Mit wenig Mitteln grossen Nutzen schaffen
Der Entwicklungsökonom Michael Kremer will mit günstigen Wurmkuren die Gesundheit von Kindern in armen Ländern verbessern.

Wenn Ökonomen ein Problem analysieren, dann schauen sie primär auf das Verhältnis von Nutzen zu Kosten. Lohnt sich eine bestimmte Massnahme oder eine Investition? Oder bringt sie gar nichts? Genau so geht auch Michael Kremer vor, nur ist bei ihm das Gebiet, auf dem er arbeitet, für einen Wirtschaftswissenschaftler eher untypisch: Der Entwicklungsökonom von der Harvard University in Cambridge bei Boston kümmert sich um die Gesundheit von Kindern in Drittweltländern. Er untersucht, welche Interventionen den grösstmöglichen Nutzen für die Betroffenen abwerfen.
Gesundheitliche Gefahren gibt es eine ganze Reihe in Entwicklungsländern. Dazu zählen potenziell tödliche Krankheiten wie Malaria, Pneumokokken-Infektionen oder Durchfallerkrankungen. Die stehen zwar nicht im direkten Fokus von Michael Kremers Forschungsagenda, dafür findet sich dort ein extrem häufiges, aber nicht lebensbedrohliches gesundheitliches Problem: Wurmbefall.
Weltweit sind gemäss der Weltgesundheitsorganisation WHO etwa 1,5 Milliarden Menschen mit Haken-, Peitschen- oder Spulwürmern infiziert. Betroffene zeigen entweder kaum Symptome oder aber eine ganze Reihe. Viele Infizierte fühlen sich schwach, sie leiden an Durchfall und Bauchschmerzen, manche ernähren sich schlecht, und bei betroffenen Kindern ist die Gewichts- und Grössenzunahme oft verlangsamt. Gegen den Wurmbefall gibt es effektive und sehr sichere Medikamente, die erst noch äusserst billig sind. Laut Kremer kostet in Indien eine Behandlung rund 30 Rappen. Nur: In vielen Gegenden haben die Menschen gar keinen Zugang zu den Wurmmitteln.
Kremer, dessen Lehrstuhl an der Harvard University von der Bill & Melinda Gates-Stiftung gesponsert ist, wollte daher herausfinden, welchen Nutzen eine Massenbehandlung mit Wurmmitteln hat. In Gegenden, wo mehr als jeder fünfte Bewohner mit Würmern infiziert ist, empfiehlt die WHO solche Massenbehandlungen. Das heisst: Alle erhalten die Wurmmittel ohne vorgängige Diagnose. Letztere sei bis zu zehnmal teurer als die Behandlung selber, sagt Kremer.
Mädchen gehen länger zur Schule
Für seine Studie wählte Kremer 25 Schulen in Kenia aus, alle in Gegenden mit hohem Wurmbefall. Wie bei einer klinischen Studie erhielten einige Schüler die Wurmmittel, anderen wurden sie vorenthalten. Als Kremer mit seinem Team die Daten auswertete, waren die Forscher ob der gefundenen Effekte verblüfft: Die entwurmten Kinder waren nicht nur gesünder, sie profitierten auch in der Schule und später ökonomisch. So gingen entwurmte Mädchen öfter als nicht entwurmte Kolleginnen nach der Primarschule auf eine weiterführende Schule. Bei den Buben zeigte sich ein anderer Effekt: Sie arbeiteten als junge Erwachsene länger und hatten so ein grösseres Einkommen.
Und die Effekte waren dauerhaft. 15 Jahre nach der Entwurmung verdienten die Behandelten nicht nur mehr, ihre Konsumausgaben waren auch bis zu 30 Prozent höher. Da kommt das Nutzen-Kosten-Verhältnis ins Spiel, das Ökonomen so sehr mögen. 150:1 betrage dieses für die Entwurmung, sagte Kremer kürzlich, sichtlich stolz, bei unserem Treffen im Vorfeld der Jahreskonferenz des Center for Child Wellbeing and Development (CCWD) an der Universität Zürich. «Das ist eine unglaublich hohe Rate.»
