Mit der Scharia zu einem neuen Libyen
Der Chef des Übergangsrates betonte in seiner Rede in Tripolis, dass die Scharia als Grundlage eines künftigen libyschen Rechtsstaates dienen werde. Hinter diesen Worten steckt viel Kalkül.
Libyen soll nach dem Willen des Übergangsrates ein gemässigter islamischer Staat werden. Der Chef des Übergangsrats, Mustafa Abdul Jalil, umriss die gewünschte politische Ausrichtung. Ziel sei es, einen demokratischen Rechts- und Sozialstaat aufzubauen, in dem die islamische Rechtsprechung Scharia die wichtigste Quelle der Gesetzgebung sei.
Die neue Regierung werde keine extremistische Ideologie von links oder rechts akzeptieren, sagte Jalil in seiner ersten öffentlichen Rede vor tausenden Menschen. Er appellierte an seine Anhängerschaft, das Gesetz nicht in die eigene Hand zu nehmen und auf Vergeltung gegen Mitglieder des Ghadhafi-Regimes zu verzichten. «Wir sind ein muslimisches Volk, für einen moderaten Islam und wir werden auf diesem Weg bleiben», sagte Jalil nach Angaben des arabischen Nachrichtensender Al-Jazeera weiter.
Mit Jalils Plänen füge sich Libyen wieder in die Reihe der übrigen muslimischen Länder ein, wie die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» festhält. Denn die Scharia als Grundlage für einen Rechtsstaat gelte mit Ausnahme der Türkei auch in nicht islamistisch regierten Staaten der islamischen Hemisphäre. Selbst im Ägypten von Sadat oder Mubarak, die beide eng mit dem Westen kooperierten, war die Scharia die Grundlage der Gesetzgebung.
Zugeständnis an die Islamisten?
Trotzdem überrascht, dass ausgerechnet Jalil als Vertreter eines eher säkular orientierten Lagers so sehr die Scharia in seiner Rede betonte. Wie die «Süddeutsche Zeitung» schreibt, könnte dieser Schritt als ein Zugeständnis an die islamistischen Kräfte gedeutet werden.
Denn gerade in Tripolis scheinen die Islamisten mit dem dortigen Rebellen-Kommandeur Abdel Hakim Belhaj künftig eine politisch wichtigere Rolle zu spielen als in Benghazi. Belhaj selbst war früher ein Anführer einer exstremistischen Islamistengruppe. Seit der Revolution spielt Belhaj spielt seine Verbindungen zu den Islamisten herunter und befürwortet die Schaffung eines Rechtsstaates. Dabei soll er eng mit Jalil zusammenarbeiten.
Der Islamwissenschaftler Mathias Rohe meint im Gespräch mit derselben Zeitung, dass Jalil mit seinen sorgfältig gewählten Worten bewusst um eine breite Akzeptanz für das neue System werbe. Denn für eine grosse Mehrheit der libyschen Bevölkerung sei das Wort säkular negativ besetzt. Der Islam sei für sie ein zentraler Bestandteil der Kultur.
Amnesty warnt vor Gewaltspirale
Aus Sicht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International müssen die neuen Autoritäten mit den Missständen der vergangenen vier Jahrzehnte vollständig Schluss machen und neue Standards setzen, mit den Menschenrechten im Mittelpunkt. So müsse die Übergangsregierung Vergehen auf beiden Seiten des Konflikts ahnden. Andernfalls gebe es keine Gerechtigkeit, sondern es drohe ein endloser Teufelskreis aus Vergehen und Vergeltung.
In einem mehr als 100 Seiten umfassenden Bericht brandmarkte Amnesty zwar vor allem die Ghadhafi-Kräfte. Sie seien in grösserem Masse für Menschenrechtsverletzungen wie Angriffe auf Zivilisten verantwortlich. Doch haben den Angaben zufolge auch Rebellen-Kämpfer Gaddafi-Anhänger und mutmassliche Söldner entführt, willkürlich gefangengenommen, gefoltert und getötet.
Kämpfe halten an
Während der Übergangsrat das neue Libyen immer weiter gestaltet, gehen die Kämpfe gegen die letzten Hochburgen des untergetauchten Diktators Muammar al-Ghadhafi weiter. Die Rebellen haben nach eigenen Angaben den Stadtrand von Bani Walid eingenommen. Ausser Bani Walid werden auch Sirte, die Geburtsstadt Ghadhafis, die Oase Jufra und die Garnisonsstadt Sebha von Ghadhafi-Kämpfern kontrolliert.
Derweil endete die Flucht des Ghadhafi-Sohnes Al-Saadi in das Nachbarland Niger nicht in der Freiheit. Der 38-jährige ehemalige Fussballprofi sei von den Behörden in Niger festgenommen worden, berichtete der TV-Sender al-Jazeera. Die nigrische Regierung stehe in einem Konflikt. Einerseits sei sie der Ghadhafi-Familie dankbar dafür, dass sie einen Bürgerkrieg im Land beendet habe. Andererseits wachse internationaler Druck, den Gaddafi-Sohn sowie Anhänger des Ex-Diktators auszuliefern. 32 Mitglieder aus dem engsten Führungszirkel sollen durch die Wüste nach Niger geflüchtet sein.
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