
Bis Ende 2019 sollen 90 Prozent der Bevölkerung Zugang zum neuen Mobilfunkstandard 5G haben, verspricht die Swisscom. Und was tut die Politik? Sie stellt sich quer, zumindest in der Westschweiz. Letzte Woche hat die Regierung des Kantons Jura beschlossen, den Bau neuer 5G-Antennen auszusetzen – wegen Gesundheitsbedenken. Sie will erst eine im Sommer erscheinende Bundesstudie zu den möglichen Risiken der 5G-Technologie abwarten, den Bericht der «Arbeitsgruppe Mobilfunk und Strahlung» unter Führung des Bundesamtes für Umwelt (Bafu). Auch das Genfer Kantonsparlament will zuwarten, in der Waadt wird ein Moratorium geprüft, und in Neuenburg ist ein Vorstoss hängig.
Übervorsichtig, esoterisch, fehlgeleitet von Verschwörungstheorien? Keinesfalls. Die Blockade der Westschweiz ist doppelt erfreulich. Erstens tut hier die Politik, was ihr ständig gepredigt wird: Sie nimmt Ängste der Bevölkerung ernst, auf eine anständige, gewaltfreie Weise. Zweitens zeigen die Moratorien, wie intakt das Vertrauen in die Fachleute des Bundes weiterhin ist: Besser, wir warten das Bafu ab. Unsere Beamten sind gut ausgebildet, gut besoldet, unbestechlich – sie werden uns die Wahrheit sagen, wenn mit der Technologie etwas nicht stimmen sollte. Dass in der Arbeitsgruppe auch Wirtschaftsvertreter sitzen, logisch, das sorgt für Ausgewogenheit.
Die Ängste vor 5G sind verblüffend breit gestreut, Kritik kommt aus der Landwirtschaft, von Hauseigentümern und Ärzten – und von Hunderten Quartiervereinen, die keine neue oder leistungsfähigere Antenne im Kirchturm oder auf dem Dach haben wollen. Sicher, einige Skeptiker werden diffuse Ansichten über Wellenlängen, heisse Ohren und verendende Bienenvölker haben. Viele aber hätten einfach gern schwarz auf weiss von höchster Stelle, dass die Technologie in Ordnung ist, bevor gewinnorientierte IT-Unternehmen das Land damit zupflastern. Absurd? Nicht wirklich.
Selbstbegrenzung gehört dazu
Unterstützung erhalten die 5G-Gegner von einer weiteren Fraktion. Ihr ist nicht so wichtig, ob das Handy über 4G oder 5G läuft, solange die konservativ gesetzten Strahlengrenzwerte eingehalten werden. Sie zweifelt grundsätzlich an der Notwendigkeit von schnellerem Internet im Hosensack. Im Tram nicht nur die Kinderkrippentage wählen, sondern auch daheim die Heizung andrehen, einen Blockbuster innert Sekunden herunterladen und die Resultate des letzten Arztbesuchs via garantiert sicherer App mit dem Spezialisten teilen? Sind wir nicht heute schon genügend fixiert auf unser Telefon?
Zweifel an den Segnungen des tragbaren Internets muss man formulieren dürfen, ohne als zukunfts- oder wohlstandsfeindlich beschimpft zu werden. Ja, die Smartphones gehen nicht mehr weg, wir müssen umgehen können mit ihnen. Doch zum klugen Umgang gehört auch Selbstbegrenzung. Das freie Denken und das sinnliche Erleben brauchen Raum. Diesen Raum gegen immer schnellere Aufmerksamkeitsfresser zu verteidigen, ist nicht weltfremd, sondern lebenslustig.
Solche Ängste müssen die Bafu-Arbeitsgruppe nicht kümmern. Es ist Sache der Konsumenten, sich nicht gedankenlos auf jede Beschleunigung einzulassen. Wir brauchen Zonen der Langsamkeit. Es muss ja nicht gleich eine 5G-freie Schweiz sein, auch wenn die sich sicher touristisch vermarkten liesse («Land der Berge, frei von Antennen»). Aber ein paar verbindungsarme Parks? Gezielt plazierte Wohlfühl-Funklöcher? Ein absichtlich verlangsamter Kanton Jura? Warum nicht. Täte gut.
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Nicht jeder Widerstand gegen 5G ist lächerlich
Muss wirklich alles überall immer schneller gehen? Zweifel an den Segnungen des tragbaren Internets sind angebracht.