Minister in Bagdad – Flüchtling in Schweden
Der irakische Verteidigungsminister Shammari erhielt unter falschem Namen Sozialhilfe.

Politikern wird manchmal ein gewisser Hang zu Gedächtnislücken nachgesagt. Meist treten diese akut auf, wenn etwa Telefonate, Treffen oder Überweisungen plötzlich wieder wichtig werden, die nach Ansicht des oder der Betroffenen nicht unbedingt in der Öffentlichkeit erörtert werden müssten. Beim irakischen Minister Najah al-Shammari verhält es sich etwas anders: Er ist fest davon überzeugt, seine Sinne beisammen zu haben, Gedächtnisprobleme hatte er eher in der Vergangenheit.
Im Juni übernahm der Sunnit, der vor und nach dem Sturz von Diktator Saddam Hussein 2003 Karriere im irakischen Militär machte, das Verteidigungsministerium der neuen Regierung in Bagdad. Als solcher leitet Shammari den Kampf gegen die letzten Überbleibsel des sogenannten Islamischen Staats und muss gleichzeitig versuchen, seine Armee wieder in den Griff zu kriegen: Um die Terroristen des IS zu besiegen, waren ab 2014 zahlreiche vom Iran gelenkte Milizen entstanden, die nun ihre Waffen nicht abgeben.
Aus diesen Gründen taucht Shammari ab und zu in der Weltpresse auf, etwa, wenn er seinen Amtskollegen Mark Esper aus den USA im Irak empfängt. Diese Bilder sahen kürzlich Bewohner der Stockholmer Trabantenstadt Varby, 3500 Kilometer nördlich von Bagdad. Sie erkannten in dem Minister mit dem gemütlichen Schnauzbart jedoch jemand anderen: Ihren Nachbarn Najah al-Adeli, den irakischen Flüchtling, der 2009 ins Land gekommen war und 2015 die schwedische Staatsbürgerschaft angenommen hatte.
Einmal im Jahr zur Post
Einer dieser Menschen aus Varby hat dann Kontakt mit den Behörden aufgenommen. Schwedische Boulevardzeitungen berichten von Ermittlungen gegen Shammari und dessen Ehefrau wegen Sozialbetrugs. Neben dem schwedischen Pass soll er auch anderes angenommen haben: Kindergeld und Wohngeld etwa, vor allem auch Arbeitslosenunterstützung. Wegen eingeschränkter Erinnerungsfähigkeit hatte sich Shammari jahrelang arbeitsunfähig schreiben lassen.
Wann genau der heute 52-Jährige in den Irak zurückzog, können die schwedischen Behörden noch nicht sagen. Sie scheinen aber sicher zu sein, dass er noch Unterstützung kassierte, als die Familie schon längst wieder in Bagdad lebte. Offiziell sei er immer noch in Varby gemeldet und lasse sich die Post dorthin schicken, heisst es. Die hole er einmal im Jahr ab, wenn er mit seiner Familie eine Woche dort verbringe, wohl um den Behörden vorzuspielen, er lebe immer noch immer in Schweden.
Das Verteidigungsministerium in Stockholm bestätigte nun, dass der irakische Minister einen auf einen zweiten Namen ausgestellten schwedischen Pass besitzt. Das Verteidigungsministerium in Bagdad bestreitet das, veröffentlichte eine Verteidigungsschrift auf Facebook. Alle erhobenen Vorwürfe seien unwahr und ein «billiger Versuch», Shammari «zu diskreditieren». Und dann folgten Sätze über die heroische Rolle des Ministers in den vergangenen Wochen, in denen er die Teilnehmer der Massendemonstrationen im Irak unterstützt und beschützt habe.
Für die Iraker müssen diese Sätze wie purer Hohn klingen: Seit Wochen versammeln sie sich, um gegen Korruption und Nepotismus in der irakischen Politikerkaste zu protestieren. Unterstützung durch die Armee oder den Verteidigungsminister erfahren sie dabei nicht, im Gegenteil: Allein am Sonntag wurden 12 Demonstranten von Sicherheitskräften getötet, seit Beginn der Proteste starben mindestens 342 Menschen. Irakische Menschenrechtler sprechen zudem von 16'000 Verletzten.
Bei den ersten Protestmärschen gingen die Menschen auch auf die Strasse, um ihre Solidarität mit einem geschassten Militär auszudrücken, der als Kommandant einer Eliteeinheit im Kampf gegen den IS zum Volksheld wurde und als besonders integer und unbestechlich gilt. Seit September muss er einen niederen Schreibtischjob in der Behörde Shammaris verrichten – des einstmals so vergesslichen Verteidigungsministers.
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