ZoomNur Stillstand ist entschleunigter
Das originellste Kunst-Happening Basels ist das Draisinenrennen. Das gibt es jetzt auch zwischen Buchdeckeln und als App – eine herrliche Hommage.

Das Paradies der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde, sprach der Dichter und hatte natürlich keine Ahnung vom Basler Draisinenrennen. Dieses findet seit 2016 alljährlich auf den Gleisen im Dreispitzareal statt. Künstler, Konstrukteure, Kreative aller Professionen liefern sich dort mit abenteuerlichem Rollmaterial einen Spass-Wettstreit.



Benedikt Wyss und Thilo Mangold, Co-Rennleiter des Happenings, haben einen Fotoband herausgegeben, der den Geist der teilnehmenden Bewegungskünstler spektakulär einfängt. Clou: Eine Augmented-Reality-App verwandelt alle im Buch abgedruckten schwarz-weissen Bilder in Videos.
Um Rekorde geht es hier nur beiläufig, um stieren Siegeswillen am allerwenigsten. Sehr wohl gefragt ist hingegen die Performance am Gleis, das anarchische Happening, die Schönheit des Scheiterns. Manchem Draisinenkutschteam geht es auch darum, das Rad neu zu erfinden. So schickte die Kunsthalle Basel 2017 drei Eisblöcke auf die Schienen. Sie schmolzen noch vor dem Start, sehr zum Vergnügen der Kinder im Publikum. Legendär.

Der Konzeptkünstler Johannes Willi lockte bei der Erstaustragung eine Versicherung als Mäzen mit aufs Gefährt. Eine Draisine war das nicht, bloss ein Brett mit Stuhl auf Bambusstangen, und die 500 Franken Sponsorenbeitrag verteilte er Münze für Münze an die Zuschauer, die ihn mobilisierten, indem sie die Röhren von hinten nach vorn verlegten. So ruckelte der wilde Willi ins Ziel, Durchschnittsgeschwindigkeit: neun Sekunden pro Meter. Das war absoluter Schneckenrekord. Nur Stillstand ist entschleunigter.

Friedrich von Bodenstedt, Urheber des zitierten Pferdeglück-Bonmots, hätte Spass an so einer Performance. Er war Theaterintendant und leistete sich als Orient-begeisterter Bürger des 19. Jahrhunderts selber reichlich kuriose Hobbys.





Stephan Reuter schreibt für das Kulturressort vor allem über Theater, genauso gern über Film, Bücher, Kunst und am liebsten über kreative Menschen. Davor Lektor an der University of Buckingham. Studium der Germanistik, Anglistik und Skandinavistik. Diverse Jury-Tätigkeiten.
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