Nationalrat wälzt stundenlang alte Argumente zur Wehrpflicht
Den ganzen Morgen haben die Nationalräte über eine Initiative der GSoA diskutiert, welche die Wehrpflicht abschaffen will. Die Lager waren im Wesentlichen die gleichen wie 1989.

Die GSoA will die Wehrpflicht aufheben. Über ihre Initiative hat der Nationalrat am Dienstag während mehreren Stunden diskutiert. Dabei ging es nicht nur um die Armee, sondern um ein Bild der Schweiz und ihrer Gesellschaft. Die Lager waren im Wesentlichen die gleichen wie 1989.
Damals hatte die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) mit ihrer Initiative zur Abschaffung der Armee ein politisches Erdbeben ausgelöst. 23 Jahre und einen weiteren erfolglosen Abschaffungs-Versuch später tritt die GSoA mit der Forderung an, wenn nicht die Armee, so doch die Militärdienstpflicht abzuschaffen.
Abschaffung auf Raten?
Gemäss Initiative sollen Militär- und Zivildienst freiwillig sein, und zwar für Männer wie für Frauen. Das Milizsystem würde beibehalten, die Schaffung einer Berufsarmee ist nicht vorgesehen. Ob die Einführung einer Freiwilligenmiliz nicht doch auf die Abschaffung der Armee hinausliefe, war eine der heiss diskutierten Fragen im Nationalrat.
Die bürgerlichen Parteien hatten keine Zweifel: «Die Intiative geht ganz klar Richtung Abschaffung der Armee», sagte Erich von Siebenthal (BE) für die SVP-Fraktion. Auch CVP-Sprecher Karl Vogler (OW) gab seine Überzeugung zu Protokoll, dass das Ziel der Initiative die Schwächung der Armee sei. Und Roland Büchel (SVP/SG) sprach von einer «Salami-Taktik» bei der Armeeabschaffung.
Linke und Grüne, die die Initiative unterstützen, widersprachen: Die Initiative sei kein Weg zur Abschaffung der Armee, sagte GSoA-Mitglied Geri Müller (Grüne/AG). Es gehe darum, mit verschiedenen Dingen anders umzugehen – letztlich um ein Verhalten, das man an den Tag legen müsste, damit man keine Kriege brauche.
Die Befürworter der Initiative bestreiten aber, dass es die Militärdienstpflicht und damit die von den Bürgerlichen beschworene Wehrgerechtigkeit überhaupt noch gibt. Nur ein Teil der jungen Männer leisteten nämlich ihre Dienstpflicht, argumentieren sie.
Tatsächlich leisten gemäss Botschaft des Bundesrats nur 45 Prozent der Stellungspflichtigen ihre Dienstpflicht vollständig. Der Rest leiste Zivildienst oder weiche auf den «blauen Weg» aus, stellte Matthias Aebischer (SP/BE) fest. «De facto haben wir bereits eine Freiwilligenarmee.»
Deren Zusammensetzung war ein weiterer Streitpunkt. Der Bundesrat hatte in der Botschaft Bedenken angemeldet, die Sicherheit der Schweiz davon abhängig zu machen, ob sich genügend geeignete Schweizerinnen und Schweizer für den Dienst in der Armee melden.
Rambos und Kriminelle
Die Gegner der Initiative befürchten, dass sich nur «Freizeit-Rambos» oder gescheiterte Existenzen stellen würden, dass allenfalls sogar Sträflinge rekrutiert werden müssten. Balthasar Glättli (Grüne/ZH) erinnerte jedoch an die Millionen Menschen, die in der Schweiz Freiwilligenarbeit leisten. «Die Schweiz ist eine Armee, aber eine zivile», sagte er.
Auch die Kosten sorgten für Diskussionen: Während die Befürworter mit einer Verkleinerung der Armee Geld sparen wollen, rechneten die Gegner vor, dass eine Freiwilligenarmee unbezahlbar wäre. Allein die Personalkosten würden das aktuelle Armeebudget sprengen, sagte Jakob Büchler (CVP/SG).
Ebenso umstritten blieb die Frage nach der Notwendigkeit einer Verteidigungsarmee. Bürgerliche Redner warnten vor wachsender Terrorgefahr und anderen Bedrohungen. Die Armee garantiere Stabilität und Sicherheit und bewahre so den Wohlstand der Schweiz. Sie sei eine «Landesversicherung», sagte Thomas Hurter (SVP/SH). Franziska Teuscher (Grüne/BE) meldete jedoch Zweifel an, ob die Stärke der Schweiz wirklich in ihrer militärischen Schlagkraft liege.
Und schliesslich waren es der Milizgedanke, die Kohäsionsfunktion der Armee und andere staatspolitische Grundsatzfragen, über die gestritten wurde. Die Armee sei eine «Lebensschule» und der «Schmelztiegel der Nation», sagten die einen. Andere sahen eine Zukunft ganz ohne Panzer und Kanonen und eine Freiwilligenarmee, die sich im humanitären Einsatz und bei der Bewältigung von Naturereignissen hervortut.
Zwei Gegenvorschläge
Über diese tiefen Gräben hinweg können wohl auch zwei direkte Gegenvorschläge keine Brücke bauen. Eine Minderheit der Kommission beantragt, einen für Männer obligatorischen Bürgerdienst einzuführen, der in Armee, Polizei, Grenzwachtkorps, der Feuerwehr, aber auch als Zivildienst geleistet werden kann.
Der Grüne Alec von Graffenried (BE) schlägt einen Militär- oder wahlweise zivilen Ersatzdienst von 10 Wochen vor. Auch dieser könnte in Sicherheitsorganisationen oder aber im Sozial- und Umweltbereich geleistet werden. Dieser Gegenvorschlag wird von der GLP unterstützt, insgesamt ernteten aber beide Vorlagen vor allem Kritik von links bis rechts.
Gut drei Viertel der über 50 Rednerinnen und Redner kamen am Dienstag zu Wort. Die Debatte wird am Mittwoch fortgesetzt. Die Ablehnung der Initiative durch den Nationalrat ist absehbar.
Die GSoA hat die Initiative im Mai 2012 mit 107'000 Unterschriften eingereicht. SP und Grüne samt Jungparteien, Christlicher Friedensdienst, Attac, Demokratischen Juristinnen und Juristen, Service Civil International, Partito Comunista Ticinese sowie Männer.ch, der Dachverband der Männer- und Väterorganisationen, unterstützen das Volksbegehren.
Unversöhnliche Argumente
Die Initianten wollen unter anderem die ihrer Meinung nach unnötig grosse Armee verkleinern. Das so gesparte Geld soll für andere Aufgaben eingesetzt werden können. Weiter soll die Initiative Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten beseitigen, etwa mit der Angleichung der Dauer von Zivil- und Militärdienst.
Mit dem Freiwilligenmodell würden auch Männer und Frauen gleich behandelt. Die Wehrpflichtersatzabgabe beurteilen die Initianten grundsätzlich als ungerecht. Und schliesslich kritisieren sie die fehlende Wehrgerechtigkeit: Die Militärdienstpflicht gelte ohnehin nur noch für eine Minderheit der jungen Männer, da nur ein Teil von ihnen den Dienst zu Ende leiste.
Nur 45 Prozent erfüllen Dienstpflicht vollständig
Dies bestätigt der Bundesrat in seiner Botschaft an das Parlament: Nur 45 Prozent eines Jahrgangs leisten ihre Militärdienstpflicht vollständig. In Bezug auf die Kosten argumentiert der Bundesrat aber, dass bei Annahme der Initiative Leistungen kompensiert werden müssten, die heute von der Armee erbracht werden. Seiner Meinung nach hängen die Kosten weniger vom Wehrmodell als von Ausrüstung, Ausbildung und geleisteten Einsätzen ab.
Vor allem führt die Regierung aber staats- und sicherheitspolitische Argumente gegen die Initiative ins Feld. Sie warnt davor, die Sicherheit der Schweiz davon abhängig zu machen, ob sich genügend freiwillige und geeignete Schweizerinnen und Schweizer für den Dienst zur Armee melden würden. Für den Schutz des Landes und der Bevölkerung seien «Bürgersoldaten» hervorragend geeignet.
Der Bundesrat verweist weiter auf das Selbstverständnis der Schweizer Gesellschaft, dass sich Bürgerinnen und Bürger persönlich für das Gemeinwohl einsetzen und diese Aufgabe nicht an bezahlte Freiwillige delegieren. Darauf beruhe das politische System in Bund, Kantonen und Gemeinden ebenso wie die Armee.
Auch könnten die geforderten Leistungen am besten von einer Milizarmee mit Militärdienstpflicht erbracht werden. Die Armee müsse in der Lage sein, schlimmstenfalls eine grosse Zahl von Truppen aufbieten zu können, schreibt der Bundesrat. Schliesslich trage die Militärdienstpflicht zur sozialen und nationalen Kohäsion bei.
SDA/mw
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