Milton schwebt über allem
Der brasilianische Sänger Milton Nascimento schafft es seit den Sechzigerjahre, seinen Gedanken Flügel zu verleihen.

Ein österreichischer Hersteller von klebrigen Energy Drinks wirbt damit, seinen Konsumenten Kräfte zu verleihen, die diese fliegen lassen. Ein energetischer Schub jenseits aller Sagbarkeit wird propagiert. Milton Nascimento, 1942 in Rio de Janeiro geboren, ab Ende der Sechzigerjahre mit Stücken wie «Travessia», «Catavento» und «Ponta de Areia» berühmt geworden, ist mit der Gabe gesegnet, seinen Gedanken einen ebensolchen Schub zu verleihen. Irgendwie scheinen sie, verpackt in Songzeilen, verpackt in erhabenen Gesang von enormem Tonumfang, in den besten Momenten seiner langen Karriere über allem zu schweben.
Mit himmlischem Gesäusel hat das allerdings gar nichts zu tun: Er handelt auf einer allgemeingültigen Ebene den ganzen Schleudergang an Gefühlen ab, den das Leben eben so darstellt. Auf, ab, auf, ab – und hoffentlich wieder auf. In «Travessia» etwa bildet er die innerliche Zerrissenheit nach einer Trennung ab. Um ihn herrscht plötzlich Dunkelheit, das Haus ist kein Heim mehr, der Ansprechpartner fehlt. In der zweiten Strophe wird die Dunkelheit erdrückender, er denkt über Suizid nach – und kann sich schliesslich, in Strophe 3, doch noch in die Hoffnung retten.
Schon «Courage», sein Zweitlingswerk von 1969, zieht einem als Hörer innert weniger Sekunden die Socken aus. Unterstützt durch die Streicher- und Bläserarrangements von Entdecker und Förderer Eumir Deodato, wachsen die Stücke zu riesenhafter Grösse und Eleganz an.
Nascimento einen Crooner zu nennen, ist fast eine Beleidigung. Bei manchen Stücken braucht er nicht mal zu singen, um diesen schwebenden Zustand zu erzeugen. Für den britischen Tastemaker und DJ Gilles Peterson («Talkin' Loud», «Worldwide») ist Nascimento der grösste lebende brasilianische Musiker. Popstar Björk verehrt ihn. Wayne Shorter, Herbie Hancock und natürlich seine Generationsgenossen Caetano Veloso und Gilberto Gil haben immer wieder mit ihm kollaboriert. Ersterer nahm mit ihm 1974 das Album «Native Dancer» auf und begünstigte damit ebenfalls die Entwicklung seines ästhetischen Flügelschlags.
Seither gabs zugegeben auch immer wieder Mittelmass und längere Findungsübungen zu hören. Aber wenn Nascimento zum Gesang ansetzt, steht ihm noch heute kein Hindernis im Weg.
Mi — 20 Uhr Kaufleuten Pelikanplatz Eintritt 76 Frankenwww.kaufleuten.ch
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