No pasarán!
Vor 80 Jahren endete der Spanische Bürgerkrieg. Beim Versuch, die Faschisten um den späteren Diktator Franco vom Einmarsch in Madrid abzuhalten, waren Frauen ganz vorne mit dabei.

Den wohl populärsten Schlachtruf des 20. Jahrhunderts verdankt die Welt einer Frau. Als die Truppen des faschistischen Putsch-Generals Francisco Franco 1936 auf die spanische Hauptstadt Madrid zumarschierten, schleuderte ihnen die Kommunistin und spätere Parlamentspräsidentin Dolores Ibárruri ihr berühmtes «No pasarán» entgegen: «Sie werden nicht durchkommen!» Am Ende kamen Francos Faschisten zwar trotzdem durch, aber nirgendwo in Spanien war der Widerstand so erbittert wie in der Hauptstadt.
Verantwortlich für diese Zähigkeit war nicht zuletzt Dolores Ibárruri, genannt La Pasionaria (die Passionsblume). In Radioansprachen und Reden rief die kommunistische Abgeordnete immer wieder zum Widerstand auf, impfte den Verteidigern, den Versprengten, Freiwilligen und Verzweifelten neue Moral ein.
Es war die Leidenschaft der Pasionaria, die der Nachwelt den Eindruck vermittelt hat, der Spanische Bürgerkrieg sei in gewisser Weise auch ein Krieg der Frauen, ein Akt kämpferischer Selbstermächtigung in einem patriarchischen Land. Und es gab solche Frauen: Die Kommunistin Antonia García gehörte zum Generalstab der Luftwaffe; die Sprengstoffspezialistin Rosario Sánchez wurde bekannt als La Dinamitera. Erst als sie eine Hand verlor, gab sie sich mit einem Job in der Poststelle zufrieden.
Gegensatz zwischen Stadt und Land
Solche Milizionärinnen, schreibt die Historikerin Ana Martínez Rus, «repräsentierten die Freiheitsideologie der spanischen Republik», die es im Bürgerkrieg zu verteidigen galt. Es ist Spaniens goldene Zeit für Frauen: Nach dem Wahlsieg der Linken 1931 und der Ausrufung der Republik wurden Frauen juristisch gleichberechtigt, sie erhielten Bürgerrechte wie Männer; Mädchen sollten nun endlich dieselbe Schulbildung bekommen wie Jungen.
Scheidung und Abtreibung wurden legalisiert, das Frauenwahlrecht eingeführt. 1933 eroberte Dolores Ibárruri einen Parlamentssitz für die Kommunisten. Die Tochter eines Bergmanns war in die Politik gegangen, weil sie nicht «das traurige, graue mühsame Sklavenleben unserer Mütter» führen wollte, «mit keiner anderen Aufgabe als Kinder zu gebären und zu stillen und den Mann zu bedienen».
Doch der Fortschritt erfasste längst nicht alle. Bald entwickelte sich ein scharfer Gegensatz zwischen urbanen Zentren und dem konservativen Land. Dort wurden die neuen Regeln von der Kanzel herab als Teufelszeug verdammt. Unter Grossgrundbesitzern und Klerikern fand Francos nationalkatholischer Aufstand 1936 daher starken Widerhall.
Frauen auf dem Lande war es im Spanien des frühen 20. Jahrhunderts oft verboten, das Haus ohne männliche Begleitung zu verlassen. Vielen spanischen Frauen merke man an, dass ihre Mütter und Grossmütter ein Leben lang nur gesessen hätten. Die Frau hatte «ángel del hogar» zu sein, der Hausengel.
Linker Machismo
Und auch bei den Linken mochten die Männer nicht leicht von ihren althergebrachten Vorstellungen lassen. Dolores Ibárurri kritisierte, dass viele Genossen «sich selbst für grosse Revolutionäre hielten», bei der Gleichberechtigung hingegen Machos blieben. Ihre Frauen durften nicht mit zu Versammlungen, weil sie angeblich von Politik nichts verstünden. Progressives Gedankengut sei nur oberhalb der Gürtellinie vorhanden, lautete ein populärer Spruch, «de la cintura para arriba».
So blieb auch die kämpfende Frau im Bürgerkrieg eine Ausnahme, wie die Historikerin Martínez Rus schreibt. Es gab sie eigentlich nur in den ersten Monaten, als ein spontan gebildetes «Volksheer» sowie Milizen aus Anarchisten, Kommunisten und anderen Antifaschisten sich Francos Truppen entgegenstellten.
