Mit der virtuellen Brille zurück an den Tatort
Um Kapitalverbrechen aufzuklären, digitalisieren Forscher der Universität Zürich den Tatort und rekonstruieren das Geschehen in der virtuellen Welt.

Der 32-jährige Dominikaner wartete in einem Zürcher Internetcafé auf einen Drogenabnehmer. Er hatte knapp 100 Gramm Kokain in den Socken. Doch dann kam plötzlich alles anders. Sieben Polizisten betraten den Raum, darunter vier in Zivil. Als die Beamten den Mann verdächtigten und kontrollieren wollten, zückte er seine Pistole.

Ein Polizist schnappte sich ihn sofort, ein anderer zog die Dienstwaffe, und ein weiterer versuchte, die bewaffnete Hand des Dealers zu packen. Diesen ungewöhnlichen Fall vom August 2006 rekonstruierte Till Sieberth vom Institut für Rechtsmedizin der Universität Zürich zusammen mit Kollegen virtuell und und wird ihn nun an der «Scientifica» zeigen. Der Täter wurde Ende 2008 zu mehrfach versuchten Mordes verurteilt.
Virtuell begehbarer Tatort
Im Gerichtssaal hatte der Staatsanwalt damals schon ausgedruckte Bilder von computergenerierten 3-D-Rekonstruktionen, auf denen Aufenthaltsorte der beteiligten Personen sichtbar waren. Dadurch war es möglich, anders als mit einer fest installierten Videokamera den Raum aus verschiedenen Perspektiven darzustellen. «Gleichzeitig haben wir auch noch die Schussbahnen grafisch integriert und somit die Ergebnisse der forensischen Ermittlungen sichtbar gemacht», sagt Till Sieberth.
Seit zwei Jahren macht das Zürcher Team des 3-D-Zentrums des Instituts für Rechtsmediziner der Universität Zürich und des Forensischen Instituts der Stadt- und Kantonspolizei den Raum des Tatorts nun auch virtuell begehbar. So können Zeugen, Kriminaltechniker oder Juristen sich erstmals auch mithilfe einer VR-Brille direkt an den Ort des Verbrechens beamen, dort ungestört herumlaufen und sich alles in Ruhe aus unterschiedlichen Blickwinkeln und Distanzen anschauen.
Digitalisierte Täter
Die 3-D-Digitalisierung von Personen, möblierten Räumen und Tatwaffen sei inzwischen so gut, dass sie sehr realitätsnah sei und zur Aufklärung von Kapitalverbrechen beitrage, sagt Michael Thali, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin und Leiter der Virtopsy-Forschungsgruppe. Momentan werde Virtual Reality schweizweit in fünf Fällen verwendet. Weil die Ermittlungen derzeit noch liefen, dürfe er dazu keine Details sagen.
Anders ist es mit der Razzia im Internetcafé, wo der überführte Dealer sieben Schüsse abfeuerte und mit einem Streifschuss einen Polizisten an der Hand verletzte. Die Zürcher Experten konnten den Tatort später 1:1 virtuell nachbauen, weil die Räumlichkeit kurz nach der Tat mit einem Laserscanner erfasst wurde und es auch Aufnahmen einer Überwachungskamera gab.
«Dank raffinierter Hightech-Verfahren können wir in der Forensik immer mehr Fälle aufklären.»
Seitdem hat die Technik enorme Fortschritte gemacht. Dies wird beim zweiten Fall deutlich, bei dem man unter anderem das Stoffmuster der Sofas sieht. Hier wird ein Mord in einem Zürcher Restaurant gezeigt, bei dem eine Zeugin zwar in der Nähe war, aber nur den Schuss gehört hatte. «Ein weiteres Demonstrationsbeispiel», sagt Sieberth, das sich im Gegensatz zur Schiesserei im Internetcafé aber nie ereignet habe, sondern eine fiktive Handlung für Schulungszwecke sei. Dass die Personen darin so echt und natürlich aussehen, liegt daran, dass man sie zuvor in einer Art Kabine mit 70 Digitalkameras aus unterschiedlichen Richtungen aufgenommen und die Bilder danach mit einer Software zusammengefügt hat.
«Dank raffinierter Hightech-Verfahren können wir in der Forensik immer mehr Fälle aufklären», sagt Thali. Spannend sei, wenn man alle neuen Methoden in Zukunft auch kombinieren könne und zum Beispiel bei einem flüchtigen Schwerverbrecher anhand der DNA-Analyse von Tatortspuren auch die Farbe von Augen, Haut und Haaren ermitteln dürfe.
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