«Menschen, die U2 nicht mögen, geben sich nicht genug Mühe»
Eigentlich wollten Bono und The Edge über das neue Album reden. Schliesslich kommentierten sie aber auch die Paradise-Papers-Affäre.

Seit Ihrem 1987 erschienenen Album «The Joshua Tree» sind U2 eine polarisierende Band, die auch Häme und Hass auf sich zieht. Wie gehen Sie damit um?
Bono: Sich in jeder Hinsicht angreifbar zu machen, ist ein wichtiger Teil unserer Definition von Kunst. Diesbezüglich sind wir robuste Iren, wir lieben die Auseinandersetzung und den Streit. Von allen gemocht zu werden und nirgendwo anzuecken, führt zu gar nichts. Wir polarisieren gerne.
Können Sie sich die Missgunst denn erklären?
The Edge: Als höflicher Mensch sollte man in der Öffentlichkeit drei Themen vermeiden: Politik, Religion, Sex. Wir haben vom ersten Tag an beinahe ausschliesslich über diese Dinge geschrieben. Insofern ist klar, warum uns viele Leute nicht mögen. Wir versuchen, die Plattform zu nutzen, die uns durch den Erfolg gegeben wurde. Dass wir daran interessiert sind, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, stellt gewisse Leute vor eine Herausforderung.
Insbesondere Sie, Bono, gelten vielen als der Inbegriff des «Gutmenschen». Die Neue Rechte verwendet diesen Begriff zur Diskreditierung sogenannter politischer Korrektheit. Engagement und Solidarität scheinen auf manche Leute wie Provokation zu wirken.
Bono: Aber das war ja nie eine bewusst eingenommene Pose. Diese Seite ist ein Teil von uns, seit wir als Teenager unser erstes Konzert gegeben haben. Wir wollen uns nützlich machen, wenn man das so formulieren darf. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir Dinge tun, die nicht direkt nachvollziehbar erscheinen mögen. Wir brechen Klischees, schütteln Hände von Leuten, die nicht jeder mag, das gefällt nicht allen. Aber es geht uns ausschliesslich um den Nutzen. Ich will Schwammigkeit und Sentimentalitäten vermeiden. Wir sind keine Hippies.
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Video: Huch, da ist ja Bono!
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Es kam Unmut auf, als Sie das Album «Songs of Innocence» 2014 über iTunes veröffentlichten. Hat es Sie überrascht, dass einige Leute über dieses ungebetene Geschenk wenig erfreut waren?
The Edge: Meine These ist ja, dass Menschen, die U2 nicht mögen, sich einfach nicht genug Mühe geben. Mit der Aktion wollten wir ihnen auf die Sprünge helfen.
Diesen Humor traut Ihnen nicht jeder zu.
Bono: Wenn die Leute sich einmal ein Bild von dir gemacht haben, ist es nahezu unmöglich, daran noch etwas zu ändern. Aus dieser Überlegung heraus entstand unser Album «Achtung Baby». Man kann sich nicht aus einer bestehenden Haltung heraus verändern. Das Image von «The Joshua Tree» war damals zementiert. The Edge: Wir haben uns damals gefühlt wie Karikaturen unserer selbst. Bono: Und wenn die Karikatur omnipräsent ist, muss man eine neue erfinden. Damit löst man eine Art künstlerischer Demenz aus, die das alte Image überlappt.
«Wir brechen Klischees, schütteln Hände von Leuten, die nicht jeder mag, das gefällt nicht allen.»
Was ist näher an der Wahrheit, das bitterernste U2-Image von «The Joshua Tree» oder das hedonistisch- ironische von «Achtung Baby»?
The Edge: Unser Manager hat nach «The Joshua Tree» gesagt, wir seien zu blöd, um den Erfolg zu geniessen. Er hatte recht.Bono: Wir waren wirklich diese humorlosen, hochseriösen jungen Männer. Der Erfolg war uns fast peinlich. Cool war es, tot zu sein. Und wenn man schon nicht tot war, musste man wenigstens totaler Underground sein. The Edge: Wir wollten ein Teil der Gegenkultur sein, stattdessen waren wir plötzlich das genaue Gegenteil.
Ihnen wird immer wieder Scheinheiligkeit vorgeworfen, Bono. Insbesondere im Zusammenhang mit den Paradise Papers.
Bono: Viele Leute sagen: Er hat sich immer für totale Transparenz eingesetzt und das von anderen eingefordert, für ihn selbst scheint das aber offensichtlich nicht zu gelten. Aber dieser Vorwurf trifft nicht zu. Im Wesentlichen geht es bei dieser Sache um einen Immobilien-Investmentfonds. Ich bin nicht in jedes Detail der in meinem Namen getätigten geschäftlichen Transaktionen involviert. Deshalb habe ich meinen Finanzberatern schon vor Jahren ganz klar gesagt: Egal, was ihr macht, am Ende muss Bono draufstehen. Haltet die Dinge transparent. Was sie ja auch getan haben, sonst hätten die Untersuchungen in Litauen gar nicht so eindeutig auf mich zurückgeführt werden können. Andere Leute verstecken ihr Geld in fragwürdigen Projekten in Entwicklungsländern, ich nicht.
«Meine These ist ja, dass Menschen, die U2 nicht mögen, sich nicht genug Mühe geben.»
Viele hätten sich eine ausführlichere Stellungnahme von Ihnen gewünscht.
