

Arthur Rutishauser
Es braucht Prioritäten.
Ja
Die Zürcher Volksschulen sind seit Jahren ein Experimentierfeld für Politikerinnen und Politiker jeder Couleur. Die Linken wollen am liebsten alle ins selbe Klassenzimmer bringen, ob begabt, lernschwach oder behindert. Konservative Kreise hängen am Religions- und Hauswirtschaftsunterricht. Die Wirtschaft betont den Wert des Englischunterrichts und der sogenannten Mint-Fächer, also Mathematik, Naturwissenschaften und am liebsten einer Programmiersprache. Alles möglichst früh.
Und als sei das nicht genug, gibt es noch jene, die aus Gründen des nationalen Zusammenhalts Französisch fördern möchten – jene, welche die Handarbeit wichtig finden, und dann noch die Lateinlehrer, die um die humanistische Bildung fürchten. Alles in sich stimmige und berechtigte Anliegen.
Was also müsste man tun? Prioritäten setzen. Doch was geschieht? Alle werden irgendwie berücksichtigt, das Resultat ist ein fauler Kompromiss. Besonders augenfällig ist das bei den Sprachen: Da kam erst die Idee des Frühfranzösischen. Spielerisch sollte es sein und quasi gratis dazu führen, dass der nationale Zusammenhalt gefördert werde. Dafür mussten Primarlehrer in die Weiterbildung, mit höchst unterschiedlichem Resultat und Kosten von 30 Millionen Franken.
Kein Wunder, ist der Lernerfolg mässig bis katastrophal.
Beim Frühenglisch wiederholte sich die Übung, nur dass diesmal vor allem die Handarbeitslehrerinnen die Zeche zahlten, weil deren Stundenzahl gekürzt wurde. Kostenpunkt: 11 Millionen für die Grundausbildung und 8 Millionen für die Weiterbildung. Inzwischen hat man die Handarbeit wieder eingeführt, Englisch wird ab der 3. und Französisch ab der 5. Klasse je zwei Stunden die Woche gelehrt. Geht man davon aus, dass es 800 bis 1000 Stunden braucht, bis man eine Sprache beherrscht, kann man sich vorstellen, zu welchem Lernerfolg das führt.
Hinzu kommt: Meist sind alle zusammen im selben Klassenzimmer, ob frisch zugewandert und eigentlich am Deutschlernen, ob lernzielbefreit, kurz vor der Gymi-Prüfung oder zweisprachig. Kein Wunder, ist der Lehr- und Lernerfolg mässig bis katastrophal, vor allem im Französisch, wo vielen, anders als im Englisch, der Bezug und die Motivation fehlen.
Gerade mal ein Drittel der Schülerinnen und Schüler erreicht die Lernziele, sagt eine Studie aus der Innerschweiz, und wer das nicht glaubt, der soll einmal in eine Klasse sitzen.
Nun wollen also die Lehrer das Rad wieder zurückdrehen und die zweite Fremdsprache in die Sekundarschule verschieben. Das scheint nur konsequent. Wenn man in den letzten zehn Jahren nicht fähig war, die Lehrpläne der Primarschulen so zu entlasten, dass mit wenigstens vier Wochenstunden pro Sprache ein Lernerfolg für die Mehrheit der Schüler realistisch erscheint, dann ist der Mehrsprachenunterricht nicht mehr als eine Farce. Dafür ist die Zeit an den Schulen zu kostbar. Darum scheint die Idee der Initianten, erst auf Sekundarstufe, dafür intensiver mit der zweiten Sprache zu beginnen, der viel bessere Weg.
In der Sekundarschule hat man wenigstens die Möglichkeit, dies in Niveauklassen zu tun. In der Stadt Zürich ist das heute längst nicht überall der Fall. Oft werden aus ideologischen Gründen auch auf dieser Stufe alle Niveaus im gleichen Raum unterrichtet. Damit ist auch gesagt, was als Nächstes kommen sollte: eine ehrliche Gesamtschau der Schulreformen der letzten Jahre und eine Auseinandersetzung darüber, wo neben dem Fremdsprachenunterricht noch Korrekturen nötig wären.

Daniel Schneebeli
Abschaffen heisst Aufgeben.
