Microsofts schlimmstes Windows-Trauerspiel ist bald vorbei
Im April läuft der Support für Vista aus. Für Microsoft ein Moment zum Aufatmen. Und für Nutzer, die das System noch in Betrieb haben, Zeit zum Handeln.
Im April geht für Microsoft ein unrühmliches Kapitel zu Ende. Windows Vista wird offiziell eingestellt. Für die verbliebenen Nutzer des Systems ist das ärgerlich: Sie müssen sich nach einem neuen System umsehen oder gar ihren Computer ablösen – beachten Sie dazu die Tipps in der Box.
Für Microsoft andererseits ist das ein Grund zum Aufatmen: Vista gilt für viele als schlechtestes Betriebssystem aller Zeiten. Zu diesem harschen Urteil kommt etwa «PC World»: «Soll ich wirklich alles aufzählen, was bei Vista schiefgelaufen ist?», fragt der Autor rhetorisch – um dann auszuholen: Vista war aufgebläht und langsam. Dieses Problem war so ausgeprägt, dass der «Tages-Anzeiger» damals explizit gewarnt hatte: «Nur neueste Hardware stillt Vistas Leistungshunger. Das heisst: Keine Updates für alte PCs!»
Teuer, langsam, unübersichtlich
Es gab Vista in zu vielen verwirrlichen Varianten: Starter, Home Basic, Home Premium, Business, Enterprise und Ultimate. In der Europäischen Union war Microsoft gezwungen, Home Basic und Business auch noch in einer N-Version anzubieten. Diese enthielt keinen Media Player, weil Microsoft mit der Bündelung dieses Programms gegen das Kartellrecht verstiess. Noch schlimmer: In Südkorea musste Microsoft Windows Vista ohne den Media Player und ohne seine Instant-Messaging-Software anbieten. Manche Varianten waren gemessen an den heutigen Preisen happig teuer. Home Premium kostete in der Vollversion 499 Franken, das Update schlug mit 349 Franken zu Buche.
Einer der grössten Aufreger war aber das Problem bei der Kompatibilität: Viele der neuen Funktionen waren nur auf sehr leistungsfähigen Computern verfügbar. Das galt für die Aero-Glass-Oberfläche mit dem halbtransparenten Look und den Animationen beim Öffnen und Schliessen von Fenstern. Besonders pikant war das beim Flip 3-D: Mit dieser Funktion konnte man die offenen Fenster in einer 3-D-Ansicht durchblättern. Microsoft bewarb sie als Markenzeichen von Vista, obwohl die Benutzer von günstigen Rechnern sie überhaupt nie zu Gesicht bekamen.
Doch sogar Computer, die mit einem speziellen Vista-Sticker verkauft wurden, konnten nicht alle Funktionen ausführen. So war dieses Logo kein Garant, dass man auch mit der Filmschnittsoftware Microsoft Movie Maker arbeiten konnte.
Bahnbrechend? Von wegen!
Was war schiefgelaufen? Microsoft war an den eigenen Ambitionen gescheitert. Einerseits wollte man damals «a breakthrough computer experience», also ein «bahnbrechendes Computererlebnis» liefern und beweisen, dass Desktop-PCs trotz des aufstrebenden Internets längst nicht ausgedient haben. Darum hat Microsoft die Seitenleiste eingebaut, in der mittels sogenannter Minianwendungen Informationen aus dem Web einliefen: Wetter, Börsen- und Wechselkurse, Nachrichtenticker und Online-Wörterbuch. Andererseits waren die wichtigen Kunden von Microsoft auch damals die Unternehmen, die Windows auf Millionen von Arbeits-PCs betrieben. Und die verlangten nüchterne, zuverlässige Arbeitsmaschinen und möglichst wenig Lernaufwand beim Umstieg.
Umgekehrt hat es Microsoft nicht geschafft, wirklich entscheidende Neuerungen einzubauen. Mit WinFS wären Dateien in einer leistungsfähigen Datenbank verwaltet worden, was die Suche massiv verbessert und beschleunigt hätte. Doch dieses Projekt wurde kurz vor der Veröffentlichung auf Eis gelegt und später komplett eingestellt.
Nichts zum Gernhaben
So bestanden die bahnbrechenden Neuerungen aus aufgepropftem Schnickschnack, der den Computer langsam und träge, aber nicht wesentlich besser oder sympatischer machte. Der «Tages-Anzeiger» urteilte damals: «Trotz vielen netten Neuerungen, den liebevoll gestalteten Spielen und den gefälligen Darstellungen von Bilderordnern im Explorer hat Microsoft kein Betriebssystem zum Gernhaben hingekriegt. Wer seinen Compi ins Herz schliessen will, bleibt beim Mac.»
Vista als schlimmste Windows-Version aller Zeiten? Das galt zumindest bis Windows 8, wo das radikal neue, auf Tablets zugeschnittene Design die Nutzer noch mehr verunsicherte als die optischen Spielereien von Vista. Microsoft hat jedenfalls seine Lehren aus dem Flop gezogen: Viele der Neuerungen wie die Seitenleiste und der 3-D-Flip wurden bei den neueren Versionen stillschweigend entfernt. Microsoft hat erkannt, dass die langen Entwicklungszyklen bei Windows es sehr schwer machen, rechtzeitig und adäquat auf den immer schneller werdenden Wandel zu reagieren. Windows wird daher nicht in grossen Versionssprüngen entwickelt. Seit Windows 10 wird das Betriebssystem «as a service» entwickelt: Das heisst, kontinuierlich und in kleinen, schnellen Iterationen.
Ironischerweise stand die Idee, Windows als Dienst kontinuierlich zu entwickeln, schon bei Vista im Raum. Damals hat Microsoft aber kein Bezahlmodell gefunden. Die Anwender wären nicht willig gewesen, das Betriebssystem zu mieten oder in kurzen Intervallen für Updates zu bezahlen. Damit sich diese Idee durchsetzen konnte, brauchte es den Preiszerfall bei den Betriebssystemen und die Neuorientierung von Microsoft weg von Windows hin zur Cloud und zur Softwareherstellung für alle relevanten Plattformen.
Eine Innovation, die keine war
Übrigens: Der Autor des «Tages-Anzeigers» – der gleiche, der heute auch diesen Rückblick schreibt – hat sich damals auch eine echte Fehlprognose geleistet. So schrieb er: «Eine einzige Innovation hat das Zeug, den Vista-Rechner zum schicken Statussymbol zu machen, mit dem man im Freundeskreis angibt.»
Gemeint war die Sideshow: Das war ein zweites Display, das bei einem Notebook auf dem Deckel angebracht war und dort selbst bei ausgeschaltetem Gerät über neue Mails oder einen anstehenden Termin hätte informieren sollen. Das Sideshow-Display war sogar darauf ausgelegt, in Taschen und Kleidungsstücke integriert zu werden. Doch es war eine Totgeburt: Es sind kaum Geräte auf den Markt gekommen, die von der neuen Möglichkeit Gebrauch gemacht hätten.
Heute nutzen wir eine ganz ähnliche Funktion am Telefon und an der Smartwatch. Es bleibt die Frage, ob Microsoft mit seiner Idee zu früh war – oder ob die Gerätehersteller damals das Potenzial nicht erkannt und die Idee deswegen nicht aufgegriffen haben. Microsoft jedenfalls hat die Lehren aus diesem Debakel gezogen: Der Konzern produziert mit den Surface-Modellen heute eigene Hardware und ist nicht mehr auf die Kooperation mit HP, Dell, Lenovo, Acer und Co. angewiesen.
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