Bezug von russischem Uran Millionenklage gegen Axpo: Reales Risiko oder bloss Vorwand?
Der Stromproduzent bezieht Uran aus Russland. Wie gross wäre die Gefahr einer Schadenersatzforderung, wenn er die Verträge einseitig auflösen würde? Ein Experte ordnet ein.

Was sind Lieferverträge in Kriegszeiten wert? Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat potenziell weitreichende Folgen auf die Geschäftsbeziehungen vieler Unternehmen, auch in der Schweiz. Prominentes Beispiel ist die Axpo. Das grösste Energieunternehmen der Schweiz bezieht einen guten Teil des Urans für die Kernkraftwerke Leibstadt und Beznau aus Russland, die Lieferkette führt zum russischen Staatskonzern Rosatom. Die Verträge laufen im Fall von Leibstadt bis 2025, bei Beznau bis Ende der Dekade.
Im Zuge der Ukraine-Kriegs ist die Axpo in die Bredouille geraten. Politiker vor allem aus dem links-grünen Lager fordern das Unternehmen auf, seine Geschäftsbeziehungen in Russland zu kappen. Dies könnte die Axpo jedoch teuer zu stehen kommen: Insider sprechen von 150 bis 200 Millionen Franken. Die Axpo prüft derzeit mögliche Strategien. Allerdings ist unklar, bis wann sie damit fertig ist.
Fall von höherer Gewalt?
Kritiker halten das für ein Spiel auf Zeit. Nils Epprecht von der Schweizerischen Energie-Stiftung etwa ist überzeugt: Die Axpo könnte argumentieren, dass ihr Vertrauen in Rosatom durch den Einmarsch Russlands und die atomaren Drohgebärden zerstört sei und sie den Vertrag damit auch ohne Schadenersatz einseitig brechen könne. «Die Schadenersatzzahlungen scheinen mir vor allem ein Vorwand zu sein, nicht sofort aus den Uranlieferungen auszusteigen.»
Eine Vertragsauflösung wäre laut Epprecht nämlich mit grossen Aufwänden in den Kernkraftwerken verbunden. So etwa müssten die technischen Spezifikationen der Brennelemente genau auf das jeweilige Werk abgestimmt werden, eventuell müsste die Axpo sogar den Lieferanten der Brennstäbe, Framatome in Deutschland, wechseln. Die Axpo sagt dazu nichts: Es sei noch zu früh, um sich zu den umfangreichen Abklärungen zu äussern.
Allerdings ist damit nicht gesagt, dass ein Unternehmen wegen eines Krieges, in den das Land seines Vertragspartners verwickelt ist – oder vielleicht sogar der Vertragspartner selbst –, von einer Lieferung oder sogar einem ganzen Vertrag Abstand nehmen darf. «Das hängt von der konkreten Formulierung der Force-Majeure-Klausel ab», sagt Picht. Rosatom steht in der Kritik, weil der Staatskonzern der russischen Armee hilft, das illegale besetzte ukrainische Kernkraftwerk Saporischschja unter Kontrolle zu halten.
Die Axpo versichert: «Werden Sanktionen ergriffen, tragen wir diese selbstverständlich mit.»
Möglich ist, dass die Klausel eine Sistierung oder Beendigung des Vertrages nur vorsieht, wenn ein Vertragspartner wegen eines Kriegsereignisses seine Leistung tatsächlich nicht mehr erbringen kann. Auch die schweizerische Gesetzgebung sieht diese Option vor, und zwar unabhängig davon, welche vertraglichen Abreden die Parteien getroffen haben. Es erscheine ihm aber nicht ausgemacht, sagt Picht, dass diese Konstellation hier greife, wenn und weil die Lieferungen von Energieträgern aus Russland rechtlich und tatsächlich noch möglich seien.
Klarer wäre der Fall, wenn die fraglichen Uranbezüge Sanktions- oder Embargovorschriften unterlägen. Wäre dies der Fall, beginge ein Schweizer Unternehmen keinen Verstoss gegen das schweizerische Recht, wenn es die Lieferungen nicht mehr entgegennähme. Doch sind, zumindest aktuell, Uranlieferungen weder mit Sanktionen noch einem Embargo belegt. Die Axpo ihrerseits versichert: «Werden Sanktionen ergriffen, tragen wir diese selbstverständlich mit.»
Offen ist, wo ein juristischer Streit ausgetragen würde. Internationale Lieferverträge enthalten sehr häufig Schiedsklauseln, die besagen, dass die Parteien ihre Konflikte vor einem Schiedsgericht austragen müssen – und nicht vor einem staatlichen Gericht, zum Beispiel in der Schweiz. Solche Schiedsverfahren sind oft an eine Verpflichtung zur Geheimhaltung geknüpft. Auch diesen Umstand müsste – wenn denn eine Schiedsklausel bestehe – ein Unternehmen in seine Überlegungen einbeziehen, so Picht. Denn: «Ein nicht öffentliches Schiedsverfahren unterliegt weniger dem Druck der öffentlichen Meinung als ein öffentliches Verfahren vor staatlichen Gerichten.»
Stefan Häne ist Redaktor im Ressort Inland. Er schreibt und recherchiert zum aktuellen Politgeschehen in der Schweiz.
Mehr InfosFehler gefunden?Jetzt melden.