Mord auf dem Säntis
Das Theater Konstanz hat den bis heute nicht restlos geklärten Doppelmord am Wetterwart-Ehepaar vom Säntis zum Opernstoff gemacht.

Die Uraufführung findet am 4. Juni am Tatort auf dem Gipfel des Säntis statt. Ein Probenbesuch auf 2502 Metern über Meer. Je länger die Fahrt mit der Säntisbahn dauert, umso dichter wird der Nebel. Der Gipfel ist in eine dicke Wolkenhülle gepackt. «Seit Gedenken war es ein Traum der Menschheit, das Wetter voraussagen zu können», schreibt Bruno Meier in seinem Buch «Säntiswetter», in dem er über die Freuden und Leiden der Wetterwarte berichtet.
Im Herbst 1882 war auf dem Säntis die erste Wetterstation in Betrieb genommen worden. Bis zum Bau der Säntis-Schwebebahn 1935 kämpften die Säntiswarte nicht nur mit Wind und Wetter, sondern auch mit den enormen körperlichen und psychischen Belastungen.
Sauerstoff für den Tenor
Auch für das Ensemble der Kammeroper ist die Arbeit auf dem Säntis enorm anstrengend. Am 24. Mai erfolgte der Umzug auf den höchsten Gipfel der Bodensee-Region. Die letzten zehn Tage vor der Uraufführung wird am Originalschauplatz geprobt.
«Die Sänger müssen sich erst an die Höhe gewöhnen», sagt Martina Kraus, Pressesprecherin des Theaters Konstanz. Dem koreanischen Tenor Yikun Chung machte die dünne Luft am meisten zu schaffen. Zuerst half Sauerstoff aus der Flasche, inzwischen verbringen einige der Sänger auch die Nächte auf dem Gipfel.
Die lange Fensterfront in der Panorama-Halle ist abgedunkelt. Links und rechts von der Bühne stimmen die Musiker ihre Instrumente. Der Dirigent steht auf einem kleinen Podest an eine Stützmauer gedrückt. Der Tenor in Westernunterwäsche und Flip-Flops kauft seinen Kindern noch rasch ein Glacé im Gipfel-Shop.
Abgeschlossen von der Aussenwelt
Zuerst war der Stoff da, die Musik kam später. Christoph Nix, Intendant des Theaters Konstanz, hat sich vor einem Jahr auf die Spur des mysteriösen Verbrechens gemacht, an den Originalschauplätzen recherchiert und die Akten studiert. Der Juraprofessor hat den Mordfall in ein Libretto gepackt.
Wir schreiben das Jahr 1922. Wetterwart Heinrich Haas und seine Frau Maria Magdalena verbringen - abgeschlossen von der Aussenwelt - den Winter auf der Wetterstation hoch oben auf dem Gipfel des Säntis.
Plötzlich bleiben im Tal die Wetterberichte aus. Mutige Säntisträger erklimmen den eingeschneiten Berggipfel und finden die Leichen des Ehepaars. Vom Täter fehlt jede Spur. Drei Wochen später erhängt sich der Schustergeselle Gregor Anton Kreuzpointner, der selbst Wetterwart werden wollte, in einer Alphütte in Urnäsch.
Zwölfton-Musik trifft Naturjodel
Für das Opernprojekt haben zwei ganz unterschiedliche Komponisten zusammen gefunden: Friedrich Schenker, ein Vertreter der 2. Wiener Schule, ein Zwölftöner und oppositioneller Avantgardist der DDR, und der Appenzeller Volksmusiker Noldi Alder.
Der Platz von Alder bleibt leer. Terminkollision. Noldi Alder, Vertreter der Appenzeller Volksmusik-Dynastie Alder, lebt am Fusse des Säntis. Er habe die Geschichte vom Mord am Wetterwart-Ehepaar seit Jahren im Ohr, ist in den Presseunterlagen protokolliert.
Er habe sogar jemanden gekannt, der den Kreuzpointner noch tot gesehen hat, einen alten Hackbrettspieler, der damals dabei war, als man den Mörder fand. Alder wird selbst am Hackbrett und mit Naturjodel bei der Oper mitwirken.
Friedrich Schenker hat eine Posaune und ein Alphorn vor sich aufgebaut. Dem 69-Jährigen ist die Anstrengung im Verlauf des Probendurchlaufs ins Gesicht geschrieben. Den Sängern läuft die Schminke übers Gesicht. Yikun Chung (Kreuzpointner), einer der drei Solisten, ist mit vollem Körpereinsatz bei der Sache.
Mythos neu erzählt
Auf der Galerie wagt das Personal einen Blick auf das Geschehen. «In den ersten Tagen haben wir nur die schräge Musik mitbekommen», sagt ein Mitarbeiter der Säntisbahn bei der Talfahrt. Die Aufführung hat ihn überzeugt. Der Koreaner habe auch als Schauspieler einiges drauf, meint er.
Als er den Stoff recherchiert habe, sei ihm sofort klar geworden, dass man ihn nur als Musiktheater erzählen kann, sagt Nix: «Was man nicht sagen kann, kann man vielleicht singen.» Auch ihm ist es nicht gelungen, Licht ins Dunkel des «Säntis-Falls» zu bringen.
Langsam tauchen aus dem Nebel die Umrisse der Talstation auf. «Niemand ist nur böse», meint Christoph Nix zum Mythos des mutmasslichen Mörders. Kreuzpointner war Deutscher und damit eine geeignete Projektionsfläche für die Appenzeller.
SDA/phz
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