Zum ersten Mal reiste Michael Kremer 1985 als Tourist nach Afrika, er war 21 und hatte eben das College abgeschlossen. Sein Interesse galt damals schon der Entwicklungshilfe, er wollte vor Ort Erfahrungen und Eindrücke sammeln. Und wie es so kommt, fragte ihn ein lokaler Politiker, der im Westen Kenias gerade eine Schule eröffnete, ob er nicht als Lehrer arbeiten wolle. Er sagte zu und unterrichtete ein Jahr lang an der Sekundarschule im Kakamega-Distrikt. Fortan sollte ihn das Land und seine Probleme nicht mehr loslassen.
Mehr als 30 Jahre später liegt Kremer noch immer das Wohlergehen der Menschen in Entwicklungsländern am Herzen. «Von all den wirtschaftlichen Problemen, die sich stellen, ist dasjenige der globalen Entwicklung am wichtigsten», sagt der 53-Jährige. «Deshalb fokussiere ich meine Forschung auf diese Themen.» Man müsse allerdings auch sagen, dass es in den letzten Jahrzehnten dramatische Fortschritte gegeben hat. «Die Kindersterblichkeit ging drastisch zurück, und die Bildung hat sich massiv verbessert, nicht nur in Indien und China, sondern auch in Afrika.»
Diese Erfolge haben zum Teil mit den Erkenntnissen aus Kremers Forschung zu tun. So konnten er und sein Team zum Beispiel auch zeigen, dass eine einfache Lösung zur Behandlung von verschmutztem Wasser massive Konsequenzen für die Gesundheit der Menschen haben kann. Sie liessen bei den Brunnen, wo die Menschen ihr Wasser holen, Container mit einer Chlorlösung aufstellen. In der Folge reinigten viel mehr Menschen das Trinkwasser, als sie dies zu Hause taten, und als Konsequenz erlitten weniger Kinder potenziell tödliche Durchfallerkrankungen. Weltweit sterben pro Jahr noch immer über 500'000 Kinder daran.
Gegen Pauschalrezepte bei der Hilfe
Trinkwasseraufbereitung und Entwurmung sind typische Beispiele für Kremers Arbeit. Er fokussiere seine Forschung vor allem auf einfache Aufgaben, sagt er, auf die «low-hanging fruits», die tief hängenden Früchte, wie man auf Englisch so schön sagt. «Billige und einfach realisierbare Investitionen können eine sehr grosse Wirkung haben.»
Nicht viel hält Kremer dagegen von Pauschalrezepten bei der Entwicklungshilfe. Weder die komplette Ablehnung jeglicher finanzieller Hilfe, wie sie die Ökonomin Dambisa Moyo in ihrem Buch «Dead Aid» vor ein paar Jahren forderte, noch die Glorifizierung der Entwicklungshilfe als einzigem Weg aus der Schuldenfalle für afrikanische Länder, wie sie der Ökonom Jeffrey Sachs vertritt, seien zielführend, sagt Kremer. Heute liege der Fokus auf der Evidenz, also auf der Frage, ob eine Massnahme ökonomisch und für die Gesundheit der Betroffenen Sinn mache. «Ich sehe meine Aufgabe darin, diese Evidenz zu liefern.»
Dieses Motiv leitet ihn auch in seinem jüngsten Projekt. Dabei geht es um die Frage, wie agronomisch relevante Informationen möglichst schnell und zielgerecht zu den Bauern kommen. Heute hätten die meisten Bauern Handys, was die Aufgabe massiv erleichtere, sagt Kremer. Wenn man ihnen in ihrer eigenen Sprache und ganz gezielt sage, was sie bei drohender Trockenheit oder gegen einen Schädling unternehmen können, dann würden die Bauern die empfohlenen Massnahmen auch umsetzen. Dies habe ein breit abgestütztes Projekt in Äthiopien gezeigt.
Typisch Kremer, könnte man sagen: eine weitere «low-hanging fruit», und eine, die ebenfalls ein hohes Nutzen-Kosten-Verhältnis verspricht.
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