Mladic 2009 in Belgrader Klinik operiert
Die Zweifel an der angeblichen langjährigen Unwissenheit der serbischen Regierung über Ratko Mladics Aufenthaltsort werden grösser. So wurde der Flüchtige in Belgrad offenbar operiert und erhielt eine Chemotherapie.
Immer mehr Details zur 16-jährigen Flucht des mutmasslichen Kriegsverbrechers Ratko Mladic werden bekannt. Während die Behörden am Vortag mitgeteilt hatten, er habe sich in den letzten sechs Jahren in und um Belgrad versteckt, berichtete sein Anwalt Milos Saljic, er sei 2009 in einem Belgrader Spital behandelt worden.
Der frühere Militärchef der bosnischen Serben habe von April bis Juli 2009 in einer nicht näher bezeichneten staatlichen Klinik in der Hauptstadt verbracht, sagte Saljic. Dort sei er operiert worden und habe eine Chemotherapie erhalten.
Während zahlreiche Sicherheitsexperten behaupten, die Regierung in Belgrad habe immer gewusst, wo sich Mladic bei seiner 16-jährigen Flucht aufhält, hatte Staatspräsident Boris Tadic das als «Blödsinn» bezeichnet. Die Behörden hätten den Angeklagten sofort verhaftet, nachdem sie sein Versteck bei der Stadt Zrenjanin nördlich von Belgrad entdeckt hätten.
Mladic «extrem kooperativ» und gesund
Seit seinem gestrigen Eintreffen in Den Haag hat sich der mutmassliche serbische Kriegsverbrecher Ratko Mladic nach Angaben eines UN-Mitarbeiters kooperativ verhalten. Der Beamte John Hocking erklärte, er habe gestern mithilfe eines Dolmetschers mit Mladic gesprochen. Dieser sei «extrem kooperativ» gewesen und habe ihn anscheinend gut verstanden.
Ein Arzt untersuchte Mladic und fand keine medizinischen Probleme, die ein Erscheinen vor dem Tribunal verhindern könnten, wie Hocking weiter sagte. Mladics Anwalt in Belgrad hatte erklärt, der 69-Jährige sei geistig und körperlich nicht stark genug für einen Prozess.
Anhörung noch diese Woche
Ratko Mladic wird diesen Freitag zum ersten Mal vor dem Tribunal in Den Haag erscheinen. Der niederländische Richter Alphons Orie unterzeichnete ein entsprechendes Dokument. Bei der Anhörung wird Mladic aufgefordert, sich zu den elf Anklagepunkten zu äussern. Die Sprecherin des UNO- Tribunals, Nerma Jelacic, sagte, Mladic sei medizinisch untersucht worden und habe seine Anklageschrift erhalten. Die Nacht hatte er in einer Einzelzelle des Gefängnisses des Tribunals verbracht.
Der Chefankläger des Tribunals, Serge Brammertz, sagte in einem Interview mit der Belgrader Zeitung «Novosti», bei der ersten Anhörung vor dem Richter werde Mladic die Anklage vorgelesen. Er müsse sich dann schuldig oder unschuldig erklären, sagte Brammertz der Zeitung.
Vorbereitung seiner Verteidigung
Die immer wieder ins Spiel gebrachte Zusammenlegung des Verfahrens von Mladic mit dem Prozess von Radovan Karadzic sei «nicht wahrscheinlich», kündigte Brammertz an. Zwar seien viele Anklagepunkte gegen beide Männer identisch.
Allerdings laufe das Verfahren gegen den ehemaligen politischen Führer der bosnischen Serben im Bürgerkrieg (1992-1995) schon seit eineinhalb Jahren. Der Prozessauftakt gegen Mladic hänge davon ab, wie viel Zeit dieser zur Vorbereitung seiner Verteidigung benötige.
«Die mächtigste militärische Figur»
Der Prozess gegen den mutmasslichen serbischen Kriegsverbrecher vor dem UNO-Tribunal ist aus Sicht der Anklage eines der wichtigsten Verfahren überhaupt. «Er war die mächtigste militärische Figur in Bosnien- Herzegowina», begründete der Chefankläger des Tribunals, Serge Brammertz, am Mittwoch in Den Haag diese Position. «Mladic war der höchste Militär während des Krieges», sagte Brammertz weiter.
Mladic war nach fast 16 Jahren auf der Flucht vor kurzem in Serbien gefasst und nach Den Haag überstellt worden. Der Ex-General und der politische Serbenführer Radovan Karadzic, dessen Prozess bereits seit eineinhalb Jahren läuft, seien die «Hauptverantwortlichen» für die schwersten Kriegsverbrechen in Europa seit 1945, sagte der Ankläger weiter.
Dazu zählten die so genannten ethnischen Säuberungen, also die Vertreibung von Muslimen und Kroaten, der dreijährige Beschuss von Sarajevo, der Völkermord in Srebrenica und die Geiselnahme von UNO-Blauhelmen während des Bosnien-Kriegs (1992-1995).
Überarbeitete Anklageschrift
Brammertz versprach Mladic ein «faires Verfahren», in dem er alle seine Verteidigungsrechte wahrnehmen könne. Statt 15 würden nun elf Anklagepunkte gegen den bosnisch-serbischen Ex-General vorgebracht, sagte Brammertz weiter.
So werde ihm nunmehr zweifacher Völkermord zur Last gelegt, für das Massaker von Srebrenica sowie für Verbrechen an verschiedenen Orten zu Beginn des Bosnienkrieges. Die bisherige Anklageschrift hatte ihm Völkermord und Beihilfe zum Völkermord vorgeworfen. Insgesamt umfasse die Anklage neben den Vorwürfen des Völkermords fünf mutmassliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit und vier Kriegsverbrechen, sagte Brammertz.
Brammertz bedankte sich bei Serbiens Präsident Boris Tadic, den serbischen Behörden und den Geheimdiensten für die Verhaftung des 69- Jährigen. Die serbische Regierung müsse nun auch den immer noch flüchtigen kroatischen Serbenführer Goran Hadzic «ohne Verzögerung» verhaften.
dapd/sda/jak
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