Neymar ist wieder munter
Brasilien zählt gegen Costa Rica auf seinen Superstar. Und Trainer Tite wehrt sich gegen Unterstellungen.

Neymar greift sich an den rechten Knöchel, richtet sich wieder auf, kickt mit dem linken Fuss im Frust einen Ball fort, er humpelt vom Platz und beisst auf die Zähne. Sein Blick drückt Schmerz aus.
Es ist Dienstag, und die Bilder aus dem Training verheissen nichts Gutes. Reicht die Zeit, um bis Freitag wieder einsatzbereit zu sein? Oder ist die Verletzung derart gravierend, dass gar das WM-Aus droht?
Der Trainer ist an diesem Donnerstagnachmittag gekommen, um zu referieren, gerne tut er das mit ausgestrecktem Zeigefinger, manchmal mit beiden Händen. Neymar ist das Thema, das ist er im Grunde ja immer, und wenn es nur um Äusserliches geht wie etwa die seltsame Frisur, mit der er gegen die Schweiz aufgefallen ist. Aber diesmal geht es um Wesentliches, um die Gesundheit und die Frage: Wie geht es Neymar? Tite ist nicht verwundert, dass er sich dazu äussern muss, aber seine Antwort verrät, dass jede Form von Aufregung deplatziert ist. In gelassenem Ton meldet er Entwarnung: «Machen Sie sich keine Sorgen. Er wird dabei sein.»
Wäre das auch der Fall, wenn nicht gerade WM wäre, sondern ein gewöhnliches Länderspiel bevorstünde? «Klar. Neymar muss kein Opfer bringen. Und der Trainer setzt ihn ein, weil er fit ist. Ich würde das nicht tun, wenn es für seine Gesundheit ein Risiko wäre.»
Tänzelnd in St. Petersburg
Ein paar Minuten später zeigt sich ein wieder munterer Neymar der Öffentlichkeit, er tänzelt mit gestutztem Haar in St. Petersburg auf den Rasen, um das letzte Training vor der heutigen Begegnung mit Costa Rica zu absolvieren. Neymar scherzt mit den Kollegen, er rennt leichtfüssig, der Schmerz ist verflogen. Brasilien kann aufatmen.
Aber der 26-Jährige steht unter Beobachtung, seit Sonntag noch stärker. Es war erst die dritte Partie seit seinem Mittelfussbruch Ende Februar, die erste über die volle Distanz – aber seine Leistung beim 1:1 gegen die Schweiz löste in der Heimat keine Begeisterungsstürme aus, sondern eine grundsätzliche Debatte: Ist Neymar zu sehr Egoist? So sehr, dass er selbst dann den Ball nicht abspielt, wenn ein Kollege günstiger postiert ist?
Careca: «Neymar wird ständig gejagt»
Eine Zahl heizte die Diskussion zusätzlich an. 28-mal suchte Neymar beim WM-Start der Südamerikaner das Eins-gegen-eins, mehr als doppelt so häufig wie Willian, der in dieser Statistik als Zweiter geführt wird. Zwangsläufig geriet er in Duelle, begegnete unzimperlichen Schweizern und musste einige Schläge einstecken. Dabei hatte vor der WM Altstar Careca schon empfohlen, Neymar solle Verantwortung abgeben, «weil er ständig gejagt wird». Die trotzige Reaktion Neymars nach dem Match gegen die Schweiz: «Sie treten mich, ich spiele Fussball.»
Die Zeitungen warfen dem Künstler aber vor, er übertreibe es, schade mit den Dribblings der Mannschaft und überhaupt: Seine Spielweise entspreche gar nicht der Philosophie von Tite, dem ausgeprägtes Kollektivdenken so wichtig ist. Brasilianische Kommentatoren und Experten wollen erfahren haben, Tite habe Neymar explizit das in Erinnerung gerufen: dass individuelle Interessen keinen Platz hätten und er seinen Eigensinn schleunigst drosseln sollte.
«Wer das behauptet, der lügt»
Stimmt das wirklich, Tite? Die Miene des 57-Jährigen verfinstert sich schlagartig, als er dazu in St. Petersburg Stellung bezieht. «Absolut nicht», sagt er, «das sind völlig falsche Informationen. Wer das behauptet, der lügt!» Alle Spieler würden Verantwortung für das Team tragen, alle seien sich dessen auch bewusst, «aber ich würde ganz sicher nie versuchen, Neymars Stil oder Charakter zu ändern. Weil er ein Genie ist und das schon so oft bewiesen hat.»
Tite schützt Neymar und plädiert für mehr Geduld. Der Spieler habe zwar kein gesundheitliches Problem mehr, «aber er benötigt noch etwas Zeit, um nach der langen Pause wieder den Rhythmus zu finden».
Der Coach ist nicht beunruhigt, und das soll jeder am Vortag des zweiten Gruppenspiels mitbekommen. Er möchte nicht mehr das Thema Video Assistant Referee aufwärmen, die Szene vom Sonntag, als sich die Brasilianer beim Ausgleich der Schweizer benachteiligt fühlten. Weil er nicht den Eindruck erwecken will, den Schiedsrichter zu beeinflussen. «Wir brauchen keinen Vorteil», sagt er, «wir wollen keinen Vorteil. Wir wollen nur zeigen, dass wir besser sind als unser Gegner.»
Damit muss Brasilien heute gegen Costa Rica anfangen, wenn es grössere Aufregung vermeiden will. Captain Thiago Silva, der neben Tite auf dem Podium sitzt, sagt: «Kühlen Kopf bewahren, dann klappt das. Wir sind uns solche Situationen gewöhnt.» Er vertraut einer Stärke, die gewachsen sei, seit Tite 2016 die Seleçao übernommen hat: «Wir sind im Kopf sehr stark.»
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