Nein
Zürcher Lehrerinnen und Lehrer haben eine Volksinitiative lanciert, mit der sie eine Fremdsprache in der Primarschule streichen wollen. Was soll das? Wäre es nicht ihre Aufgabe, die Kinder aufs Leben vorzubereiten, wo Fremdsprachen immer wichtiger werden? Unser Alltag ist durchdrungen von Fremdsprachen, beim Einkaufen, am Arbeitsplatz, in den Ferien sowieso. Sprachen zu lernen, ist die beste Investition in die Zukunft.
Der Unterricht sei erfolglos, sagen die Initianten. Die Kinder seien mit zwei Fremdsprachen überfordert. Aufwand und Ertrag stimmten nicht überein. Die Kinder würden das Gelernte in der Sekundarschule in wenigen Monaten aufholen, heisst es. Besonders schlimm ist es demnach im Französisch. Dort erreicht gemäss einer Innerschweizer Studie nicht einmal die Hälfte die Lernziele.
Da liegt in der Tat etwas im Argen. Auch wenn die Resultate aus anderen Kantonen stammen, in Zürich wären sie kaum besser. Wenn die Initianten jetzt vorschlagen, das Fach wegen Erfolglosigkeit gleich ganz zu streichen, liegen sie aber falsch. Dass Lehrkräfte den Weg des geringsten Widerstandes vorschlagen, kann man ja aus ihrer Warte noch verstehen. Doch ein gutes Licht auf ihr Engagement wirft dies nicht. Es ist schliesslich erwiesen, dass die Qualität des Unterrichts der entscheidende Faktor für die Leistung der Schüler ist.
Fremdsprachen gehören zum Kernauftrag der Schule. Wenn die Leistungen nicht stimmen, ist der Unterricht zu verbessern und nicht der Inhalt zu streichen. Gerade im Französisch gibt es erfolgreiche Austauschprogramme mit Klassen aus der Romandie. Austauschprogramme könnte man auch an den Pädagogischen Hochschulen forcieren. Womöglich braucht es mehr Lektionen, Halbklassenunterricht oder bessere Lehrmittel. Es gibt viele Ansätze, wie man den Unterricht verbessern könnte. Die Abschaffung einer Sprache käme einer Kapitulation gleich.
Ein grosses Manko der Initiative ist, dass sie nicht festlegt, welche Fremdsprache wegfallen soll. Der Handlungsbedarf ist in der Landessprache Französisch zwar grösser, wie Aussagen aus der Lehrerschaft und auch die Innerschweizer Studie nahelegen. Doch das getrauen sich die Initianten aus staatspolitischen Gründen nicht zu sagen. Und so zeichnet sich ab, dass Englisch gestrichen würde.
Es gilt, Kinder mit neuen Sprachen bekannt zu machen.
Das wäre erst recht unverständlich. Denn Englisch wurde erst vor zehn Jahren per Volksentscheid eingeführt, und ob es sich im Unterricht bewährt, ist noch unklar. Zudem erinnert man sich mit gemischten Gefühlen zurück an die Englischkurse, die es in vielen Gemeinden gab. Besorgte Eltern schickten ihre Kinder dorthin, um deren Startchancen zu verbessern. Diese Hysterie wünscht sich niemand zurück, schon gar nicht die Sekundarlehrerinnen und -lehrer. Denn vielen Kindern war es in den Anfängerlektionen erst mal langweilig.
Ob bei einem Ja tatsächlich eine Sprache gestrichen wird, ist im Übrigen unsicher. Denn in der Schweiz müssen die Bildungsziele harmonisiert werden, und darum gilt die Regel: zwei Fremdsprachen in der Primarschule. Wenn sich ausgerechnet Zürich nicht mehr daran halten sollte, wäre ein Eingriff des Bundes so gut wie sicher.
So kann nur eines richtig sein: Nein stimmen und weiter zwei Fremdsprachen lehren. Es wird zwar auch mit besserem Unterricht nie fürs perfekte Artikulieren und akzentfreie Sprechen reichen. Doch das kann in der Primarschule auch nicht das Ziel sein. Hier gilt es, die Kinder mit den neuen Sprachen bekannt zu machen.
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Nur eine Fremdsprache für Primarschüler?
Zwei Meinungen zur Abstimmung vom 21. Mai. Von Arthur Rutishauser und Daniel Schneebeli.