Mithilfe der CVP gegen Leuthards Klimaziel
SVP und FDP weichen den Klimaschutz auf – mithilfe von CVP-Politikern. In Doris Leuthards Partei sorgt das für Verärgerung.

So hat sich Umweltministerin Doris Leuthard einen ihrer letzten Kämpfe gegen den Klimawandel nicht vorgestellt. Die Schweiz soll ihr Klimaziel 2030 allein durch den Kauf von Emissionszertifikaten im Ausland erfüllen können. Das hat der Nationalrat im Rahmen der Revision des CO2-Gesetzes heute Morgen beschlossen.
Zwar trägt er das Ziel des Bundesrats mit, die CO2-Emissionen bis 2030 gegenüber 1990 zu halbieren. Er will aber keinen fixen Inlandanteil an diesem Ziel im Gesetz verankern. Der Bundesrat wollte mindestens 30 Prozentpunkte im Inland einsparen, den Rest im Ausland. Vergeblich warnte Leuthard, ohne eine quantifizierte Zielvorgabe fehle ein wichtiger Ankerpunkt für die Ausgestaltung der einzelnen Klimaschutzmassnahmen im Inland, etwa der CO2-Lenkungsabgabe auf Brennstoffe.
«Kritiker bestätigt»
Mit der Streichung des Inlandziels haben SVP und FDP ihre Mehrheit im Rat ausspielen können. Es ist auch ein Sieg für den Wirtschaftsdachverband Economiesuisse und den Gewerbeverband, die für diese Lösung lobbyiert haben. Möglich wurde der Erfolg aber wegen zweier Abweichler just aus Leuthards Partei, der CVP: des Tessiners Fabio Regazzi und des Wallisers Thomas Egger. Regazzi verteidigt seinen Entscheid. Fixe Inland- und Auslandziele seien im Interesse einer effizienten Umsetzung des Gesamtreduktionsziels falsch. Egger war für eine Stellungnahme nicht erreichbar.
Dazu haben zwei CVP-Exponenten gefehlt: Elisabeth Schneider-Schneiter, die dem Vernehmen nach mit Bundesrat Johann Schneider-Ammann (FDP) in den USA weilt, und Viola Amherd, die heute mit ihrer Bundesratskandidatur beschäftigt ist.
Dass Egger und Regazzi ausgeschert sind, hat in der Fraktion für beträchtliche Verärgerung gesorgt, wie CVP-Parlamentarier berichten. Man habe diese so wichtige Abstimmung «verbockt», sagt ein Mitglied. Die Partei habe es mal wieder nicht geschafft, geeint aufzutreten, und so jene Kritiker bestätigt, die in der CVP keine zuverlässige Partnerin sehen. Der führende Energiepolitiker der CVP, Stefan Müller-Altermatt, will trotz allem die Relationen gewahrt sehen: Fakt sei, dass sich die FDP «komplett aus dem Klimaschutz verabschiedet» habe – und nicht die CVP.
Keine zusätzlichen Standards für Auslandzertifikate
Auch bei den Standards für internationale Bescheinigungen diktierte die rechte Ratsseite die Regeln. Emissionsverminderungen, die im Ausland erfolgen, sollen nur die international festgelegten Anforderungen erfüllen, damit sie in der Schweiz berücksichtigt werden. Zusätzliche Anforderungen strichen SVP und FDP, etwa die Voraussetzung, dass die CO2-Reduktion ohne Verkauf des Klimazertifikates nicht zustande gekommen wäre.
Damit kann die Schweiz künftig in ausländische Klimaschutzprojekte investieren, die auch ohne ihr Geld laufen würden. Ungebannt bleibt auch das Risiko, dass CO2-Einsparungen – wie in der Vergangenheit – in den nationalen Treibhausgasinventaren doppelt gezählt werden: vom Land, das Emissionsrechte kauft, und vom Land, das diese verkauft.
Billiger im Ausland – wie lange noch?
Linke Parlamentarier zeigen sich konsterniert. Er verstehe nicht, dass Wirtschaftsvertreter für Massnahmen im Ausland plädierten, sagt etwa Bastien Girod (Grüne). Für die Schweiz sei es eine grosse Chance, Lösungen zu entwickeln, die exportiert werden könnten und global wirkten. Peter Schilliger (FDP) entgegnet, dass mit Massnahmen im Ausland mit dem Franken die bestmögliche Wirkung erzielt werde, da die Kompensation im Ausland günstiger sei.