Bono: Eine solche wird es geben. Ich nehme diese Anschuldigungen wahnsinnig ernst. Das betrifft mich und alles, wofür ich stehe, im tiefsten Inneren. Diese Dinge sind gegenwärtig Gegenstand ausführlicher Untersuchungen, weshalb ich nicht über Details sprechen kann. Es ist noch vollkommen unklar, was diese Sache nach sich ziehen wird. Es könnte zu einem Verfahren kommen, das muss man abwarten. Sobald dieser Vorgang abgeschlossen ist, werde ich der Erste sein, der darüber in allen Details berichten wird. Es ist mir wichtig, dass unsere Fans Folgendes wissen: Sollte irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugegangen sein, würde ich mich darüber mindestens so sehr aufregen wie sie.
Können Sie nachvollziehen, dass man bei Ihnen andere moralische Standards ansetzt, als man es bei irgendeinem Manager tun würde?
Bono: Natürlich, sogar gut. Ich setze diese Standards ja selbst. Es ist der Eindruck entstanden, ich sei bei etwas Illegalem erwischt worden. So ist es aber nicht, ich bin nicht erwischt worden, weil alles transparent und nachvollziehbar war. Es wird nun mindestens einen Monat dauern, bis alles geklärt ist, dann können wir damit vollumfänglich an die Öffentlichkeit gehen. Das ist ein grosses Thema für mich, und ich werde alles zu seiner Aufklärung beitragen.
Sie wurden in Irland geboren, dort haben Sie Ihre Karriere begonnen. Irland ist ein relativ armes Land mit niedrigen Steuern. Warum zahlen Sie Ihre Abgaben dort nicht einfach? Sie könnten es doch verkraften.
Bono: Ich kann das nachvollziehen. Was aber vielen Leuten vielleicht nicht klar ist: Wir zahlen überall auf der Welt ganz regulär enorme Beträge an Steuern, auch in Irland. Die Haupteinnahmequelle dieser Band sind die Konzerte, die jeweils in dem Land versteuert werden, wo sie stattfinden. Da gerät im Moment vieles durcheinander. Was mir wahnsinnig leidtut, ist die Tatsache, dass diese Geschichte nun das Wichtigste überlagert: die Musik. Wir sind sehr stolz auf «Songs of Experience», haben hart an dem Album gearbeitet.
The Edge, auf einer Skala von eins bis zehn: Wie genervt sind Sie, dass diese Privatangelegenheit von Bono ausgerechnet Ihre Kampagne für das neue Album überschattet?
The Edge: Das ist natürlich überaus enttäuschend. Aber man kann sich das nicht aussuchen, die Dinge kommen, wie sie kommen. Ich finde die Art, wie die Debatte gerade geführt wird, nicht besonders fair. Das ist ein kleiner Teil eines grossen Themas, das auf anderer Ebene und international diskutiert werden müsste. Ich bin kein Experte, aber die internationalen Steuersysteme sind undurchschaubar und kompliziert. Da haben beinahe alle Länder einen dringenden Änderungsbedarf. Bono: Dass eine Minderheit durch die Gesetze die ganz legale Möglichkeit hat, sich bessere Ausgangsbedingungen zu verschaffen als die Mehrheit der Menschen, muss unbedingt aufhören.
Bei einer erfolgreichen Band wie der Ihren nimmt die geschäftliche Seite ab einem gewissen Zeitpunkt immer mehr Raum ein. Wie gewährleisten Sie generell, dass genug Energie für die Musik bleibt?
Bono: Unser Manager hat uns von Anfang an bekniet, diesen Bereich nicht zu vernachlässigen. Diesen Ratschlag haben wir uns zu Herzen genommen. Es ist zwar bequem, als Künstler über den Dingen zu schweben und den geschäftlichen Bereich auszublenden, aber das fällt einem bald vor die Füsse. Die Art, wie wir unsere Geschäfte führen, definiert zum Teil unsere Aussenwahrnehmung und die unserer Musik. Das Geschäft erfordert genauso viel Kreativität und Hingabe wie die Musik.
Das Wort Kreativität könnte in diesem Zusammenhang missverstanden werden.
Bono: Ich meine damit die Haltung, mit der wir die Firma führen. Es geht darum, unsere Werte in allen Bereichen zu leben.
Einer von vielen Widersprüchen bei U2 ist ja, dass Sie trotz Ihrer Mainstream-Skepsis von Anfang an wahnsinnig erfolgshungrig waren.
Bono: Die Beatles, die Stones – all diese Bands waren enorm ehrgeizig und wollten Erfolg. Als wir begannen, hatte sich die Punkhaltung durchgesetzt. Wenn man ehrgeizig war, und das waren wir, hielt man besser die Schnauze. Mit Hip-Hop und Bands wie Oasis hat sich das wieder geändert, und das ist auch gut so. Dieser Underground-Manierismus kommt aus einer sehr weissen, snobistischen Position. Gehen Sie doch mal zu Jay Z und werfen ihm Ausverkauf vor. Da wird er laut lachen. Geld für das zu bekommen, was man tut, ist in seiner Welt eine absolute Selbstverständlichkeit, ein Zeichen von Respekt.
Sie alle sind immer noch gut befreundet und sehen sich nicht nur auf der Bühne. Was ist Ihr Geheimrezept?
The Edge: Wir waren Freunde, bevor wir eine Band wurden. Bono: Insofern war es vielleicht unsere wichtigste Entscheidung überhaupt, von Anfang an alles durch fünf zu teilen, wenn man unseren Manager mitrechnet. Die tatsächlichen Anteile spielen keine Rolle. Durch die Art, wie Larry Mullen Schlagzeug spielt, wird aus einem Song ein U2-Song, nur das zählt.
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