Nationalrat will flankierende Massnahmen verschärfen
Die Grosse Kammer hat Vorschläge des Bundesrates zur Kontrolle von Selbständigen aus der EU abgesegnet. Schweizer Firmen sollen jedoch nicht haften, wenn ihre Partner gegen das Arbeitsrecht verstossen.

Der Nationalrat befürwortet schärfere flankierende Massnahmen zum freien Personenverkehr mit der EU. Er will die Schraube aber nicht zu stark anziehen und hat eine umfassende Solidarhaftung abgelehnt. Eine solche will er nur im öffentlichen Beschaffungswesen einführen.
Mit 94 zu 86 Stimmen bei 6 Enthaltungen sprach sich der Nationalrat gegen den Vorschlag seiner Wirtschaftskommission (WAK) aus, dass Firmen solidarisch haften müssen, wenn von ihnen engagierte Subunternehmen die hiesigen Arbeitsbedingungen nicht einhalten.
Zwar hatten sich in der Debatte neben den linken Parteien auch die Fraktionssprecher von FDP, CVP und BDP für den Vorschlag stark gemacht. Viele Mitglieder dieser Parteien gaben jedoch den Fraktionsbeschlüssen keine Folge und wiesen den Kommissionsantrag zusammen mit den Mitgliedern der SVP- sowie der GLP-Fraktion zurück.
«Sie killen hier die KMU»
Sie folgten damit den Argumenten des Thurgauer SVP-Nationalrats und Unternehmers Peter Spuhler, der sich mit Vehemenz gegen die Solidarhaftung aussprach. Dieser Vorschlag, der die unternehmerische Freiheit zu stark einschränke, sei «nicht intelligent».
«Sie killen hier die KMU», sagte er. Den kleinen und mittleren Firmen in der Bauwirtschaft sei es unmöglich, die im Zusammenhang mit der Solidarhaftung nötigen Kontrollen bei den Unterakkordanten vorzunehmen. Die Ausdehnung des Haftungsrisikos werde ausserdem dazu führen, dass die Banken von den Firmen zusätzliche Sicherheiten verlangen würden.
Separate Vorlage möglich
Auch Volkswirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann sprach sich gegen den Kommissionsantrag aus. Aus seiner Sicht müssten Aufwand und Ertrag der Solidarhaftung in einem «vernünftigen Verhältnis stehen». Deshalb dürfe das Haftungsrisiko nicht uneingeschränkt auf den Erstunternehmer abgewälzt werden.
Er räumte gleichzeitig Handlungsbedarf ein. Er empfehle aber, wie von der Ständeratskommission vorgeschlagen, die Solidarhaftung in einer gesonderten Vorlage zu regeln. Schneider-Ammann versprach, den zuständigen Kommissionen in der Sommerpause die nötigen Entscheidgrundlagen zukommen zu lassen.
Vergebliche Warnung Volksabstimmungen
Unterstützt wurde der Vorschlag zur solidarhaftung, der auf eine Forderung der Gewerkschaften zurückgeht, von den linken Parteien SP und Grünen sowie von einer Minderheit der Vertreter von CVP, FDP und BDP.
Sie alle warnten davor, dass der freie Personenverkehr mit der EU in der Bevölkerung an Rückhalt verliere, wenn keine strengen Massnahmen getroffen würden. Nur mit strengen Massnahmen könne das Versprechen eingelöst werden, dass in der Schweiz auch mit freiem Personenverkehr Schweizer Löhne bezahlt werden müssten, sagte Corrado Pardini (SP/BE).
Deshalb müsse das Parlament die flankierenden Massnahmen über die Vorschläge des Bundesrats hinaus verschärfen. Zudem gelte es, rasch vorwärts zu machen, bevor die nächste Ausweitung der Personenfreizügigkeit auf Kroatien zur Debatte stehe.
Ausnahme bei öffentlicher Beschaffung
Berücksichtigt wurden diese Argumente für eine Änderung des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen. Hier stimmte der Nationalrat mit 100 zu 86 Stimmen bei 1 Enthaltung einem Passus zu, wonach die Anbieter dafür verantwortlich sind, dass die von ihnen engagierten Subunternehmer die Arbeitsschutzbestimmungen, die Arbeitsbedingungen und die Gleichbehandlung von Mann und Frau einhalten.
«Dieser Entscheid ist völlig inkohärent», sagte Kommissionssprecher Christophe Darbellay auf Anfrage. Der Meinungsumschwung in den bürgerlichen reihen werfe Fragen auf. In Bezug auf die Versprechungen des Volkswirtschaftsministers zeigte sich Darbellay skeptisch.
Massnahmen gegen Scheinselbständigkeit
Kaum bestritten waren die vom Bundesrat gemachten Vorschläge zur Verschärfung der flankierenden Massnahmen. So sollen selbständige Dienstleister aus der EU in der Schweiz in Zukunft an Ort und Stelle mit Dokumenten beweisen müssen, dass sie auch tatsächlich selbständig erwerbend sind.
Können sie dies nicht sofort beweisen, will ihnen der Nationalrat eine Frist von höchstens zwei Tagen einräumen. Nur so seien die Kontrollen vor Ort glaubwürdig. Denn im Baunebengewerbe - etwa bei Plattenlegern, Malern und Gipsern - würden die Arbeiten so rasch ausgeführt, dass die Dokumentationspflicht bei einer längeren Frist die erhoffte Wirkung verliere.
Arbeitsstopp und Busse
Bleiben sie den Beweis auch dann schuldig, können sie an der Weiterarbeit gehindert werden. Werden sie als scheinselbständig identifiziert, droht ihnen zudem eine Busse. Zur Debatte stehen auch neue Sanktionsmöglichkeiten bei Verstössen gegen zwingende Lohn- und Arbeitsbedingungen.
In der Gesamtabstimmung hiess der Nationalrat die Gesetzesänderungen mit 130 gegen 39 Stimmen aus der SVP gut. Das Geschäft wird bereits am Mittwoch vom Ständerat beraten.
SDA/ami
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