Novartis-Urteil erschüttert westliche Pharmaindustrie
Nach sieben Jahren Rechtsstreit unterliegt Novartis endgültig: Für das Krebsmedikament Glivec gibt es in Indien keinen Patentschutz. NGOs zeigen sich erfreut: Das Urteil sei ein Sieg für die Kranken in armen Ländern.

Novartis hat den Patentstreit in Indien um sein Krebsmedikament Glivec endgültig verloren. Indiens oberster Gerichtshof verweigerte den Patentschutz für Glivec. Das Medikament erfülle nicht die für den Patentschutz notwendige Anforderung einer merklichen Verbesserung gegenüber Vorgängerpräparaten, urteilten die Richter in der Hauptstadt Delhi. Sie bestätigten damit die Ansicht der indischen Patentbehörden und frühere Gerichtsentscheidungen, gegen die Novartis sieben Jahre lang juristisch vorgegangen war.
Für ein neues Patent auf ein Pharmamittel in Indien muss laut Paragraph 3-D im Patentgesetz eine «erhöhte therapeutische Wirksamkeit» erreicht werden. So soll das «Evergreening» verhindert werden, also die Verlängerung des Patentschutzes mit nur minimalen Veränderungen zum vorher patentierten Wirkstoff.
Patentamt zweifelt an Weiterentwicklung
Bei Glivec hatte das indische Patentamt 2006 indes die Patentierung abgelehnt mit der Begründung, beim Hauptwirkstoff handle es sich nur um eine neue Version eines bereits bestehenden Wirkstoffs und damit nicht um eine Neuerfindung.
Novartis argumentierte dagegen, dass die neue Version von Glivec deutlich besser sei, weil diese als Pille verabreicht und damit vom Körper besser aufgenommen werden könne. Diese «bahnbrechende» Weiterentwicklung habe Jahre der Forschungs- und Entwicklungsarbeit gekostet und mache Glivec weiter schutzwürdig. In fast 40 Ländern habe Novartis dafür auch Patente erhalten, darunter in China, Russland oder Taiwan.
Der Entscheid des obersten Gerichts gegen den Patentschutz gilt als wegweisend für die westliche Pharmaindustrie, die in Indien bereits eine Reihe von Niederlagen einstecken musste. So wurden dem Basler Pharmamulti Roche und dem US-Konzern Pfizer im vergangenen Jahr Patente aberkannt. Der deutsche Hersteller Bayer musste eine Zwangslizenz für ein Krebsmittel akzeptieren.
Novartis-Titel in Mumbai abgestürzt
Nach der Niederlage vor dem obersten Gericht Indiens sind die Titel des Pharmakonzerns Novartis an der Börse von Mumbai am Ostermontag abgestürzt. Der Kurs tauchte um 6,8 Prozent auf noch 558, 10 Rupien. Das ist der tiefste Stand seit Januar 2012.
Das Urteil wurde von der indischen Generika-Industrie, die Nachahmermedikamente herstellt, begrüsst. An der Börse von Bombay zogen die Aktien der dortigen Generikaproduzenten Cipla, Ranbaxy Laboratories oder Natco Pharma an.
Die Analysten von PricewaterhouseCoopers (PWC) prognostizieren den indischen Produzenten eine rosige Zukunft. Der Arzneimittelsektor könnte seinen Umsatz von derzeit 11 Milliarden auf 74 Milliarden Dollar im Jahr 2020 vervielfachen.
Novartis enttäuscht
Novartis bedauerte in einer Stellungnahmen den indischen Gerichtsentscheid. Patente seien die Grundlage für Investitionen in die Innovation von Medikamenten. Das Urteil des obersten Gerichts sei aber ein Rückschlag und behindere künftigen medizinischen Fortschritt.
Novartis halte dennoch an seinem Engagement für Patienten und den Zugang zu medizinischer Versorgung fest. 95 Prozent der Patienten in Indien würden durch das Spendenprogramm von Novartis das Krebsmittel Glivec gratis beziehen.
Davon profitierten mehr als 16'000 Patienten. Der Konzern habe seit 2002 über 1,7 Milliarden Dollar in das Hilfsprogramm investiert. Die übrigen 5 Prozent der indischen Glivec-Patienten hätten anderweitige Unterstützung oder seien versichert.
NGOs erfreut
Auf der Gegenseite reagierten die Nichtregierungsorganisationen (NGO) Erklärung von Bern (EvB) und Ärzte ohne Grenzen (MSF) erfreut: Das Gerichtsurteil sei ein bedeutender Sieg für die Kranken in armen Ländern, hiess es bei EvB. Indiens Justiz gebe der Gesundheit der Bevölkerung den Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen.
MSF sprach vom bestmöglichen Ausgang für Patienten in Entwicklungsländern. Das Gerichtsurteil verhindere, dass mit ungerechtfertigten Patenten auf existierenden Medikamenten die billigeren Nachahmerarzneien ausgeschaltet würden.
Hierbei gehe es nicht nur um Krebsmedikamente, sondern auch um andere Krankheiten wie Aids, Tuberkulose oder Malaria, sagte Pharmazeutin Andrea Isenegger von MSF Schweiz der Nachrichtenagentur SDA. Wenn Novartis vor dem obersten Gericht Indiens durchgekommen wäre, hätten auch andere Pharmakonzerne Patente auf Medikamente gegen diese Krankheiten geltend gemacht.
Das hätte verheerende Folgen, sagte Isenegger. Mit Generika koste die HIV/Aids-Behandlung eines Kranken 120 Dollar pro Jahr. Ohne Generika schlage sie mit über 10'000 Dollar zu Buche. MSF kauft 80 Prozent der HIV/Aids-Medikamente aus Indien, das weltweit als grosser Exporteur von Generika als «Apotheke der Armen» gilt.
SDA/kle/rub
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