«Natürlich profitiert der Kreml davon, wenn der Westen streitet»
George Osborne, Ex-Finanzminister Grossbritanniens, über Giftattacken und die Macht der sozialen Medien

Rüschlikon (ZH) Vor kurzem bewegte sich George Osborne auf Augenhöhe mit europäischen Spitzenpolitikern. Dann kam der Brexit. Der 46-jährige Konservative wurde als britischer Finanzminister abgesetzt. Heute führt er die Zeitung «The Evening Standard» und gehört zu den lautesten Kritikern von Premierministerin Theresa May. Diese Woche sprach Osborne am Gottlieb Duttweiler Institut an der Konferenz «Fund Experts Forum 2018», organisiert von der Zeitung «Finanz und Wirtschaft».
Der «Evening Standard» berichtet auffallend intensiv über Russland. Warum?
Russland bleibt in Grossbritannien eine grosse Geschichte. Nach der Attacke in Salisbury rückt neu der Syrien-Konflikt in den Fokus. Ich bin ein grosser Kritiker von Theresa May, doch die Entscheidung unserer Premierministerin, russische Diplomaten auszuweisen, unterstütze ich voll und ganz. Ihr gelang es zudem, andere europäische Staaten dazu zu bringen, dasselbe zu tun.
Ihre Zeitung gehört dem russischen Ex-KGB-Agenten Alexander Lebedew. Nimmt er Einfluss auf redaktionelle Entscheide?
Es gibt über redaktionelle Fragen absolut keinen Austausch, nicht einmal über unsere Berichterstattung zu Russland oder über die kürzliche Giftattacke in Salisbury, hinter der die Russen stecken sollen. Die Lebedew-Familie, Alexander und sein Sohn, besitzen auch die «Novoya Gazeta» in Moskau. Eine der wenigen übrig gebliebenen oppositionellen Zeitungen des Landes. Beim «Evening Standard» lässt mich die Familie Lebedew in Ruhe meine Arbeit tun.
Was Sie beim Brexit am meisten bedauern, ist die angebliche Schwächung von Europa. Profitiert Russland davon?
Es gibt viele Leute und Nationen, die mit dem Brexit nicht unglücklich sind. Das heisst nicht, dass sie sich eingemischt haben.
Aber denken Sie, dass die Russen vom Brexit profitieren?
Natürlich führte der Ausgang des Referendums zu einer Fragmentierung der westlichen Allianz. Und gerade in der heutigen weltpolitischen Situation ist es wichtig, dass der Westen so nahe zusammenrückt wie möglich.
Also: Ja, Russland profitiert.
Nicht Russland, sondern der Kreml profitiert davon, wenn der Westen sich zerstreitet.
Hatten soziale Medien Einfluss auf den Ausgang des BrexitReferendums?
Es ist noch immer eine unbeantwortete Frage, inwiefern Cambridge Analytica und Facebook involviert waren. Aber selbst wenn Analytica versucht hat, britische Facebook-Nutzer zu beeinflussen, denke ich nicht, dass dies die Wahl entschieden hat. Grundsätzlich glaube ich allerdings, dass Social Media die Politik ähnlich auf den Kopf gestellt haben, wie sie das mit der Musikindustrie oder den Buchverlagen getan haben. Man braucht heute keinen riesigen Apparat, um eine politische Bewegung aus dem Boden zu stampfen, sondern nur einen Laptop oder ein Handy. Das haben wir bei Trump gesehen; das sahen wir bei Emmanuel Macron.
Vor 20 Jahren wäre der Brexit nicht möglich gewesen?
Schwierig. Es hätte eine etablierte Partei gebraucht, die sich gegen die EU stellt.
Kann die Schweiz von den Verhandlungen der Briten mit der EU etwas lernen?
Grossbritannien und die Schweiz haben viel gemeinsam. Beide Länder haben Einfluss in Europa. In beiden Ländern gibt es eine grosse Auseinandersetzung mit den Themen politische und richterliche Souveränität und mit Immigration. Beide Länder suchen zudem ein Spezialarrangement mit der EU, anstatt eine fixfertige Lö- sung von der Stange zu wählen, wie das Norwegen getan hat. Die Schweiz geht schon lange den bilateralen Weg. Nun versucht Grossbritannien dasselbe.
Also kann Grossbritannien von der Schweiz lernen?
Schon zu meiner Zeit als Finanzminister war die Kooperation der Briten und der Schweiz intensiv. Und Jean-Claude Juncker, Präsident der Europäischen Kommission, pflegte die Schweiz und Grossbritannien regelmässig in denselben Topf zu werfen. Das sollten beide Länder ausnutzen.
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