Parteichefs weisen Junckers Ultimatum einhellig zurück
«Reicht nicht einmal, um Statuten eines Hobbyfussballclubs zu ändern»: Die Reaktionen auf die Frist der EU zum Rahmenabkommen.

Im Ringen um das Rahmenabkommen erhöht EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker das Tempo und den Druck. Vor erst vier Tagen hat er aus Bern einen Brief erhalten, in dem der Bundesrat in drei Punkten Nachbesserungen am Vertragsentwurf verlangt.
Nun hat Juncker bereits zurückgeschrieben – freundlich im Ton, dezidiert im Inhalt: Zwar erklärt er sich bereit zu «ergänzenden Diskussionen» zum Abkommenstext. Abgeschlossen werden müssten diese aber bis in sechs Tagen. Denn am 18. Juni – so Junckers verklausulierte Drohung – findet jene Sitzung statt, an der die EU-Kommission über die Verlängerung der Äquivalenzanerkennung für die Schweizer Börse befindet.
In der Schweiz stösst Junckers Frist auf Ablehnung bis Unverständnis. «In so kurzer Frist können in der Schweiz nicht einmal die Statuten eines Hobbyfussballclubs geändert werden», sagt Pierre-Yves Maillard, Präsident des Gewerkschaftsbundes.
Auch CVP-Präsident Gerhard Pfister vermag nicht zu erkennen, wie in dieser kurzen Zeit die offenen sozialpolitischen Fragen rund um das Rahmenabkommen gelöst werden können. Die Frist der EU sei «lächerlich kurz», findet SVP-Präsident Albert Rösti. «Das kann man nur so interpretieren, dass die EU die Schweiz nicht ernst nimmt oder erpressen will.» FDP-Fraktionschef Beat Walti wertet Junckers Gesprächsbereitschaft zwar positiv. Die Frist hält aber auch er für derart unrealistisch, dass er annimmt, dass die EU kaum eine abschliessende inhaltliche Klärung bis zu diesem Zeitpunkt erwarten könne.
Auch im Umfeld des Bundesrats stösst die extrem kurze Frist auf Erstaunen. Dort kursiert die Vermutung, Juncker könne gar nicht meinen, dass bis in sechs Tagen alle Details geklärt seien. Eventuell wolle Juncker bis dann nur den guten Willen des Bundesrats für eine Einigung spüren.
SP-Präsident Christian Levrat setzt allerdings auch Fragezeichen hinter die Gesprächsbereitschaft der EU. Denn Juncker betont in seinem Brief mehrfach, dass das Rahmenabkommen mit all seinen Zusatzprotokollen und -Erklärungen eine «unauflösliche Einheit» bildeten. Nachverhandlungen seien ausgeschlossen.
«Lieber Ueli»
Die Antwort Junckers an Bundespräsident Ueli Maurer ist freundlich formuliert. «Lieber Ueli», hat Juncker von Hand eingefügt. Das Schreiben läuft aber auf ein Ultimatum hinaus. Brüssel gibt der Schweiz Zeit bis nächsten Dienstag: Die EU-Kommission wolle am 18. Juni «im Lichte der letzten Diskussionen» den Stand der Beziehungen zur Schweiz evaluieren, schreibt Juncker. Die Frist hat mit der Börsenäquivalenz zu tun. Die Sitzung nächste Woche ist der letzte Termin, bei dem die EU die Weichen für eine Verlängerung stellen könnte.
Juncker formuliert die Bedingungen für eine Verlängerung mehr oder weniger deutlich: Er sei offen für «ergänzende Gespräche» zum Abkommen und bereit, «alle Zweifel zu zerstreuen», so der EU-Chef mit Blick auf Schweizer Fragen zu Lohnschutz, Unionsbürgerschaftsrichtlinie und Staatsbeihilfen. Der «Perimeter» dieser Gespräche müsse aber klar sein. Die Klarstellungen müssten «Wort und Geist» des Gesamtpakets aus Rahmenabkommen, Protokollen und Annexen respektieren. Nachverhandlungen werde es nicht geben.
Einige Schweizer Akteure sind schon durch diese Passagen im Brief negativ überrascht. «Möglicherweise waren wir in der Schweiz zu optimistisch, was eine rasche Nachbesserung des Abkommens angeht», sagt SP-Präsident Christian Levrat. «Wir sollten uns auch auf lange Diskussionen vorbereiten.»
Doch Juncker drängt zur Eile: Das Verhandlungsteam der EU stehe bereit. In EU-Kreisen hiess es, ein Schweizer Unterhändler werde bereits heute in Brüssel erwartet. «Es ist essenziell, dass diese Übung in den nächsten Tagen zu einer Einigung über die endgültigen Texte dieser Präzisierungen führt», so Juncker weiter. Diese Präzisierungen könnten in Form von gemeinsamen Erklärungen erfolgen.
Positivere Elemente in Junckers Brief
Fast zeitgleich zur Veröffentlichung des Briefs hat die EU-Kommission die Mitgliedstaaten informiert. Auf Expertenebene tagte die sogenannte Efta-Arbeitsgruppe, während die EU-Botschafter von einem Mitglied aus dem Juncker-Kabinett ins Bild gesetzt wurden. Die Botschafter hätten die Präsentation kommentarlos zur Kenntnis genommen, hiess es.
EU-Diplomaten werteten dies als Zeichen, dass die Mitgliedsstaaten den Kurs Brüssels vorbehaltlos unterstützten. Die Schweiz könne nicht erwarten, Unionsbürgerschaftsrichtlinie oder Lohnschutz vom Rahmenabkommen auszuklammern, hiess es aus der Efta-Arbeitsgruppe. Und die Frage der Staatsbeihilfen müsse die Schweiz intern zwischen Bund und Kantonen klären.
Pierre-Yves Maillard erwartet, dass der Bundesrat Brüssel mitteilt, dass das Abkommen in seiner jetzigen Form weder im Parlament noch in einer Volksabstimmung eine Mehrheit habe. Am letzten Freitag habe die Regierung diese Botschaft womöglich nicht deutlich genug vorgetragen. «Wenn der Bundesrat dies nicht tut und es keine Verbesserungen in Bezug auf den Lohnschutz gibt, dann werden die Gewerkschaften beginnen, ihre Kampagne gegen dieses Abkommen vorzubereiten.»
Die breite Empörung über die kurze Frist überdeckt positivere Elemente in Junckers Brief. So hat man im Umfeld des Bundesrats etwa erfreut registriert, dass Juncker keinen seiner drei Klärungswünsche von vorneherein zurückweist. Als positives Zeichen interpretieren könne man auch, dass der EU-Chef zu den flankierenden Massnahmen schreibt, die «soziale Dimension» der Personenfreizügigkeit sei ihm ebenso wichtig wie dem Bundesrat.
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