Viele Frauen schlossen sich an, und die bedrängte Republik bot ihre kreativen Kräfte auf, damit die Welt das mitbekam – vor allem, als es darum ging, für internationalen Beistand zu werben. Fotos von jungen Frauen im «mono azul», dem blauen Overall der Milizionärin, erschienen auf künstlerisch gestalteten Plakaten und den Titelseiten von Zeitschriften; den Karabiner geschultert, den Patronengürtel umgehängt, am besten vor der Kulisse einer Stadtansicht von Barcelona, auf einem Armeelastwagen oder im Schützengraben.
Romantiker und Antifaschisten strömten nach Spanien, unter ihnen viele Frauen.
In vielen Fällen dienten solche Bilder der Propaganda. Oft ging es weniger darum, Frauen zu rekrutieren, als kampfesfaulen Männern ein schlechtes Gewissen zu machen. Die Plakate, schreibt die österreichische Historikerin Renée Lugschitz, seien «eigentlich ein Aufruf an die Männer» gewesen, «ihrer Pflicht für die Republik nachzukommen. Welcher Mann könnte noch daheim bleiben, wenn schon junge Frauen ihr Leben für die Demokratie opfern?»
Doch nicht nur spanischen Männern, auch ausländischen Beobachtern war der Anblick von Frauenbataillonen nicht geheuer. Lugschitz zitiert einen Kriegsbericht der britischen «Times», in dem es mit etwas bedauerndem Unterton heisst: «All das, wofür Weiblichkeit traditionellerweise steht, ist im Verschwinden begriffen.»
Plötzlich unerwünscht
Im Herbst 1936, bei der Neugruppierung des republikanischen Heeres, hiess es, Frauen seien an der Front unerwünscht. «Die Verantwortlichen entschieden, dass der Krieg Männersache sei und Frauen in die Etappe gehörten», schreibt Martínez Rus.
Sie bekamen die traditionellen Rollen zugewiesen, Krankenschwester, Köchin, auch Prostituierte. Doch in den Grossstädten und Industriezentren tat sich trotzdem etwas. Da die Männer an der Front waren, nahmen Frauen traditionelle Männerrollen ein, sie waren nun Ernährerinnen. «Niemand fand etwas dabei, wenn sie alleine ausgingen, spät alleine nach Haus zurückkehrten oder eng mit Männern zusammenarbeiteten», schreibt Renée Lugschitz.
Eine wichtige Rolle bei der Verbreitung emanzipatorischer Gedanken spielten die Internationalen Brigaden, die in Spanien aus Freiwilligen aus aller Welt gebildet wurden, nachdem die demokratischen Mächte Grossbritannien, Frankreich und die USA der Republik die Hilfe gegen den Militärputsch versagt hatten. Romantiker und Antifaschisten strömten nach Spanien, unter ihnen viele Frauen. Kampfbereite Brigadistinnen wie die Schweizerin Anni Thoma-Brunner berichteten allerdings, dass ihnen in Barcelona die Kommunisten Waffen verweigerten, die würden für die Männer gebraucht, hiess es.
Vieles überdauerte im Verborgenen
Doch Ausländerinnen konnten sich noch eher durchsetzen als Einheimische, weil man ihnen einen gewissen Exotenstatus zubilligte, wie Lugschitz schreibt. Berühmt wurde die in Argentinien geborene Französin Mika Etchebéhère. Sie übernahm den Befehl über eine Kolonne, nachdem ihr Mann gefallen war. Ihre Erinnerungen waren zwiespältig. In einem Interview 1977 sagte Etchebéhère, dass ausgerechnet in einer nach der Pasionaria benannten Kolonne die Frauen «geputzt, Betten gemacht und Socken gestopft haben». Das Bild der selbstbewussten Frauen aus dem Ausland war für viele Spanierinnen gänzlich neu, es brachte sie dazu, ihre eigene Rolle zu überdenken. Das lief nicht immer ohne Konflikte ab.
Am 1. April 1939 war sowieso alles vorbei. Der Sieg Francos katapultierte Spanien sozial zurück ins Mittelalter. Der siegreiche Diktator habe «die Erinnerung an ein anderes Spanien» durch seine Repression auslöschen wollen, schreibt Lugschitz. «Frauenrechte und Gleichberechtigung, wie sie Spanierinnen und Ausländerinnen zu Zeiten des Bürgerkriegs diskutierten, erstritten oder erlebten, waren danach unbekannt.» Dieser Zustand dauerte fast vierzig Jahre – bis zum Tode Francos 1975. Doch vieles überdauerte im Verborgenen oder im Exil – wie auch die Pasionaria.
Als Ibárruri 1989 starb, zogen Zehntausende durch die Strassen Madrids, um ihr die letzte Ehre zu erweisen. Und in dem Moment, als der Sarg das Zentrum passierte, erschallte tausendfach der Ruf, der La Pasionaria berühmt gemacht hatte: «No pasarán!»
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