Neuer Atemtest begünstigt Blaufahrer
Die neuen Alkoholmessgeräte bevorteilen alkoholisierte Lenker. Und sie sind zu gross für die Streifenwagen.

Bundesrätin Doris Leuthard pries die neuen Alkoholmessgeräte als «Koffer» an, die in jeden Polizeiwagen passen. Mit ihnen könnten Verdächtige direkt auf der Strasse überprüft werden, «anstatt der aufwendigen, teuren Fahrten ins Spital». Die Räte stimmten zu, seit einem Jahr gilt die neue Atemalkoholmessung. Zwei Modelle sind bisher zugelassen, der Lion Intoxilyzer 9000 und der Dräger Alcotest 9510. Rund 8500 Franken kostet ein Exemplar, 312 haben die Kantone bereits eingekauft.
An der Front kommen sie nicht zum Einsatz. «Für die Messungen müssen wir zum Polizeistützpunkt, da die Geräte zu gross sind für das Mitführen in den Patrouillenfahrzeugen», sagt Christian Aldrey, Leiter der St. Galler Verkehrspolizei. Die Kontrollen seien nicht einfacher geworden. «Wir müssen aufgrund dieser neuen Geräte mehr Kilometer zurücklegen.»
Da ist die Fahrt auf den Polizeiposten zur Atemprobe. Mit dieser lassen sich aber keine Drogen oder Medikamente nachweisen. «Nicht selten muss man vom Stützpunkt doch noch zur Blutprobe», so Aldrey. Eine Umfrage in sechs weiteren Kantonen zeigt, dass kein einziges Korps die neuen Apparate im Streifenwagen mitführt. Einige nehmen sie zu Grosskontrollen mit. Ansonsten bleiben sie auf den Polizeiposten.
«Die heutigen Messgeräte funktionieren einwandfrei, sind aber noch nicht für den praktikablen Fronteinsatz geschaffen», sagt Franz-Xaver Zemp, Leiter der Fachstelle Verkehr im Kanton Luzern. Bei Lenkern sei die neue Methode beliebt. «Die Akzeptanz bei den Kontrollen ist allgemein gut», sagt Zemp. Auch andere Korps betonen die Vorteile für Bürger. Etwa, dass die 400 Franken pro Blutprobe entfallen.
Nur noch halb so viele Lenker zur Eignungsabklärung
Vor allem aber dürften sich Blaufahrer über die Richtwerte freuen. Sie wurden kurzerhand durch zwei geteilt. 0,5 Promille Blutalkohol etwa entsprechen heute 0,25 Milligramm Alkohol pro Liter Atemluft. Experten kritisieren diese Umrechnung. Eine Studie des Instituts für Rechtsmedizin (IRM) der Universität Bern verglich über 1000 Fälle, in denen Atemund auch Blutalkoholproben vorlagen. «Die Auswertung ergab, dass 87 Prozent der Blaufahrer durch den Atemlufttest begünstigt worden wären», heisst es. Der Faktor zwei sei falsch.
Wenn man laut Studie zum Beispiel einen Wert von 0,8 Milligramm Atemalkohol bläst, entspreche das im alten System nicht 1,6 Promille Blutalkohol. Stattdessen habe man bereits 1,94 Promille intus. Diese Verzerrung führe dazu, dass nur noch halb so viele Lenker zur Fahreignungsabklärung mit Abstinenzauflagen müssen. «Blaufahrer können aufatmen», schreiben die Autoren.
Thomas Krämer vom IRM Zürich äussert einen weiteren Kritikpunkt. «Wie neuere Studien zeigen, kann ein Alkoholrausch vor Ort weder vom Polizisten noch vom Arzt von einem kombinierten Alkoholund Drogenrausch unterschieden werden.» Das führte dazu, dass in über einem Viertel der Fälle Drogen oder Medikamente übersehen worden waren. «Insgesamt wird die Einführung der beweissicheren Atemalkoholprobe eher zu einer Verschlechterung der Sicherheit führen», schreibt Krämer im Jahresbericht der Staatsanwaltschaft Zürich.
«Weniger Schwerverletzte wegen Alkoholeinfluss»
Diese Einschätzung teilt Jürg Boll. «Vor allem die Rückverfolgbarkeit ist problematisch», sagt der Zürcher Staatsanwalt. Zweifelte früher ein Blaufahrer seine Resultate vor Gericht an, konnte man die Blutprobe auftauen und den Alkoholgehalt erneut messen. «Diese Rückverfolgbarkeit ist bei der Atemmessung nicht mehr möglich. Ich bin sicher, dass Anwälte dies ausnützen werden.»
Das Bundesamt für Strassen weist die Kritik zurück: «Die beweissichere Atemalkoholkontrolle hat nur Vorteile», sagt Sprecher Michael Müller. Resultate würden schneller vorliegen, das Verfahren sei günstiger. «Und der Polizei bleibt die Möglichkeit, etwa bei Verdacht auf Betäubungsmittel, eine Blutprobe anzuordnen.» Das Parlament habe den Umrechnungsfaktor zwei gewählt, «damit niemand mit der Atemalkoholprobe strenger bestraft wird».
Zudem sei die Grenze für eine Fahreignungsabklärung schon 2014 verschärft worden, «ihre Zahl hat seither deutlich zugenommen». Noch sind keine Unfallstatistiken für 2017 publik. «Wir wissen aber, dass es im ersten Halbjahr deutlich weniger Schwerverletzte wegen Alkoholeinfluss gab als 2016.»
Andere Befürworter des neuen Systems zweifeln unter vorgehaltener Hand gar die Daten der Rechtsmediziner an. Diese würden falsche Fakten verbreiten, weil ihnen ohne die Blutproben Millioneneinnahmen entgehen. Wolfgang Weinmann, stellvertretender Direktor des IRM Bern, winkt ab. «Bezahlt werden wir als Angestellte der Universität nach kantonalen Tarifen. Ob wir mehr oder weniger Alkoholanalysen machen, ist da nicht gehaltsrelevant.»
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