«Natürlich machen sie es extra»
Papierlose Asylsuchende sollen ihre Handys herausgeben. Das fordern Parlamentarier bis weit in die Mitte. Doch das stellt die Betroffenen unter Generalverdacht.

Viele Asylsuchende können keinen Pass oder keine Identitätskarte vorweisen. Damit ist nicht zweifelsfrei belegt, wer sie sind und aus welchem Land sie kommen. Bei rund zwei Drittel aller Asylsuchenden gibt es Abklärungsbedarf bezüglich Identität, Herkunft oder Reiseweg, wie das Staatssekretariat für Migration (SEM) bei einer Erhebung in zwei Empfangszentren zwischen November 2017 und Mai 2018 eruiert hat. Eine gesamtschweizerische Statistik existiert nicht.
Das Asylgesetz verpflichtet die Antragsteller, bei der «Feststellung des Sachverhalts» mitzuwirken. Sie müssen den Behörden helfen, ihre Flüchtlingseigenschaften und ihr Recht auf Asyl in der Schweiz abzuklären. Diese Bestimmung soll nun konkretisiert oder man könnte auch sagen: verschärft werden. Die zuständigen Migrationsbehörden sollen den Asylsuchenden Laptop und Handy abnehmen und durchsuchen können, wenn die Identität anders nicht festgestellt werden kann. Der parlamentarischen Initiative von Nationalrat Gregor Rutz (SVP, ZH) hat die Staatspolitische Kommission des Nationalrats im Februar grossmehrheitlich zugestimmt. Am Freitag hat sie auch die zuständige Kommission des Ständerates mit 9 zu 1 Stimmen angenommen.
«Tatsächlich ein grosses Problem»
Der Vorstoss Rutz wird von Parlamentariern bis weit in die Mitte hinein unterstützt, die Parteipräsidenten Petra Gössi und Gerhard Pfister haben ihn gar mitunterzeichnet. Die Nationalratskommission hat mit 17 zu 7 Stimmen Folge gegeben, was bedeutet, dass lediglich Grüne und SP dagegen gestimmt haben. Diese deutliche Zustimmung mag damit zu tun haben, dass das Problem der Papierlosigkeit bei den Migrationsbehörden virulent ist. Urs Betschart, Vizepräsident der Vereinigung kantonaler Migrationsbehörden und Zürcher Migrationschef, sagt: «Die fehlenden Reisedokumente sind tatsächlich ein grosses Problem. Es ist sehr schwierig, bei diesen Asylsuchenden die Nationalität und Identität festzustellen.» Die Abklärungen seien meistens sehr aufwändig, und die Herkunftsstaaten stimmten der Rückübernahme nur zu, wenn die Identität und Nationalität belegt ist.
Dass eine Rückführung ohne Papiere sehr schwierig ist, wüssten auch die Asylsuchenden, sagt Urs Betschart. Manche hätten ihre Papiere tatsächlich verloren oder nie welche gehabt. Bei anderen bestehe die Vermutung, dass sie absichtlich ohne Papiere erscheinen, um die Rückführung zu verhindern oder den Aufenthalt in der Schweiz zu verlängern. «Wenn jemand aus einem Kriegsgebiet kommt oder mithilfe von Schleppern gereist ist, womöglich über die Mittelmeerroute, dann fehlen auch meistens die Papiere», sagt Betschart. Es ist davon auszugehen, dass die Schlepper den Migranten die Reisedokumente abnehmen.
Unter Generalverdacht
Dem Vorstoss Rutz liegt die Vermutung zugrunde, dass die papierlosen Asylsuchenden ihre Papiere verschwinden lassen, dass sie sich ihrer Mitwirkungspflicht widersetzten. «Natürlich machen sie es extra», sagt Gregor Rutz. Die Leute wüssten meistens schon bei der Abreise, welche Regeln im Zielland gelten und würden sich entsprechend vorbereiten.
Bei der schweizerischen Flüchtlingshilfe hält man den Generalverdacht für verfehlt. «Das ist eine pauschale Vorverurteilung der Schutzsuchenden», sagt ihr Sprecher Peter Meier. «Es gibt vielfältige Gründe, warum Betroffene keinen Pass besitzen. Oft nur schon deshalb, weil sie im Herkunftsland keine Papiere bekommen haben.» Abgesehen davon sei das Handy-Durchsuchungsrecht ein völlig unverhältnismässiger Eingriff in die Privatsphäre – nicht nur der Betroffenen, sondern auch Dritter, mit denen die Betroffenen korrespondierten. Letztlich wäre der Eingriff weitergehend als die Bestimmungen im Strafrecht, wo die Handys von mutmasslichen Straftätern nur bei schweren Delikten und bei begründetem Tatverdacht durchsucht werden dürfen. Bezüglich Generalverdacht entgegnet Gregor Rutz: «Diejenigen, welche im Herkunftsland keine Papiere bekommen haben oder denen sie von Schleppern abgenommen wurden, sind froh darum, wenn die Schweizer Behörden ihre Identität abklären. Sie kooperieren sicher. Wenn jemand nicht kooperiert, dann aus gutem Grund. Für sie braucht es die Bestimmung.»
Eingriff in die Grundrechte
Fraglich ist, ob die Anpassung des Asylgesetzes genügt für die Handy-Durchsuchung. Das Staatssekretariat für Migration und das Bundesamt für Justiz sind der Ansicht, dass es dafür eine klarere, formell-rechtliche Grundlage brauche. «Die Auswertung von Handydaten für die Abklärung der Identität ist ein schwerer Eingriff in das Grundrecht auf informelle Selbstbestimmung», sagt SEM-Sprecher Lukas Rieder. Die Verpflichtung zur Mitwirkung genüge dafür nicht, weil diese Bestimmung zu offen formuliert sei.
Weil beide Kommissionen zugestimmt haben, muss nun innert zwei Jahren ein Entwurf für eine Gesetzesänderung ausgearbeitet werden. Dieser geht dann ins Plenum von National- und Ständerat.
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