Noch so eine Furzidee
Cindy Winkelried glaubt immer an die erstbeste Idee. Sie hört auf ihren inneren Idioten – selbst dann, wenn er ihr eine Bewerbung per Slip einredet.

Das war klar. Katrin von Niederhäusern kann sich nicht einfach hinstellen und fotografieren lassen. Nein, sie hat diverse Requisiten dabei, die sie unauffällig in ihrem Porträt unterbringen möchte. Ein Insider für ihre Freunde. Es ist symptomatisch für die Grafikerin und Illustratorin, die man nicht kennen muss, von der man aber als Zürcher mit grosser Wahrscheinlichkeit schon gehört oder etwas gesehen hat.
Vor eineinhalb Jahren machte zum Beispiel ihre Aktion «I wanna work for Action Bronson» die Runde. Von Niederhäusern hatte sich eines Tages gefragt: Mit wem wäre es cool zusammenzuarbeiten? Sie entschied sich für den US-Rapper Action Bronson, weil er «einen guten Humor hat und coole Videos». Und wie wird er auf mich aufmerksam? Antwort: Old-School; ich werfe ihm nach alter Groupie-Tradition ein Höschen auf die Bühne. So motzte Von Niederhäusern einen rosa Schlüpfer von Victoria's Secret zu einer Business-Card auf, inklusive Slogan («You can't have me, but you can have my artwork») sowie URL ihrer eigens angefertigten Website und schmiss die Unterwäsche am Zürcher Konzert dem Rapper vor die Füsse.
Resultat: leichte Irritation. Hätte Action Bronson sich das Höschen und die dazugehörige Website genauer angesehen, wäre eine Zusammenarbeit vielleicht möglich gewesen. Ist aber nicht so passiert. Stattdessen griffen Medien aus dem In- und Ausland die Geschichte auf und verschafften von Niederhäusern ihre 15 Minuten Ruhm. «Ich hatte mir nichts davon versprochen», sagt die 27-Jährige, «es war eine Furzidee. Ich sagte mir: besser machen statt reden.»
Crawford + Fitness = Inspiration
Sie arbeitet unter dem Künstlernamen Cindy Winkelried, wie es dazu kam, ist konfus und gar nicht so relevant. Kurz: Es hat etwas mit Cindy Crawfords Fitnessvideos zu tun. Spontaner Anfall von kreativer Umnachtung. Wie viele ihrer Ideen. Die aber oft den Bereich des Genialen tangieren. Wie zum Beispiel eine (im Kopf skizzierte, aber noch nicht geplante) Hommage an die Mode von «Fresh Prince of Bel-Air». Irgendwie kurlig, aber irgendwie auch kultig.
Eine weitere Furzidee aus dem Hause von Niederhäusern: Hate-Mails kreativ verarbeiten. In ihrem Haters-Journal verwertet sie negative Kommentare künstlerisch. Die Beleidigung «Deine saudumme Schweizer Bauernvisage finde ich so niveaulos wie deinen Versuch, einen auf funky cool Designer zu machen» wird so zum schönen Plakat, bei dem sich ein Phallus im Text abzeichnet. Sie habe die Desavouierung positiv nehmen wollen, sagt von Niederhäusern, «immerhin hat sich jemand die Mühe gemacht, mir zu schreiben». Die kreative Retourkutsche illustriere gut, wer sie sei: «Ich mache einfach mal, ohne alles von A bis Z durchzudenken. Aber ich tue es mit einem Augenzwinkern. Oft ist es eine simple Idee, hat aber ein grosses Ziel.»
«Manchmal muss man sich eben etwas einfallen lassen»
So hat sie sich auch ihr derzeitiges Praktikum in Kopenhagen erarbeitet. Die Onlineagentur Hello Monday präsentiert sich im Web humorvoll und sympathisch, das gefiel ihr. Also hat sie den Instagram-Feed der Agentur gekapert und daraus GIFs erstellt, in denen sie sich ins Team retuschiert hat – so, als sei sie schon dabei. Das hat geklappt, so, wie es auch bei der Wohnungssuche geklappt hat, nach demselben Muster. «Manchmal muss man sich eben etwas einfallen lassen», sagt sie lapidar, «gerade wenn man introvertiert ist.» Das gilt für sie nicht nur für den Stellen- und Wohnungsmarkt, sondern auch auf dem Partnermarkt.
Ihren aktuellen Freund hat sie über die Dating-App Tinder kennen gelernt. «Wir haben gemerkt, dass Leute etwas seltsam reagieren, wenn wir das erzählen.» Daraus ist ebenfalls eine witzige Idee entstanden: «Wir dachten, wir könnten all jenen, die sich über Tinder kennen gelernt haben, eine neue, romantischere, lustigere Geschichte schreiben. Im Sinne von: ‹Did you meet on Tinder? We'll write you a better story.›»
Diese Einfach-mal-drauflos-Strategie mag etwas Naives haben, das macht sie aber nicht minder erfrischend. Das Wichtigste dabei: authentisch bleiben. «Ein guter Designer kann ein Arschloch sein. Ich möchte gute Arbeit machen und dabei ein guter Mensch bleiben», sagt von Niederhäusern. Sie wähle alles nach diesem Kriterium aus, Filme, Firmen, Musik, Menschen, Magazine – Hauptsache, ehrlich und sympathisch.
Award für geschmückten Penis
Die Sache zwischen ihr und dem Gonzo-Club passt gut in dieses Schema. 36 Plakate für Stronzo im Gonzo hat die gebürtige Aargauerin illustriert. Da stimmte die Chemie. Und von Niederhäuserns Mix aus Comic, Rock 'n' Roll und Mexico-Chic passt ins Gonzo-Bild. «Die drucken einfach, was ich mache», sagt sie, immer noch ein wenig überrascht. Zum Motto «Stronzo in der Bumshöhle» zeichnete sie einen riesigen Penis (schon wieder!) mit Stiefeln, Fliege und Pfeife. Und gewann dafür einen Award. Wer ihre Storys hört, kommt schnell zum Schluss: Dieser jungen Frau gelingt fast alles. Diese Unbeschwertheit, zum Teil auch Unüberlegtheit – sie kommt an.
Arbeiten und lachen, das vermittelt die eher schüchtern auftretende von Niederhäusern, gehören irgendwie zusammen. Nicht jammern, coole Sachen machen, sich selber nicht so ernst nehmen. Konsequent darum auch ihre Traumvorstellung: mit ihren «Lieblingsmenschen» eine Agentur gründen und von Furzideen leben. Diese Überzeugung möchte sie weitergeben. «Follow your Furzidee», rät sie allen, die Erfolg haben wollen – oder auch nicht. Denn Furzideen machen glücklich, weil sie intuitiv sind, meist unserem reinen Interesse entspringen und keinen kommerziellen Hintergedanken haben. «Sie sind crazy und brauchen Mut, und genau das sollten wir öfter zulassen.» Sie selbst ist der lebende Beweis, dass es funktioniert und aus der Furzidee meistens etwas richtig Gutes wird. Möglicherweise kreiert von Niederhäusern auch noch eine Motivationswebsite dazu, wo alle ihre Furzideen posten können. Aber ob und wann, weiss sie noch nicht.
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