Multiplex-Riese verdrängt Vorstadtkino
Das Cinéma Capitol in Dietikon gehört zu den ältesten Kinos des Landes. Nun schliesst es Ende Jahr, weil Pathé nach Spreitenbach kommt.

Die ersten Kinofilme sah Claudia Romer durch die Luke des Vorführraums hoch oben über dem Saal mit den karmesinroten Polsterstühlen. Ihr Vater, der das Kino bereits von seinem Vater übernommen hatte, hob sein Mädchen alle zehn Minuten in die Höhe, um es zu kühlen. Denn es sass auf dem Projektor, der während der Vorführung immer wärmer und wärmer wurde.
Das ist wohl fast vierzig Jahre her. Und Claudia Romer nimmt endgültig Abschied von dem Kino, dem Cinéma Capitol, das sie seit zwölf Jahren zusammen mit ihrem Mann, dem BDP-Kantonsrat Martin Romer, führt.

Claudia Romer im engen Vorführsaal. Bild Archiv (Beat Marti)
Als klar wurde, dass die grösste Kinokette der Schweiz, Pathé Suisse, in Spreitenbach in einer neuen Grossüberbauung neben dem Shoppi Tivoli ein Multiplexkino mit zehn Sälen und 2000 Sitzplätzen eröffnet, fällten Romers den Entscheid zur Schliessung. Claudia Romer sagt: «Da müssen wir einpacken.» Diese Konkurrenz, nur gerade zwanzig Busminuten entfernt, ist für den Familienbetrieb übermächtig.
Es begann mit Charlie Chaplin
Damit verschwindet eines der ältesten Kinos des Landes: 1930 wurde es eröffnet. Damals flimmerten Charlie Chaplin und Laurel & Hardy über die Leinwand, begleitet von live gespielter Musik auf einem scheppernden Klavier. Zwanzig Jahre später ging es in den Besitz der Familie Fritschi über.
Claudia Romer ist eine Fritschi. Ihre Mutter Annelies sass ein halbes Leben lang hinter der Kasse und war in Dietikon eine Institution, welche die Gäste häufig einfach mit «hoi, Schätzchen begrüsste». Hansrudolf Fritschi sah man seltener, denn er fühlte sich am wohlsten oben im Vorführraum.
Die Vorstadtkinos verschwinden
Mit dem Cinéma Capitol verschwindet auch eines der letzten Vorstadtkinos der Region, die meist als Familienbetrieb geführt wurden. In Bülach, Kloten, Männedorf, Wetzikon, Dübendorf,, Volketswil und Wädenswil gibt es noch eines, einige haben sich auf Kinder- und Familienfilme spezialisiert.
Die Betreiber des Kinos in Uster erlitten dasselbe Schicksal wie jetzt diejenigen in Dietikon. Als Pathé nach Dietlikon kam, sahen sie für sich keine Zukunft mehr. Ein Verein sprang ein und zeigt in der Regel noch am Sonntag und Montag Filme. In Baden hat die Kinofamilie Sterk einen anderen Weg gewagt: Sie gründete in Baden und Wettingen ein eigenes, verglichen mit Pathé, kleines Kinoimperium.
Kinobesuch mit Plüschtier
Das Cinéma Capitol war und blieb ein Mehrgenerationenkino, nicht nur was die Betreiberfamilie betraf. Es zeigte Nostalgiefilme, Kinder- und Familienfilme, aber auch die neusten Blockbuster. Nur die Studiofilme blieben in der Regel aussen vor. «Dazu fehlt bei uns in Dietikon einfach das Publikum», sagt Claudia Romer.
So sassen an Nachmittagen Kinder, oft in Finken und mit Plüschtieren im Arm, in den weichen, mittlerweile blauen Klappstühlen und schauten die neuste Disney-Produktion. An schulfreien Nachmittagen kamen die Jugendlichen, um sich Animationsstreifen reinzuziehen und – wenn es noch so ist wie früher – sich im Dunkeln näherzukommen. Abends dann kamen die Erwachsenen, die lieber das Kino vor der Haustür besuchten statt in die S-Bahn Richtung Hardbrücke zu steigen.
Dank neuster Technik durchgehalten
Um mit der Zeit zu gehen, rüsteten Claudia und Martin Romer 2006 das Kino auf den neusten Stand der Technik um. So steht jetzt in dem ohnehin engen Vorführraum neben dem urtümlich anmutenden alten Projektor, der unter dem Hosenboden der kleinen Claudia immer heisser wurde, alles, was die Vorführung der jüngsten Filme erfordert.
«Wir bereuen es nicht, damals investiert zu haben», sagt Claudia Romer. «Damit konnten wir unserem Publikum auch die neusten Filme zeigen. Sonst hätten wir wohl schon vor Jahren schliessen müssen.»
Umnutzung ist entschieden
Was geschieht nun mit all dem? Mit den Apparaten, dem Saal, der Liegenschaft mitten in Dietikon? Noch sei nichts spruchreif, sagt Claudia Romer. «Sicher ist nur, dass es zu einer Umnutzung kommt. Das Kino verschwindet endgültig.»
Wenigstens Letzteres, die Liegenschaft, hat in den letzten Jahren bestimmt an Wert gewonnen, liegt sie doch direkt im Zentrum, wo dereinst die Limmattalbahn durchfahren wird – nach Spreitenbach.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch