Ölwechsel im Kunsthaus
Das Kunstwerk «Olivestone» von Joseph Beuys fordert dem Chefrestaurator des Kunsthauses Zürich einiges ab. Und doch wird es verlorene Liebesmüh sein.
Dieses Kunstwerk ist nicht nur zum Anschauen. Es riecht auch. Leicht ranzig. Hanspeter Marty, der Leiter Restaurierung im Kunsthaus Zürich, umrundet mit prüfendem Blick die fünf steinernen Wannen, welche das Werk «Olivestone» von Joseph Beuys bilden. Sie kamen 1992 nach Zürich, als Geschenk der Baronessa Lucrezia de Domizio Durini. Zum Zuge kam das Kunsthaus Zürich aus Dankbarkeit dafür, dass die Baronessa am Universitätsspital von einer schweren Krankheit geheilt worden war.
«Con grande gioia» nahm die Zürcher Kunstgesellschaft damals das Geschenk entgegen. Eine Floskel war das nicht, denn «Olivestone» war der erste Beuys für das Kunsthaus – und es handelt sich um eines der wichtigsten Werke des sechs Jahre zuvor verstorbenen Künstlers. Und wie heisst es doch: Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul.
«Die Konservation dieses Werkes ist eine Herausforderung», sagt Björn Quellenberg, Mediensprecher des Kunsthauses. Zumal die Veränderung, ja gar der Verfall des Kunstwerkes in gewisser Weise Teil davon ist. Dieser Herausforderung stellt sich Hanspeter Marty seit 25 Jahren. Und Marty stellt fest: Es ist wieder einmal Zeit für einen Ölwechsel.
Feinstes Öl, extra vergine
Der Bildhauer und Aktionskünstler Joseph Beuys (1921–1986) hatte die Kalksteinwannen in Bolognano in den südlichen Abruzzen entdeckt, in einem Wirtschaftsgebäude des Palazzos der mit ihm befreundeten Familie Durini. Er füllte die Wannen, die im 18. Jahrhundert zum Dekantieren von Olivenöl im Gebrauch waren, mit Steinquadern und Olivenöl. Mit feinstem toskanischem Olivenöl, extra vergine. Der leicht poröse Stein soll sich über die Jahrhunderte mit dem Olivenöl vermengen, ein Symbol für die sich stets erneuernde Natur.
Nur: Olivenöl ist nicht so lange haltbar – daher der leicht ranzige Geruch im Raum. Alle drei bis vier Monate braucht das Werk einen Ölwechsel, einen kleinen Service, alle drei bis vier Jahre einen grossen. Mit einem feinen Strahl giesst Hanspeter Marty das frische Olivenöl auf die Steine. Es verteilt sich auf dem Deckel und versickert am Rand. Der Restaurator hat das Kunstwerk in einem Saal im Castello di Rivoli noch so gesehen, wie Beuys persönlich es ausgestellt hatte. «Eigentlich sollten die Wannen immer randvoll sein», sagt er. Doch er ist damit zurückhaltend geworden – «wenn ein Wetterwechsel kommt, überläuft es». Weil sich dann die im Öl eingeschlossenen Luftblasen ausweiten. Und dann werde das Öl an den Schuhen der zahlreichen Besucher im ganzen Kunsthaus ausgetragen.
Beim grossen Service werden in die fünf Wannen etwa 200 Liter Öl eingefüllt – und zuvor etwa 30 Liter abgesaugt. Hanspeter Marty hat dazu mit dem Kollegen Marcel Manderscheid vom technischen Dienst erst austüfteln müssen, wie dieses Absaugen zu handhaben ist. Gewöhnliche Pumpen aus dem Gartenbauzentrum versagten nach kurzer Zeit, weil sie von der Säure des durch Luft und Licht oxidierten Öls angegriffen wurden. Doch auch mit den säurebeständigen Pumpen, die nun zum Einsatz kommen, ist das eine mühsame Arbeit. Sie verstopfen ständig, denn unten hat sich das Öl bereits mit dem gelösten Steinmehl verpappt.
Eine «Riesensauerei»
Das Öl, das Marty jetzt über den Steinquader giesst, versickert schnell. Er erzählt, wie er die fünf Wannen einst für eine Ausleihe an das Museo Reina Sofia in Madrid sorgfältig einpackte, aber nicht bedachte, dass der Lieferantenausgang über eine Rampe führt. Als die Steine in Schieflage gerieten, floss literweise Öl aus und drang durch die Lastwagentür auf die Strasse. «Es war eine Riesensauerei.» Danach wurde jeweils vor dem Transport das Öl abgelassen. Und vor Ort nachgefüllt, was wiederum in Madrid nicht ganz ohne Schwierigkeiten vonstattenging. Marty bestand nämlich darauf, dass nur toskanisches Öl in «seine» Wannen komme – wie das Beuys und die Baronessa einst vorschrieben. Die Spanier sträubten sich lange, betonten die unübertreffliche Qualität ihres heimischen Erzeugnisses, bissen aber bei dem Zürcher Restaurator auf Granit.
Das Kunsthaus bekommt immer wieder Anfragen, ob es «Olivestone» für eine Sonderausstellung ausleihen würde. Zuletzt aus Düsseldorf, wo Beuys seine letzten Lebensjahre verbrachte. Nach reiflicher Überlegung hat man aber entschieden, künftig davon abzusehen. Der Aufwand ist riesig: Zwei Personen sind jeweils während rund acht Wochen dafür tätig: Transport, Aufstellen, Rücktransport, Aufstellen. Und das Risiko einer Beschädigung ist gross.
Nun liegt der angenehme Geruch von frisch geschnittenem Gras im Raum. Hanspeter Marty streift mit dem Finger über die matt glänzende Oberfläche des hellsten der fünf Quader und sagt: «Den kann man bald wie Erdnussbutter aufs Brot streichen.» Trotz noch so sorgfältiger Konservierung sei «Olivestone» nicht zu retten. «In etwa tausend Jahren werden hier fünf Schlammhaufen liegen.» Asche zu Asche, Schlamm zu Schlamm.
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