Motto: Geduldig lächeln
Politologin Elham Manea kritisiert die Verharmlosung des «gewaltlosen Islamismus». Angeblich gemässigte Vertreter des Islam bereiten Terroristen den Boden, schreibt sie.

Der Titel des Buches tönt alarmistisch: «Der alltägliche Islamismus. Terror beginnt, wo wir ihn zulassen.» Ein weiteres Œuvre, das den Islam auf Gewalt reduziert? Nein, die Autorin Elham Manea, Jahrgang 1966, selbst Muslimin jemenitischer Herkunft, weiss zu differenzieren. Die Politologin an der Universität Zürich und Menschenrechtsaktivistin kennt sich in den Diskursen des politischen Islam bestens aus und durchschaut dessen Fallstricke. Dabei führt sie eine überraschende Kategorie ein, den «gewaltlosen Islamismus», den sie für gefährlicher hält als den gewaltsamen. Wie das?
«Wir müssen uns klarmachen», schreibt sie in ihrem neuen Buch, «dass die Kreise, die westliche Politiker und linksliberale Intellektuelle ‹die moderaten Muslime› nennen, in Wirklichkeit oft ‹die extreme religiöse Rechte› des Islam sind. Der gewaltlose Islamismus verspricht seinen Anhängern wegen ihrer Zugehörigkeit zum wahren Islam, allen anderen überlegen und zur Weltherrschaft berufen zu sein. Der gewaltlose Islamismus ist nichts anderes als eine ‹totalitäre politische Ideologie mit ausgeprägtem Machtanspruch›.» Selber gewaltlos, bereite er den doktrinären Boden für Extremisten und Terroristen.
Eine Kultur des Schweigens
Manea zitiert für ihre These schlagende Beispiele in verschiedenen Ländern. Etwa in Schweden, wo die politisch korrekte Linke mit einer «Kultur des Schweigens» es zugelassen habe, dass sich ein islamistisches Netzwerk vor allem der Muslimbrüder etablieren konnte. Wer es kritisiert, werde als islamophob und rassistisch gescholten. Oder in Grossbritannien, wo dank der Naivität der Politiker der ultrakonservative deobandische Islam indischer Herkunft heute fast die Hälfte aller Moscheen kontrolliere und bereits 25 Dal al-Ulms, Seminare zur Ausbildung islamistischer Imame, unterhalte.
Ihre kleine Geschichte der islamischen Gemeinde von Molenbeek lässt Elham Manea mit der Grossen Moschee von Brüssel beginnen, welche die Saudis 1967 im Tausch gegen preiswertes Öl dort errichten durften. Der Blauäugigkeit des seinerzeitigen Königs Baudouin und der Behörden sei es zu verdanken, dass die Islamische Weltliga der Saudis, «das Kind aus der Ehe zwischen den Salafisten und der Muslimbruderschaft», in Belgien eine stark ausstrahlende Brutstätte des extremistischen Islam habe heranzüchten können. Mit den bekannten terroristischen Folgen.
Gerade die Muslimbruderschaft wird Manea zufolge oft verharmlosend wahrgenommen. Deren Gründer Hasan al-Banna werde von einigen westlichen Gelehrten, auch von seinem Enkel Tariq Ramadan, als gemässigter, friedlicher Reformer dargestellt. Dabei liess sich Banna, «ein Meister der Doppelzüngigkeit», von nationalsozialistischen und faschistischen Bewegungen inspirieren, auch von Hitlers Judenhass.
«Viele unserer Politiker und Entscheidungsträger arbeiten mit Gruppen zusammen, die Verbindungen zur islamistischen Ideologie haben.»
Heute lebe die Muslimbruderschaft nach dem Motto des «geduldigen Lächelns». Sie sei ein Leviathan mit zwei Köpfen: Nach aussen biete sie sich als Brückenbauer im Dialog zwischen den Kulturen an, nach innen säe sie Hass. Dieser Typus des Islamismus sei «aalglatt und schwer zu fassen, er flutscht durch die Finger . . .»
Elham Maneas Fazit: «Viele unserer Politiker und Entscheidungsträger arbeiten mit Gruppen zusammen, die Verbindungen zur islamistischen Ideologie haben.» Das spiegle sich auch in den Versuchen von Intellektuellen, liberalen wie linken Politikern, Menschenrechte in den westlichen Demokratien im Namen des Respekts für eine Religion zu verwässern. Etwa bei der von Linken tolerierten Einschränkung der Meinungsfreiheit oder der Frauenrechte durch die Kopftuchpflicht.
Überzeugend erklärt die Politologin, die 2009 mit dem Buch «Ich will nicht mehr schweigen. Der Islam, der Westen und die Menschenrechte» hervortrat, den Erfolg der Islamisten in Europa mit dem Amalgam aus muslimischer Opferrolle und dem Hass vieler westlicher Intellektueller auf die eigene Gesellschaft. Dort die Muslime, die sich als verfolgte und diskriminierte Gruppe fühlen und im Westen den Feind sehen. Hier die Linken und Liberalen, die sich wegen der kolonialen und imperialen Vergangenheit des Westens schuldig fühlen und meinen, die Rechte von Minderheiten aus den ehemaligen Kolonien schützen zu müssen.
Die Bürde des weissen Mannes
Manea spricht leitmotivisch von der «Bürde des weissen Mannes»: Auf ihm lastet das Erbe der Kolonialzeit, merkwürdigerweise aber nicht jenes des Osmanischen Reichs, das etwa für die heutigen Probleme in Grosssyrien verantwortlich ist. Auch der Judenhass, in dem die unterschiedlichen Formen des Islamismus geeint seien, habe seine Wurzeln nicht nur im Westen.
Dank der Binnenperspektive, aus der Elham Manea den Islam kritisiert, erhält das Buch farbige biografische Konturen und damit Glaubwürdigkeit. Als Tochter jemenitischer Eltern in Ägypten geboren, in Marokko und im Jemen aufgewachsen, bringt sie ihre eigenen Erfahrungen mit ein: den in Marokko einst erlebten offenen Islam, aber auch ihren vorübergehenden Flirt mit dem Islamismus im Jemen.
Ihre heutige islamkritische und humanistische Sicht hat sie mit einer Fatwa bezahlt, ausgesprochen von ihrem Onkel, einem Professor der Agrarwissenschaften, den sie als Kind sehr geliebt hatte. Später zum wahhabitisch-salafistischen Islam konvertiert, bezichtigte er seine Nichte der Blasphemie, mit der unausgesprochenen Forderung, sie zu töten.
Islam – Religion des Friedens oder der Gewalt?
Islam – Religion des Friedens oder der Gewalt? Diese Ambivalenz sieht Manea schon beim Religionsstifter Mohammed selber angelegt, einem Mann mit zwei Charakteren: 13 Jahre lang lebte er als friedlicher Prophet in Mekka, dann zehn Jahre lang als «Warlord und Stammesführer mit einer Vielzahl von Frauen» in Medina. «Er sah kein Problem darin, mit einer Frau ins Bett zu gehen, nachdem er ihren Vater oder Mann umgebracht hatte.»
Kenntnisreich leuchtet Manea diese Medina-Seite des Islam aus und straft all die Muslimverbände Lügen, die behaupten, der Terrorismus habe nichts mit der Religion des Islam zu tun. «Wenn der IS nicht islamisch ist», sagt sie lakonisch, «dann war die Inquisition auch nicht katholisch.»
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