Nicht nur Putin verteilt in der Ukraine grosszügig Pässe
Ungarn und Rumänien haben Hunderttausende EU-Ausweise vergeben. Damit spielen sie dem russischen Präsidenten in die Hände.

Kiew nennt es eine Aggression, Washington eine Provokation, doch Moskau zeigt sich unbeirrt und hat damit begonnen, russische Pässe an ukrainische Bürger abzugeben. Dabei sind die Russen nicht die einzigen: Obwohl die Ukraine gar keine doppelte Staatsbürgerschaft kennt, dürften Hunderttausende von Bürgern einen zweiten Pass besitzen. Denn die westlichen Nachbarländer Ungarn und Rumänien verteilen grosszügig begehrte EU-Pässe.
In Grenznähe wohnen rund 150'000 ethnisch ungarische Ukrainer, die ein Recht auf den EU-Pass haben. Doch offenbar gehen die Papiere längst auch an Ukrainer aus dem Rest des Landes, wenn sie bereit sind, einige hundert Euro in einen «ungarischen» Lebenslauf zu investieren.
Auch Bukarest sorgt sich um seine Minderheit in der Ukraine, rund 500'000 Menschen sprechen dort Rumänisch. Wie die Ungaren machen sie in einigen wenigen Grenzgebieten sogar die Mehrheit aus. Die Vergabe von EU-Papieren hat Bukarest bereits in Moldawien praktiziert: Zwischen 500'000 und einer Million Pässe wurden im verarmten Bruderland verteilt.
Budapest will Nato blockieren
Polen, Rumänien und vor allem Ungarn haben einen wütenden Streit mit der Ukraine vom Zaun gebrochen wegen ihrer Minderheiten, die mit immer schärferen Sprachregelungen kämpfen. Ein eben verabschiedetes Gesetz sieht Ukrainisch als einzige offizielle Sprache vor, Beamten oder Militärs ist es verboten, in einer anderen Sprache zu sprechen. Auch in den Medien muss Ukrainisch zwingend vertreten sein. In höheren Schulen gibt es zudem Beschränkungen für Minderheitensprachen.
Die Restriktionen sind vor allem gegen Russisch gerichtet, das im Osten des Landes noch immer dominiert. Auch der neu gewählte Präsident Wolodimir Selenski spricht besser Russisch als Ukrainisch. Er hat versprochen, das kurz nach seiner Wahl verabschiedete Sprachgesetz noch mal zu prüfen.
Viele russischsprachige Ukrainer empfinden die Neuerung als Affront, eine Sprachbarriere entsteht für sie aber nicht: Russen und Ukrainer können sich ohne Probleme verständigen.
Bei den nicht slawischen Sprachen Rumänisch oder Ungarisch sieht es anders aus. Gemäss Umfragen sprechen beispielsweise Zehntausende Ungaren kein Ukrainisch. Budapest droht Kiew, den Zugang zur Nato zu blockieren, wenn die restriktiven Gesetze nicht geändert werden.
Papiere für Gastarbeiter und Flüchtlinge
Doch hinter dem nationalistischen Gepolter um die Minderheiten ist der Grund für die Abgabe von Pässen wohl ganz profan: In Rumänien und Ungarn fehlt es an Arbeitskräften, weil die eigenen Bürger für bessere Jobs und bessere Löhne nach Westeuropa fahren. In Rumänien wird bis 2050 mit einem Bevölkerungsschwund von bis zu 30 Prozent gerechnet.
Da sollen nun die armen Nachbarn aus der Ukraine oder Moldawien in die Bresche springen, für die die Löhne in den Bruderländern noch fürstlich sind. Allerdings geben auch viele Ukrainer und Moldawier an, sie wollten mit ihrem EU-Pass nicht im Nachbarland bleiben, sondern nach Westeuropa reisen.
So laufen auch der Ukraine die Leute davon. Und das Angebot des Kremls könnte das Problem massiv verschärfen, auch wenn Selenski selbstsicher erklärt, nur wenige Ukrainer würden das russische Angebot annehmen.
Gemäss dem Erlass, den Präsident Wladimir Putin nun unterzeichnet hat, können die Einwohner der Rebellengebiete Donezk und Luhansk einen Pass anfordern. Ebenso alle Bewohner der Krim, auch jene, die vor der russischen Annexion 2014 weggezogen sind. Zudem sollen ukrainische Gastarbeiter und die Flüchtlinge aus dem Kriegsgebiet Pässe bekommen.
Millionen könnten profitieren
Für die ukrainische Präsidentenwahl war die Zahl der Wahlberechtigten in Russland mit rund drei Millionen angegeben worden. Hinzu kommen Minderjährige oder Verwandte in der Ukraine, die ebenfalls ein Recht auf einen russischen Pass haben.
Damit könnten alles in allem mehrere Millionen Ukrainer einen russischen Pass bekommen, was ihnen das Leben in Russland oder in der Ostukraine ohne Zweifel erleichtern würde.
Die Ukraine droht damit noch einmal dramatisch zu schrumpfen. Zudem würde sich die Spaltung zwischen jenen Bürgern, die sich nach Westen orientieren, und jenen, die sich an Russland halten, noch mal gefährlich vertiefen und könnte einer künftigen Einigung des Landes im Wege stehen. Damit hätte der Kreml dann wohl das eigentliche Ziel seiner Passaktion erreicht.
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