Nach Mobbing-Affäre: «Es ist ein trauriger Tag für die ETH»
Die Hochschule hat beim ETH-Rat die Entlassung einer Astronomie-Professorin beantragt – und entschuldigt sich.

So hat sich Joël Mesot seine erste Pressekonferenz nicht vorgestellt. Viel lieber hätte der ETH-Präsident vielleicht neue Spitzenplätze im Hochschul-Ranking verkündet oder einen wissenschaftlichen Durchbruch präsentiert. Stattdessen lieferte er eine Entschuldigung: «Ich möchte im Namen der ETH alle um Verzeihung bitten, die vom Fehlverhalten ihrer Vorgesetzten betroffen waren», sagte Mesot, erst seit 1. Januar im Amt.
Es ist eine Entschuldigung von hohem symbolischem Wert, geäussert von höchster Stelle der ETH. Eine Demutsgeste, gerichtet an alle Studenten und Doktorandinnen, die unter den Missständen litten, die in den letzten Monaten bekannt gemacht wurden, auch durch den TA.
Viel ist passiert in den vergangenen zwei Jahren: Ein Institut, wurde geschlossen, es kam zu Mobbing und Einschüchterungsversuchen in mehreren Departementen. Im Architekturdepartement wird einem Professor sexuelle Belästigung vorgeworfen. Die Öffentlichkeit fragte sich: Was ist los an der renommiertesten Hochschule der Schweiz?
«Trauriger Tag für die ETH»
Joël Mesot und Rektorin Sarah Springman waren gestern bemüht, Antworten zu liefern. Und sie wagten den Tabubruch – mit einer Massnahme, die es in der 164-jährigen ETH-Geschichte noch nie gegeben hatte: Die ETH-Leitung stellt einen Antrag auf Entlassung für eine Professorin. Ob dies ein historischer Tag für die ETH sei, wollte ein Journalist wissen. «Es ist ein trauriger Tag für die ETH», antwortete Mesot.
Im Fokus steht jene Professorin vom ehemaligen Institut für Astronomie, die jahrelang Doktorierende schikaniert haben soll. Nach Bekanntwerden der Mobbingvorfälle im Jahr 2017 wurde die Professorin zunächst beurlaubt, das Institut wurde geschlossen. Erst auf öffentlichen Druck hin leitete die ETH eine Administrativuntersuchung gegen die Wissenschaftlerin ein.
Dazu wurde eine Kommission zur Überprüfung der Angemessenheit der Kündigung einberufen. Diese kam nun zum Schluss, dass eine Entlassung aus juristischer Sicht eher nicht gerechtfertigt sei. Die Schulleitung der ETH Zürich entschied sich dennoch, dem übergeordneten ETH-Rat einen Antrag auf Entlassung zu stellen. «Die Ausgangslage bietet für die Professorin keine Perspektive für weitere Tätigkeiten an der Hochschule», sagt der 55-jährige Mesot.
Das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien ist offenbar stark gestört. Die Untersuchungskommission hielt auch fest, dass das Verhalten der Professorin angesichts der starken Abhängigkeit der Doktorierenden inakzeptabel gewesen sei. Zudem habe die Wissenschaftlerin keine Einsicht gezeigt, dass sie sich unkorrekt verhalten habe.
Definitiv entlassen ist die Professorin noch nicht. Der Ball liegt nun beim ETH-Rat, dem Führungsorgan des gesamten ETH-Bereichs. Die elf Mitglieder des Rats werden nun in den kommenden Wochen über den Fall entscheiden, heisst es auf Anfrage. Der Partner der Professorin, der das Institut leitete und ebenfalls in Vorwürfe verstrickt war, darf weiter an der ETH wirken.
Anerkennung für Mesot
Bildungspolitikerinnen begrüssen das Handeln der ETH: «Ich denke, die Zeit straffer hierarchischer Strukturen gehört der Vergangenheit an», sagt die Zürcher BDP-Nationalrätin Rosmarie Quadranti. Es sei beruhigend, dass die ETH dies endlich auch erkannt habe. Viele Studierende und Doktorierende seien bereit, hart zu arbeiten. Aber sie seien nicht bereit, auf dem Weg nach oben alles zu erdulden.
CVP-Nationalrätin Kathy Riklin kritisiert die späte Einsicht der Hochschule. «Die Missstände hätten früher transparent gemacht werden sollen.» Es liege nun an Mesot, die Altlasten wegzuräumen, die er mit seinem Amtsantritt geerbt habe. Das sei nicht einfach, doch sie traue Mesot diese Aufgabe zu: «Er ist ein sehr gewissenhafter Mensch mit starkem Gerechtigkeitssinn.»
Machtgefälle wird abgebaut
Gemeinsam mit Rektorin Sarah Springman lieferte Mesot nicht nur ein Schuldeingeständnis, sondern einen ganzen Massnahmenkatalog – um weiteren Vorfällen von Machtmissbrauch vorzubeugen.
Die wichtigste Änderung: Ab 2020 sollen Doktorierende mehrfach betreut werden. Damit würde die Abhängigkeit von den Professorinnen und Professoren geschmälert, die bis jetzt alleine für sie zuständig sind.
«Am gravierendsten ist die grosse Abhängigkeit der Doktorierenden von ihren Professorinnen und Professoren», sagt Rektorin Springman. Der Professor als mächtige Figur: Er agiert als Chef, Mentor, Betreuer, Gutachter in Personalunion. Diese Abhängigkeit möchte die ETH nun reduzieren und folgt damit dem Beispiel anderer Hochschulen, die früher handelten.
So werden nun die Verträge für Doktorierende entsprechend angepasst. Das heisst, dass über Anstellungsverträge und deren Befristung «kein Druck mehr auf Doktorierende ausgeübt werden kann». Die ETH erwarte von ihren Angehörigen einen respektvollen Umgang miteinander – alles andere sei inakzeptabel, so Mesot. Damit wagt die ETH den zweiten Tabubruch: eine Teilentmachtung der Professorinnen und Professoren.
Top nur mit gutem Klima
Die Wirksamkeit der weiteren Massnahmen muss sich in der Praxis erweisen. So will die ETH den akademischen Mittelbau und die Studierenden stärker in den Berufungsprozess von Professoren einbeziehen. Ein umfangreiches Einführungsprogramm für neue Professorinnen und Professoren wurde lanciert. Die Anlauf- und Meldestellen der ETH würden ab Herbst 2019 regelmässig geschult, und die Ombudsstelle wurde von zwei auf drei Personen ausgebaut.
«Unsere Professorinnen und Professoren sollen nicht nur als Forscherinnen und Dozenten, sondern auch in der Führung ihrer Gruppen Spitze sein», sagt Joël Mesot. «Eine Mehrheit davon ist es schon heute», so der ETH-Präsident. Spitzenforschung sei nur möglich, wenn auch das Arbeitsklima stimme: «Ich möchte ein Klima, in dem sich alle entfalten können.»
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