Mit Masken und Eisenstangen gegen Flüchtlinge
Grenzschützer jagen in Griechenland Migranten, die über die türkische Grenze ins Land gelangen, brutal zurück – ohne Registrierung, ohne Anhörung, ohne Verfahren.

Das türkische Dorf Kiremitcisalih liegt kaum einen Kilometer entfernt von der griechischen Grenze, die hier ein breiter, im Winter oft reissender Fluss ist. Dann tauchten in dem Dorf ein Dutzend Männer auf – in Unterhosen, sonst waren sie nackt. Die Bauern liessen die Fremden in ihr Teehaus, damit sie sich aufwärmen konnten. Es gibt ein Foto, das zeigt, wie sich die nackten Männer um einen alten schwarzen Bollerofen in der Teestube scharen. Einer hat rote Striemen auf dem Rücken.
«Mit Eisenstangen» hätten sie ihn geschlagen, drüben, auf der griechischen Seite der Grenze, hat der Mann mit den Striemen dem Dorfvorsteher erzählt. Die Schläger hätten schwarze Masken getragen. Ein anderer sagte, griechische Polizisten hätten ihm alles weggenommen, sein Handy, sein Geld, die Kleider. Alle erzählten, sie seien Flüchtlinge, kämen aus dem Jemen, aus Algerien, Palästina. Sie hätten es schon bis auf die griechische Seite des Flusses geschafft, dann aber hätten sie griechische Grenzschützer wieder in Boote gesetzt und gezwungen, zurück in die Türkei zu rudern.
Gegen internationales Recht
Seit die Nackten in Kiremitcisalih angekommen sind, berichten türkische Medien immer wieder über Migranten, die über die grüne Grenze aus Griechenland in die Türkei zurückgeschickt wurden. Anfang Dezember fand man vier Tote auf der türkischen Seite; die Männer – vermutlich aus Afghanistan oder Pakistan – sollen erfroren sein. Auch sie könnten Opfer von «Pushbacks» geworden sein, hiess es. So nennen Migrationsexperten das sofortige Zurückweisen von Flüchtlingen – ohne Registrierung, ohne Anhörung, ohne Verfahren. Solche «Abschiebungen» verstossen gegen internationales Recht, das hat der Europäische Menschenrechtsgerichtshof schon 2012 festgestellt. Damals ging es um italienische Grenzschützer und Bootsflüchtlinge aus Libyen. Die griechische Regierung hat die wiederholten Vorwürfe von Menschenrechtsorganisationen, sie lasse Pushbacks an der Landgrenze zur Türkei zu, immer wieder bestritten.

In einem neuen Bericht von Human Rights Watch werden nun Aussagen von 26 Flüchtlingen dokumentiert, die beidseits der Grenze befragt wurden und alle Ähnliches berichten: wie sie von griechischen Polizisten oder Grenzschützern aufgegriffen, in Gruppen gesammelt und wieder über die Grenze zurückgeschoben wurden. Der Bericht zitiert auch einen syrischen Flüchtling, der mit seiner Frau und drei Kindern im Alter von 12, 15 und 19 Jahren unterwegs war. «Wir wurden alle in einen Bus gesetzt, 60 bis 70 Leute. Von Kommandos, ganz in Schwarz, mit Gesichtsmasken. Sie fuhren uns wieder zum Fluss. Wir hatten grosse Angst. Da waren auch junge Leute dabei, die trugen nur Shorts, sonst nichts.» Sie seien von den Polizisten bedroht und beschimpft worden, sagten mehrere Interviewte. Manche hatten schon zwei- oder dreimal illegal den Grenzfluss überwunden und waren immer wieder in die Türkei zurückgebracht worden.
«Die Verantwortlichen in Griechenland sollten die Vorwürfe illegaler Zurückweisungen sofort untersuchen», fordert Todor Gardos von Human Rights Watch. Und die EU-Kommission, die Griechenland bei der Flüchtlingshilfe unterstützt, müsse Druck machen, zumal die Vorwürfe keineswegs neu seien. Die Menschenrechtsorganisation zitierte bei der Vorstellung ihres neuen Berichts aus einem bereits zehn Jahre alten Report, in dem auch schon illegale Abschiebungen durch griechische Grenzschützer beklagt wurden – und eine nicht weniger schlechte Behandlung von Flüchtlingen auf der türkischen Seite.
Die Inseln als Sackgasse
Im März 2016 haben die Türkei und die EU ein Flüchtlingsabkommen geschlossen. Zuvor waren etwa eine Million Menschen über die Balkanroute nach Norden gezogen. Seit Inkrafttreten des Abkommens kommen weit weniger Migranten in Booten auf den griechischen Inseln an. Die Inseln Lesbos und Chios liegen in Sichtweite der türkischen Küste, dort wird nun aber stärker kontrolliert. Deshalb weichen mehr Flüchtlinge auf die Landroute aus, über die teils schwer zu überwachende türkisch-griechische Grenze. Auch Schlepper haben ihre Touren geändert, sie zeigen die Wege von Istanbul in die türkische Grenzprovinz Edirne, wo auch das Dorf Kiremitcisalih liegt.
Das Abkommen legt fest, dass alle Migranten, die auf den griechischen Inseln ankommen, dort registriert werden, auch die Asylverfahren sollen auf den Inseln stattfinden. Wer abgelehnt wird, soll in die Türkei zurück. Die Verfahren dauern lang, und die Türkei hat bislang vergleichsweise wenige Flüchtlinge wiederaufgenommen. Auch ein eigenes griechisch-türkisches Rücknahmeabkommen funktioniert schlecht. Die Inseln sind damit für die meisten Flüchtlinge zur Sackgasse geworden. Auch deshalb suchen sie einen Weg über die grüne Grenze nach Europa.
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