«Musikalische Legende» feiert Premiere
Mit Hans Pfitzners Palestrina hievt das Zürcher Opernhaus einen vierstündigen Gewaltsbrocken auf die Bühne. Gestern Abend war die vielbejubelte Premiere.

Gestern Abend fand die Premiere von «Palestrina» im Zürcher Opernhaus statt. Im Gegensatz zum Titelhelden, dem Komponisten Palestrina, der die sogenannte Marcellus-Messe gemäss Legende durch Inspiration aus dem Jenseits in einer Nacht schuf, feilte Hans Pfitzner lange an seinem Hauptwerk, bis es 1917 im München zur Uraufführung kam.
Der mittlere Akt dieser dreiteiligen «Musikalischen Legende», wie er sein Werk bezeichnete, ist ein klerikales Panoptikum. Entlarvend, grotesk, böse. Regisseur Jens-Daniel Herzog und Ausstatter Mathis Neidhardt verlegen die Szenerie vom ursprünglichen fürstbischöflichen Palais zu Trient in Palestrinas Haus.
Pfaffenspiegel
Die Rot- und Schwarzröcke fläzen sich auf dem Stubensofa, halten Brotzeit am Küchentisch, erleichtern sich auf dem Klo und – verlustieren sich zwischendurch auch mal mit einem Novizen in der Besenkammer.
Die Warteschlange zum Body-Scan vor der Zulassung zur Versammlung ist ein Kabinettstück in Sachen Persönlichkeitsstudie, wo Devotion und Frömmigkeit profaner Drängelei und Eitelkeit Platz machen. Ebenso wie das eigentliche Konzilium, in dem Gehässigkeit, Machtspiele, hohles Palaver schliesslich zu wüstem Tumult führen.
Visionäre Erscheinung
Bis es soweit ist, fordern endlose Dialoge und ausladende musikalische Untermalung dem Publikum Geduld und Sitzleder ab. Zwar verlangen einige Teilnehmer des Tridentischen Konzils «schnellen Beschluss»; für sich selbst ignoriert Pfitzner diese Parole grosszügig.
Das Werk ist auch nicht frei von Selbstidolisierung, mit der sich der Komponist mit dem Protagonisten gleich- und diesen der rohen Banalität der Umwelt, aber auch dem Spannungsfeld von Tradition und Neuerung aussetzt. Entsprechend sieht er sich und sein Opus magnum als letzten Pfeiler deutsch-nationaler Romantik.
Dieser Überhöhung setzt die Regie ein Korrektivum gegenüber, indem sie die visionären Erscheinungen von verstorbenen Komponisten als unsäglich bieder gekleidete Spiesser auftreten lässt - im gleichen Outfit wie Palestrina selbst!
Jede Rolle ein Charakter
Roberto Saccà ist ein Palestrina von berührender Intensität und gleichzeitig weiser Zurückhaltung: Seine stimmliche und darstellerische Präsenz machen die musiktheoretische und philosophische Künstlichkeit des Stoffs zum menschlichen Drama.
Die enormen besetzungstechnischen Schwierigkeiten des selten gespielten Werks sind am Zürcher Opernhaus hinfällig. Die über dreissig Rollen sind nicht nur stimmlich hervorragend besetzt, Regisseur Herzog gibt jeder einzelnen feinbeobachtetes Profil.
Sonorer Bass
So darf sich Rudolf Schasching als jovialer Kardinal Novagerio profilieren. Den eifernden Borromeo zeichnet Thomas Jesatko mit kernigem Bariton, Martin Zysset den geifernden Bischof von Budoja mit schrillem Tenor, Reinhard Mayr den Zeremonienmeister mit sonorem Bass.
Ighino, Palestrinas Sohn, und Silla, dessen Schüler, werden von Martina Janková und Judith Schmid mit hellem beziehungsweise dunklem Timbre und jugendlichen Ungestüm ausgestattet.
Ingo Metzmacher bündelt die Ströme souverän. Er betont das Archaische, Spröde der Partitur mit ihren kompositorischen Referenzen stärker als ihre Emotionalität. Zügige Tempi, transparenter Klang und hohe Wortverständlichkeit helfen mit, den langen Abend durchzusitzen.
SDA/wid
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