Das stimmt zwar derzeit, fraglich ist aber, wie lange noch. Experten wie der ETH-Professor Lucas Bretschger erwarten einen steilen Anstieg des Preises, wenn sich die am Austausch beteiligten Länder strikte Klimaziele verordnen und für den internationalen Emissionshandel ein strenges Regelwerk anwenden.
Setzt sich die rechte Seite weiter durch, worauf nach dem heutigen Tag einiges hindeutet, wird der Nationalrat das neue CO2-Gesetz in der Schlussabstimmung womöglich ablehnen: SP und Grüne, weil es ihnen zu wenig weit geht, die SVP, weil sie es im Grundsatz ablehnt. In diesem Fall müsste der Ständerat die Vorlage von Grund auf neu beraten.
Erste Ständeräte drängen auf Korrektur
Linke Parlamentarier hoffen in jedem Fall auf ein Korrektiv der kleinen Kammer, in der SVP und FDP anders als im Nationalrat keine Mehrheit haben. Nicht nur linke Ständeräte, auch Vertreter der Mitteparteien zeigen sich gewillt, sich für eine Rückkehr zu einem fixen Inlandziel einzusetzen, so etwa Beat Vonlanthen (CVP) und Werner Luginbühl (BDP). Vonlanthen bezeichnet den Entscheid des Nationalrats als «nicht verständlich». Als Wirtschaftsvertreter unterstütze er konkrete Zielsetzungen. «Es scheint mir absolut wichtig zu sein, dass wir mit dem CO2-Gesetz betreffend Klimaschutz Nägel mit Köpfen machen», sagt Vonlanthen. «Wir sind das unseren nachfolgenden Generationen schuldig.»
Bundesrätin Leuthard ist überzeugt, dass der Ständerat Korrekturen im Sinne des Bundesrats vornehmen wird. «Die Bevölkerung erwartet nach diesem Hitzesommer, dass die Politik zugunsten des Klimaschutzes handelt. Die Menschen würden es nicht verstehen, wenn man nichts tun würde.»
Doch das Momentum könnte definitiv zugunsten von SVP und FDP kippen. Grund ist Leuthards anstehender Rücktritt. Wer wird auf sie an der Spitze des Umweltdepartements folgen? Mehrere Ständeräte aus dem Mitte-links-Lager hätten sich gewünscht, dass die CVP-Magistratin das Geschäft auch in der kleinen Kammer noch vertreten hätte. «In der kommenden ungewissen Konstellation steigen meine Bedenken, ob wir die notwendigen Mehrheiten erreichen», sagt BDP-Ständerat Luginbühl.
Hoffnung auf Wahlen und Volksinitiativen
Sicher scheint: Das Parlament wird über das neue CO2-Gesetz erst nach den nationalen Wahlen im Herbst 2019 definitiv befinden. «Solange SVP und FDP die Mehrheit im Nationalrat haben, wird es keinen griffigen Klimaschutz in der Schweiz mehr geben», sagt SP-Vizepräsident Beat Jans. «Aus diesem Grund werden die Wahlen 2019 zur Klimaschutz-Wahl.»
Linke Kreise hoffen zudem, dass nun Volksbegehren wie die Gletscherinitiative, die den Ausstieg aus der fossilen Energie bis Ende 2050 fordert, über das rot-grüne Lager hinaus an Unterstützung gewinnen. In der BDP kursiert die Idee einer eigenen Volksinitiative zum Ausstieg aus dem Strassen- und Luftverkehr mit Verbrennungsmotoren. Nationalrat Hans Grunder hat diese Option in der Debatte von gestern Montag angetönt und im «Blick» weiter präzisiert.
Es könnte also eine Mitte-links-Allianz entstehen. «Wenn es im CO2-Gesetz keine Verbesserungen mehr gibt, werden wir die Gletscherinitiative oder eine alternative Volksinitiative unterstützen», sagt auch GLP-Präsident Jürg Grossen. «Für die Sache wichtig ist, dass diese breit abgestützt und kein isoliertes Parteiprojekt ist.»
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