP-Gesundheitsminister Alain Berset nicht – dann war es plötzlich genau umgekehrt.
Die Kantone sind sich uneinig, die oberste Ethikerin hält eine Abschaffung der Gratistests in der aktuellen Situation für «problematisch», grosse Teile der nationalrätlichen Gesundheitskommission ebenso. Die Schwesterkommission im Ständerat schlägt einen Kompromiss vor: Die Tests sollen zumindest bis Ende November kostenlos bleiben. Der Bundesrat will am Freitag entscheiden.
Nur SVP-Basis für Gratistests
Eine Frage blieb in der turbulenten Debatte bisher aber unterbelichtet: Wie steht eigentlich die Bevölkerung dazu? Eine Umfrage von Tamedia und «20 Minuten» in Zusammenarbeit mit Leewas gibt darüber Aufschluss. Es zeigt sich: Aktuell spricht sich eine satte Mehrheit dafür aus, dass Ungeimpfte zahlen müssen, wenn sie sich testen lassen, um ein Zertifikat zu erhalten. 63 Prozent beantworteten die entsprechende Frage mit Ja oder eher Ja.
Hoch fällt die Zustimmung auch im rot-grünen Lager aus – obwohl SP und Grüne gegen ein Ende der Gratistests kämpfen. Einzig die Wählerschaft der SVP ist mehrheitlich gegen kostenpflichtige Tests, wobei es auch hier eine starke Minderheit von 45 Prozent anders sieht.
Die Umfrage zeigt weiter, dass der Bundesrat im Sinne der Bevölkerungsmehrheit entschieden hat, als er die Zertifikatspflicht auf die Gastronomie, Kultur- und Sportangebote ausdehnte. Insgesamt 67 Prozent unterstützen die Regeln, die seit Mitte September in Kraft sind.
Auffällig: Je jünger die Befragten, desto kritischer sind sie gegenüber dem Zertifikat. So stehen in der jüngsten Altersgruppe von 18 bis 34 Jahren 53 Prozent hinter dem bundesrätlichen Entscheid, bei den älteren Jahrgängen sind es deutlich mehr. Die Zertifikatspflicht stösst auf dem Land ebenso auf Wohlwollen wie in der Agglomeration und in der Stadt. Die Zustimmung erstreckt sich zudem über fast alle politischen Lager – einzig SVP-Wähler und -Wählerinnen lehnen die Massnahme zu einem guten Teil ab.
Schätzung liegt daneben
Die Umfrageteilnehmerinnen wurden nicht nur gefragt, ob sie der Zertifikatspflicht selbst zustimmen, sondern sie wurden auch darum gebeten, einzuschätzen, wie hoch die Zustimmung in der gesamten Bevölkerung ausfällt. Dabei zeigt sich: Die allermeisten unterschätzen den Rückhalt der Massnahme.
Sozialwissenschaftler und Medienforscher Marko Ković sagt: «Die Diskrepanz dürfte zumindest teilweise durch die mediale Berichterstattung bedingt sein.» Zwar sei es die Aufgabe der Medien, einen solch weitreichenden politischen Entscheid eng und kritisch zu begleiten. «Insbesondere wenn stark mit anekdotischen Berichten gearbeitet wird, entsteht aber leicht ein verzerrtes Bild.» Eine Beiz, die sich querstelle, finde sich immer – Wirte und Wirtinnen, die regelkonform arbeiteten, suchten hingegen nicht die mediale Aufmerksamkeit.
Weiter legen die Umfrageresultate nahe, dass die Einschätzung stark vom persönlichen Umfeld abhängt. SVP-Wähler schätzen die Zustimmung zur Zertifikatspflicht tiefer ein als diejenigen anderer Parteien.
Im Spital ja, an der Uni nicht
Ein differenziertes Bild ergibt sich bei der Frage, in welchen Bereichen eine Zertifikatspflicht aus Sicht der Teilnehmerinnen sinnvoll ist. Akzeptiert ist die Massnahme demnach insbesondere in der Gastronomie, in Spitälern und Altersheimen sowie in Freizeiteinrichtungen. Hingegen hält es nur eine Minderheit von 40 Prozent für richtig, den Zutritt an Hochschulen auf Personen mit Zertifikat zu beschränken – obwohl das an vielen Unis bereits Realität ist. Noch tiefer ist die Zustimmung am Arbeitsplatz oder im öffentlichen Verkehr.
Jacqueline Büchi ist Autorin im Inlandressort und Mitglied der Tagesleitung der Redaktion Tamedia. Schwerpunkt ihrer Berichterstattung ist die Gesundheits- und Gesellschaftspolitik. Sie startete 2008 als Radiojournalistin und durchlief seither verschiedene Stationen bei Medien im In- und Ausland.
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