Opposition gegen Billiganbieter
Eine Allianz aus Ingenieuren und Baumeistern kämpft für ein schärferes Gesetz gegen Tiefpreise bei Beschaffungen – und erhält Support aus bürgerlichen Kreisen.

Einstimmig hat das Tessiner Kantonsparlament letzte Woche beschlossen, bestimmte Staatsaufträge nur noch ans einheimische Gewerbe zu vergeben. Für Bauaufträge bis zu einem Wert von 8,7 Millionen Franken dürfen sich nur noch Schweizer Unternehmen bewerben. Bei Waren und Dienstleistungen gilt die Schwelle von 350'000 Franken. Im Südkanton begründet man das Gesetz damit, dass die heimatliche Wirtschaft gegen die italienische Billigkonkurrenz geschützt werden müsse. In der übrigen Schweiz deuten viele das Gesetz als Ausdruck eines trumpschen Protektionismus. «Ticino first», schrieb der «Blick».
Dabei drängen auch auf Bundesebene namhafte Kreise darauf hin, Billigstanbieter bei öffentlichen Beschaffungen aus dem Wettbewerb auszuschliessen und den Preiskampf generell einzuschränken. Zu ihnen zählt Heinz Marti. Der Präsident des Ingenieurverbands Usic hat letztes Jahr eigens eine neue Organisation ins Leben gerufen, die Allianz für ein fortschrittliches öffentliches Beschaffungswesen (Aföb).
Verständnis für das Tessin
Der Aföb haben sich schon 22 Organisationen aus dem Bereich Architektur, Planung und Ingenieurwesen angeschlossen. Sie alle fordern, dass bei Beschaffungen künftig vermehrt auf die Qualität und weniger auf den Preis geachtet wird. «Ich habe viel Verständnis für den Tessiner Entscheid», sagt Marti. «Es ist ein Hilferuf: Weil die Preisunterschiede zwischen dem Tessin und der Lombardei so massiv sind, wird das einheimische Gewerbe abgewürgt.»
Der Preiskampf habe allerdings nicht nur im Tessin ein schädliches Ausmass angenommen. Die Stundentarife für Ingenieur- und Planerleistungen würden teils nur noch 50 bis 60 Franken betragen. «Ein so scharfer Wettbewerb bei intellektuellen Dienstleistungen ist verheerend», so Marti. Zum einen zwinge dieser Preisdruck zu Minimalismus, womit verunmöglicht werde, dass durch aufwendigere Planungsarbeit insgesamt kostengünstigere Lösungen erzielt würden. Zum anderen leide die Attraktivität des Ingenieurberufs, und der Nachwuchsmangel akzentuiere sich weiter.
Kritiker des Preiskampfs wurden erhört
Für den Gesetzgeber sind Eingriffe in den Wettbewerb allerdings gerade beim Preis knifflig. Wo fängt Dumping an? Wo überwiegt das Interesse der Steuerzahler an einem offenen Wettbewerb und tiefen Preisen? Und welche Markteinschränkungen lohnen sich bei öffentlichen Beschaffungen unter dem Strich? Nicht nur sind diese Fragen kaum in einem Gesetz zu klären. Meist hängen die Antworten davon ab, welches Gut beschafft wird, welche Branche betroffen ist und in welchem Kontext der Handel abläuft. Hinzu kommt, dass die in der Bundesverfassung verankerte Wirtschaftsfreiheit auch die Freiheit des Unternehmers schützt, eine Leistung zu einem Preis unterhalb der realen Kosten anzubieten. Dies kann etwa dann von Interesse sein, wenn eine Firma in einen neuen Markt vorstossen und sich mit Referenzobjekten beweisen will.
Dennoch: Mit der laufenden Revision des Beschaffungsrechts hat Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann die Kritiker des Preiskampfs erhört. Neu soll im Beschaffungsgesetz verankert werden, dass die ausschreibende Stelle bei Anbietern mit ungewöhnlich tiefen Preisen eine Prüfung durchführen kann. Aföb-Co-Präsident Heinz Marti geht das jedoch nicht weit genug. «Um wirkungsvoll gegen Billigstanbieter vorgehen zu können, muss bei ungewöhnlich tiefen Preisen zwingend eine Plausibilisierung des Angebots stattfinden, und unplausible Angebote müssen aus dem Wettbewerb ausgeschlossen werden können.»
Billiganbieter sollen sich erklären müssen
Einzelne Sektionen des Baumeisterverbands wollen sogar noch einen Schritt weiter gehen. David Equey, Chef Rechtsdienst des Waadtländer Baumeisterverbands, etwa lehnt es ab, dass die Beschaffer mit Tiefpreisanbietern das Gespräch suchen können. «Das öffnet Tür und Tor für Nachverhandlungen. So wird es noch attraktiver, mit Dumpingpreisen ins Verfahren einzusteigen.» Equey sieht die Lösung eher in einer Frist, in welcher Anbieter ihre ungewöhnlich tiefen Preise erklären können. «Gelingt es ihnen nicht, ihre Angebote innert zehn Tagen zu begründen, sollten sie automatisch aus dem Verfahren ausgeschlossen werden.»
Andere Ingenieurverbände sehen die Lösung darin, Anbietern mit ungewöhnlich tiefen Preisen in der Bewertung der Offerte nicht die volle Punktzahl zu geben. Dies allerdings würde nicht nur Unternehmen mit aggressiver Preisstrategie treffen, sondern auch Firmen, die dank Innovation tiefere Kosten erzielen.
Spielraum für Verschärfungen
Derzeit liegt die Totalrevision des Beschaffungsrechts, die vorrangig eine Harmonisierung der Rahmenbedingungen und damit eine Stärkung des Wettbewerbs anstrebt, bei der Wirtschaftskommission (WAK) des Nationalrats. Sie wird sich im Mai mit der Vorlage befassen. Erste Wortmeldungen zeigen, dass es Spielraum für Verschärfungen gibt. «Die Tessiner Lösung muss auch auf eidgenössischer Ebene geprüft werden», sagte SVP-Nationalrat und WAK-Mitglied Thomas Aeschi in der «NZZ am Sonntag». Und Jean-François Rime, SVP-Nationalrat und Präsident des Schweizerischen Gewerbeverbands, lobte in der gleichen Zeitung die Tessiner Sonderregelung als «mutige Lösung»: «Wenn die Regel WTO-konform ist, sollten wir sie für die ganze Schweiz einführen.»
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