Mit Gewalt für eine bessere Welt
Krimi der Woche: «River of Violence» von Tess Sharpe ist ein beeindruckender Thriller um eine starke junge Frau.

Der erste Satz
Ich bin acht, als ich zum ersten Mal erlebe, wie mein Daddy einen Mann umbringt.
Das Buch
Ein Trend ist es vielleicht (noch) nicht, aber auffällig ist es schon: Jüngere Autorinnen aus den USA geben ihren Kriminalromanen einen feministischen Twist, indem sie starke Frauen aus dem Gangstermilieu zu den Heldinnen ihrer Geschichten machen. Nach Lola Vasquez, der Bandenchefin aus dem urbanen Dschungel von South Central in Los Angeles («Lola» von Melissa Scrivner Love, hier vor zwei Wochen vorgestellt), lernen wir jetzt Harley McKenna kennen, die junge Erbin eines Drogenproduktions- und Waffenschieberclans in den ruralen Weiten Nordkaliforniens, «wo schnell Blut fliesst und ganz eigene Gesetze gelten».
Harley ist die Icherzählerin in «River of Violence», dem ersten Roman für Erwachsene der Jugendbuchautorin Tess Sharpe. Harleys Kindheit «drehte sich nicht um Fahrräder und Schwimmpartys, sondern um Waffen, Vollmantelgeschosse und das verkrustete Blut anderer Männer unter Dukes Fingernägeln». Duke ist ihr Daddy. Er produziert Crystal Meth und schmuggelt Waffen. Er hat die Macht in der Region, dafür sorgte er mit brutaler Gewalt. Doch nun liegt er im Sterben, während Freunde und Feinde meinen, er mache in Mexiko einen drauf. Für Harley heisst es: jetzt oder nie. Sie will nicht, dass Drogensucht und Morde weiterhin die Gegend prägen. Also muss sie ein paar Männer, die nach Dukes Ableben sofort die Geschäfte übernehmen würden, aus dem Verkehr ziehen. Die 22-Jährige will nichts weniger als «eine bessere Welt, verdammt noch mal». Harley, die ihre Mutter bei der Explosion eines Meth-Labors früh verloren hatte, wurde von Duke so erzogen, dass sie dereinst seine Rolle übernehmen kann. «Wenn du ziehst, musst du bereit sein zu töten, Harley-Girl», lautete eine seiner Regeln. Doch Harley hat genug von der nicht enden wollenden Spirale der Gewalt. Am meisten am Herzen liegt ihr das Frauenhaus, das ihre Mutter in einem ehemaligen Motel der Familie aufgebaut hatte. Und sie weiss: Es gibt nichts Stärkeres als «eine Frau, die aus der Asche eines Feuers auferstanden ist, das ein Mann gelegt hat».
Tess Sharpe schildert den Feldzug von Harley, der drei Tage dauert, in starken Szenen. Dazwischen stehen Kapitel mit prägenden Ereignissen aus Harleys Kindheit und Jugend, welche die aktuelle Handlung verständlich machen. Im Vergleich zu «Lola» mag «River of Violence» teils etwas pathetisch und idealistisch wirken. Doch Tess Sharpe ist ein faszinierender Thriller gelungen. Eindrücklich ist, wie sie die Zerrissenheit ihrer Heldin zeigt. Wenn sie sich etwa ihren Daddy vorstellt als «einen Mann mit blutigen Händen und einem finsteren Herzen. Er hat mich geliebt. Er hat mich terrorisiert. Er hat mich zu dem gemacht, was ich bin.»
Die Wertung
Die Autorin
Tess Sharpe, laut eigenen Angaben auf ihrer Website in einer Berghütte als Tochter einer Punkrock-Mutter geboren (Jahrgang unbekannt), ist im ländlichen Nordkalifornien aufgewachsen. Nach einem Praktikum beim Oregon Shakespeare Festival studierte sie Theaterwissenschaften an der Southern Oregon University in Ashland, Oregon. Danach schlug sie zunächst eine Laufbahn als professionelle Köchin ein. Gleichzeitig begann sie, Kurzgeschichten zu schreiben. Seit 2014 publizierte sie vier Bücher für Jugendliche; ihr Debüt «Far from you» ist auch auf Deutsch erschienen («Mein wildes Herz», cbt, 2014). Sie ist zudem Mitherausgeberin von «Toil & Trouble», einer feministischen Anthologie über Hexen. An ihrem ersten Roman für Erwachsene, «Barbed Wire Heart» (2018; Deutsch: «River of Violence»), hat sie laut Aussagen in einem Interview schon seit vielen Jahren gearbeitet. Tess Sharpe lebt mit ihrem Mann und mit einem Rudel von Hunden und ehemals streunenden Katzen «tief im Hinterland» von Nordkalifornien.

Tess Sharpe: «River of Violence» (Original: «Barbed Wire Heart», Grand Central Publishing, New York 2018). Aus dem Englischen von Beate Schäfer. bold/dtv, München 2019. 524 S., ca. 22 Fr.
Alle weiteren Besprechungen finden Sie in der Collection «Krimi der Woche».
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