Normal oder gemächlich?
100 Tage nach der Wahl zum Präsidenten gönnt sich François Hollande Ferien am Meer. Für die französische Presse hat er sich diese nur bedingt verdient: Nach «Hyper-Sarko» wirke er für manche eher «betäubend».
Das Wasser steht François Hollande nicht bis zum Hals, aber bis zu den Knien: In einer blauen Badehose tastet sich der französische Präsident vorsichtig ins kühle Nass, neben ihm planscht seine Lebensgefährtin Valérie Trierweiler im Meer in Südfrankreich. Doch ganz so sorglos wie die Urlaubsfotos in der Klatschpresse vermuten lassen, verlaufen die Sommerferien des Staatschefs bisher nicht. Denn hundert Tage nach der Wahl des neuen Präsidenten ziehen Politikexperten und Presse eine eher ernüchternde Bilanz für den Sozialisten.
Die kleine Feier zum 58. Geburtstag von Hollande in der Festung Brégançon, dem staatlichen Sommersitz des Präsidenten an der Mittelmeerküste, begleiteten am Wochenende jedenfalls unerfreuliche Schlagzeilen. Der Präsident müsse «Führung erst noch unter Beweis stellen», schrieb die renommierte Zeitung «Le Monde» auf ihrer Titelseite.
Normal oder gemächlich?
Auffällig kritische Töne schlug am Montag auch die linke «Libération» an: «Die 100 Tage von Hollande – Normal oder gemächlich?» Und der konservative «Figaro» veröffentlichte eine Umfrage, derzufolge 54 Prozent der Franzosen mit Hollandes Amtsführung unzufrieden sind – der zweitschlechteste Wert für einen Präsidenten rund drei Monate nach seiner Wahl.
Grund für den Missmut der Franzosen ist nicht die Twitter-Affäre um seine Lebensgefährtin, die sich im Parlamentswahlkampf offen gegen Hollandes Ex-Frau Ségolène Royal gestellt hatte – und das obwohl der Sozialist als Präsident erklärtermassen «normal» bleiben und sein Privatleben aus der Politik heraushalten wollte.
Den Franzosen reicht das nicht
Auch seinen Fahrplan für die ersten hundert Tage im Amt arbeitete Hollande weitgehend ab, angefangen vom Beschluss zum Rückzug der französischen Truppen aus Afghanistan über den europäischen Wachstumspakt bis hin zur Teilrückkehr zur Rente mit 60. Symbolträchtige Massnahmen seines konservativen Vorgängers Nicolas Sarkozy wie die höhere Mehrwertsteuer wurden kassiert.
Doch den Franzosen reicht das nicht. Anders als Sarkozy, «der von Beginn an ein Projekt nach dem anderen aus dem Hut gezaubert hat», trete Hollande nicht als «der grosse Macher» in Erscheinung, meint Dominik Grillmayer vom Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg.
Sarkozy schaltet sich ein
Auch der Soziologe Denis Muzet urteilt in «Le Monde», nach den aufregenden Jahren unter «Hyper-Sarko», der die Franzosen bis zum Überdruss «gedopt, ja unter Drogen gesetzt» habe, habe Hollande für manche einen «betäubenden Effekt» gehabt. Grillmayer und Muzet sind sich einig, dass Hollande künftig mehr Führung zeigen müsse.
Beim Thema Syrien schlägt die konservative Opposition derzeit massiv auf den Sozialisten ein. Sarkozy, der sich nach seiner Abwahl ganz aus der Politik heraushalten wollte, schaltete sich vergangene Woche ein und telefonierte mit der syrischen Opposition. Andere UMP-Grössen forderten, Hollande solle seinen Urlaub abbrechen und Ex-Premierminister François Fillon schrieb in «Le Figaro»: «Wenn ich François Hollande wäre, würde ich jetzt das nächste Flugzeug nach Moskau nehmen, wenn möglich mit Angela Merkel».
Der rote Faden fehlt
Hollande, der lange als zu schlaff und zögerlich galt, muss nun wieder um sein Image bangen, das er im Wahlkampf mühsam aufpoliert hatte. «Er muss selber die Themen setzen», analysiert Claire Demesmay von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Bisher sei aber noch unklar, ob sein Politikstil mit seiner Methode zusammenhänge, erst einmal nach Kompromissen zu suchen, oder ob ihm der «rote Faden» fehle und er zu unentschieden sei.
Mit Sicherheit steht dem Präsidenten ein höchst ungemütlicher Herbst bevor: Angesichts von Werksschliessungen, einer Arbeitslosenrate von rund zehn Prozent, einem Null-Wachstum in Frankreich und der Euro-Krise muss er das hohe Staatsdefizit in den Griff bekommen. «Vision» und «Dynamik» vermisst «Libération» dabei, «Le Monde» eine «Perspektive» . Selbst wenn die Franzosen nach Sarkozy auf eine stetigere Politik hofften, so darf es laut Demesmay in der aktuellen Krise eben «auch nicht zu langsam sein».
AFP/wid
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