Nun ist die Mannschaft der Star
In der Prestigedisziplin Bahnvierer wollen die Schweizer erneut an die Olympischen Spiele. Das ist realistisch, obwohl Stefan Küng nicht mehr dabei ist.

Ohne einen 21-jährigen Thurgauer geht es nicht: Vor vier Jahren hiess die Lokomotive des Schweizer Bahnvierers Stefan Küng. Dank ihm qualifizierte sich das Team erstmals seit 1984 wieder für Olympische Spiele. Es träumte von Grossem – bis es der Star und Leistungsträger des Vierers kurz vor Rio übertrieb. Bei einem Sturz in einem Zeitfahren auf der Strasse gingen Knochen zu Bruch und der Olympiatraum zu Ende. In Brasilien rollte der Vierer unharmonisch auf Rang 7.
Küng kehrte nie mehr auf die Bahn zurück, die Nummer 2, Silvan Dillier, ebenso wenig. Und doch ist der Vierer von heute der beste, den die Schweiz je hatte. Sagt Nationaltrainer Daniel Gisiger. Seine Fahrer bestätigten seine Aussage an der EM vor zwei Wochen in Apeldoorn (NED) mit dem Schweizer Rekord in 3:52 Minuten. Das reichte am Ende für Rang 4. Eine Woche später folgte am Weltcup in Minsk Rang 6.
Mit dabei – und damit wären wir bei der grossen Parallele: ein 21-jähriger Thurgauer, ebenfalls als Lokomotive. Stefan Bissegger heisst dieser, die Experten sprechen in ebenso lobenden Worten von ihm wie sie das auch bei Küng schon vor dessen Wechsel zu den Profis getan hatten.
Bissegger zieht das Bahn-Projekt seinem Vertrag mit einem Worldtour-Team vor
Bissegger könnte genauso als Star durchgehen in diesem Team – den Vertrag mit einem Worldtour-Team hat er als Einziger bereits in der Tasche. Doch er ist es nicht. Der Kontrakt beginnt erst nach den Spielen in Tokio. Davor will sich Bissegger auf das Bahnprojekt konzentrieren, auch wenn ihn das Team EF Education First gerne vom Saisonstart weg in seinen Reihen gesehen hätte. Doch Bissegger sagt: «Ich habe sehr, sehr viel profitiert vom Vierer. Und meine Eltern haben mir etwas mitgegeben: Wenn du dein Wort gibst, dann bleibst du dabei.»
Die Handstellung ist relevant
Bissegger ist aber auch nicht mehr ein einsamer Leistungsträger wie es Küng war, weil das Schweizer Team gewachsen ist. «2015 realisierten wir, dass die Olympiaqualifikation möglich ist – wegen Stefan. Ohne ihn nicht. Jetzt sind wir acht Fahrer, die schnell fahren können», sagt Cyrille Thièry, eines von zwei verbliebenen Mitgliedern des Rio-Vierers.
Der Leistungsdruck ist nun ausgeglichener verteilt. Aber deswegen nicht kleiner geworden. Denn die Mannschaftsverfolgung ist die Prestigedisziplin auf der Bahn. In keiner kann mehr getüftelt werden: an der Zusammensetzung, an der Taktik. Und vor allem an der Aerodynamik. Wenn das Quartett Rad an Rad die schnellsten Runden mit über 60 km/h dreht, ist jedes Detail entscheidend. Darüber musste selbst Gisiger staunen. Er, der über Jahre das Bahnprojekt alleine verantwortete, hat im Sommer mit Mickaël Bouget einen Kollegen erhalten. Der Franzose ist gerade was die Aerodynamik betrifft versierter als Gisiger, der eher «alte Schule» ist, wovon aber gerade die oft sehr jungen Bahnfahrer profitieren. «Ich habe unterschätzt, wie viele Watt man allein mit einer anderen Hand- oder Rückenstellung herausholen kann», sagt Gisiger.
Bissegger fährt als einziger alle drei Rennen
Der Zuzug von Bouget entlastet ihn klar. So tönt der 65-Jährige in diesen Tagen überraschend entspannt, wenn man mit ihm am Telefon spricht. Kein Wunder: Er sitzt nach zwei intensiven Wettkampfwochen in den Niederlanden und Weissrussland daheim, Bouget betreut das Team am Weltcup-Event in Glasgow am Freitag. Dort will es den nächsten Schritt Richtung Olympia machen, mit Bissegger als Konstante. Er ist das einzige Teammitglied, das alle drei Rennen bestreitet.
Nur acht Teams in Tokio
Der rege Personalwechsel ist nötig, weil die Schweizer versuchen, an allen sechs Weltcups bis Ende Januar ein konkurrenzfähiges Quartett antreten zu lassen. Für Olympia qualifizieren sich nur acht Teams. In die Wertung kommen die besten drei Resultate in Weltcups, Welt- und Kontinentalmeisterschaften. Nur: Niemand weiss vorab, wo die anderen in Bestbesetzung antreten und wo nicht – was für einen Spitzenrang mitentscheidend ist. Man muss also bei jedem Weltcup stark sein. Und dafür braucht es wegen des gedrängten Kalenders mit Wettkampforten über den ganzen Globus mehr als ein Quartett.
Insofern waren die Ränge 4 und 6 zuletzt sehr solide. Im Olympiaranking liegen die Schweizer auf Platz 7. Für Glasgow gibt sich Gisiger defensiver, hofft auf ein Top-8-Resultat, weil hier die Spitzennationen mit ihren besten Fahrern antreten. «Solange wir uns vor den Amerikanern klassieren, ist alles gut», sagt Gisiger. Das US-Team sieht er als härteste direkte Konkurrenz.
Wohin die Reise seines Teams geht, kann auch er nicht vollends voraussagen. Eine Zeit um 3:52 Minuten hatte er sich einst für Tokio zum Ziel gesetzt. Nun ist diese schon zehn Monate früher erreicht. «Vielleicht liegt bei Olympia 3:50 drin», sagt er. Das war 2016 in Rio gut für Gold und Weltrekord. Dann fügt Gisiger an: «Nur fahren dann die anderen vielleicht 3:47.» Der Weltrekord liegt mittlerweile bei 3:48 Minuten. Die Zeitenjagd in der Prestigedisziplin hört nie auf.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch