Meuterei auf Holbox
Der Tourismus erstickt die Insel vor der mexikanischen Karibikküste. Jetzt wehren sich die Bewohner.

An einem Sonntag Ende Juli hatten die Bewohner der Isla Holbox genug. Sie blockierten den Fährhafen und liessen keine Gäste mehr auf die Insel – ein Ferieneiland, auf dem jeder vom Tourismus lebt und das als abgeschiedenes Ökoidyll gilt. Die Insel drohe zu kollabieren, klagte die Chefin des lokalen Hotelverbands, Bárbara Hernández. Was war passiert?
Die Geschichte von Aufstieg, Wandel und Gier beginnt mit einem Fisch. Man sieht ihn bereits, wenn man im Hafen ankommt. Eine Plastikskulptur, riesig und grau, mit weissen Punkten auf dem Rücken. «Mit dem Walhai fing der Boom an», sagt José del Carmen Sabatini, 72 Jahre alt, den hier auf Holbox alle Capitán Carmelo nennen.
Er erzählt von den Schiffbrüchigen, die das Meer an die Strände spülte. Manche blieben. Sie verkauften das getrocknete Fleisch der Kokosnüsse, bis eine Krankheit die Kokospalmen dahinraffte. Sie fischten und bauten Gemüse an, bis jemand auf die Idee mit den Walhaien kam. «Wir sahen immer Walhaie», sagt Capitán Carmelo. «Aber erst vor 14 Jahren fuhr jemand Besucher zu ihnen hinaus.»
Gepolsterte Holzliegen statt Hängematten
Das war der Startschuss für eine bis heute anhaltende Entwicklung: Das Refugium der Aussteiger und Künstler, Gegenentwurf zu den Hochhausstränden in Cancún, wurde zur Insel der Walhaie und zum Geheimtipp. 2005 hatte der Hurrikan Wilma aus den Häusern Kleinholz gemacht, die Flutwelle ein Übriges angerichtet. Mit den Hilfsgeldern bauten die Bewohner neue, grössere Hotels.
Die Hauswände sind immer noch mit Graffiti bemalt. Statt Autos rollen Golfwagen über die Sandwege, Teerstrassen gibt es nicht. Und auch keine Infinity-Pools, keine Jetskis, keine schicken Restaurants. In Flip-Flops und Shorts flanieren Touristen zwischen bunten Holzhäuschen, sediert vom Karibikschlendrian, oder mieten sich ein Velo und rollen den kilometerlangen Strand entlang.
Doch langsam ändert sich der Stil. Wo früher Hängematten zwischen Palmen schaukelten, stehen gepolsterte Holzliegen und Himmelbetten. Dahinter dreistöckige Hotels auf den Premiumplätzen. Sie gehören Investoren aus Spanien, Italien oder den USA. Die Einheimischen erkannten den Wert des Strandes lange nicht und verkauften ihre Grundstücke am Meer. Jetzt bereuen sie es und vermieten Zimmer über Onlineplattformen. «Seit drei Jahren baut hier jeder», sagt Morelia Montes Barahona. Die energische 64-Jährige stammt aus Kolumbien, ihr Geld hat sie mit Bademode gemacht. «Souvenirläden, Bars, Restaurants. Jeden Tag eröffnet was Neues.»
Resorts konnten verhindert werden
Dabei setzt der Tourismus der Insel schon genug zu. 4000 Menschen leben auf Holbox, dazu kommen in der Hochsaison 5000 Gäste in 80 Hotels – und 2000 Tagesbesucher. Die jahrzehntealte Infrastruktur ist nur auf 800 Menschen ausgelegt. Abwasserkanäle laufen über, ständig fallen Strom und Wasser aus. Bis spät abends knattern Golfwagen am Strand entlang.
Selbst das Maskottchen leidet: Im Sommer bucht fast jeder Besucher eine Tour zu den Walhaien. Anmanchen Tagen umzingeln 200 Boote die Riesen, die verängstigt abtauchen. Einige haben Schnittwunden von Schiffsschrauben.
Arnaldo Bernádez gehört zu jenen, die die Insel retten wollen. Um zu zeigen, was auf dem Spiel steht, steigt der 60-Jährige ins Kajak. Rhythmisch stechen die Paddel ins trübe Wasser, ansonsten ist es still im Mangrovensumpf. Flamingos trippeln im seichten Meer und versenken ihren Schlauchhals im trüben Wasser. Auf den Luftwurzeln lauert ein Schmuckreiher, Pelikane starten mit schwerem Flügelschlag, darüber kreisen Fregattvögel. 420 Vogelarten leben im nationalen Naturschutzgebiet Yum Balam. Ein Drittel davon sind Zugvögel auf der Durchreise. Vom Aussterben bedrohte Ameisenbären und Tapire streifen durch den Wald. Und sogar ein fettes Krokodil gebe es hier, sagt Bernádez: Goliath. Aber heute sonnt sich Goliath offenbar woanders. Mitten in dieses Idyll wollte ein Investor ein riesiges Resort setzen. Drei Hotels, Hunderte Villen, Golfplatz und Jachthafen waren geplant. Nachdem Umweltschützer Sturm liefen, stoppten die Behörden die Pläne.
Aufgeschreckt durch die Blockade des Hafens, versprach der Gouverneur der Provinz Quintana Roo, die Kanalisation zu verbessern und die Insel über ein Unterseekabel zuverlässig mit Strom zu versorgen. Zudem haben die Behörden Dutzende nicht genehmigter Baustellen geschlossen. «Die Leute sehen, was anderswo passiert ist», sagt Arnoldo Bernádez. «Es wird hart, das zu stoppen. Aber zumindest können wir es verzögern.»
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