Patienten müssen weiter bangen
Der Bund hat die Vergütung von teuren Medikamenten für seltene Krankheiten klarer geregelt. Den Betroffenen bringt dies aber kaum Verbesserungen.

Die Behandlung von seltenen Krankheiten geht ins Geld. Meist gibt es für eine Krankheit nur ein wirksames Medikament, und die fehlende Konkurrenz treibt den Preis in die Höhe. Schliesslich sind die Therapien auf Dauer ausgelegt. Immer häufiger kommt es wegen der hohen Kosten zu Auseinandersetzungen zwischen Patienten und ihrer Krankenkasse. Und diese beschäftigen vermehrt die Gerichte. So auch im Fall von Laura K. (Name geändert). Die 33-jährige Tessinerin hat eine schwere Form der Lichterkrankung (Erythropoetische Protoporphyrie). In der Schweiz sind gerade mal rund 60 Personen davon betroffen. Ohne Behandlung bleibt ihnen nur ein Leben im Schatten und in abgedunkelten Räumen. In der Sonne müssen sie sich vermummen oder mit einem Schirm schützen. Jeder Sonnenstrahl führt sonst zu heftigen, manchmal tagelangen Schmerzen oder gar Verbrennungen auf der Haut. Sonnenschutzmittel nützen nichts, Schmerzmittel bringen keine Linderung.
Während mehrerer Jahre bekam Laura K. von ihrer Krankenkasse das einzige Medikament bezahlt, das hilft: Scenesse. Es ist in der Schweiz nicht zugelassen, aber von der Europäischen Arzneimittelbehörde und darf deshalb importiert und verschrieben werden.
Dann, im vergangenen Jahr, erhöhte der australische Hersteller den Preis von Scenesse auf das Dreifache. Eine Behandlung kostet nun pro Jahr rund 75'000 Franken. Zu viel, befand die Kasse: Der Preis sei im Vergleich zum Nutzen des Medikaments nicht gerechtfertigt. Sie stoppte deshalb die Zahlungen. Andere Kassen taten dasselbe. Aber nicht alle. Einzelne waren bereit, auch für die erhöhten Kosten aufzukommen.
«Es wird nie günstige Medikamente für seltene Krankheiten geben, die Zahl der Patienten ist dafür viel zu gering.»
Da es um Leistungen der Grundversicherung geht, hätte Laura K. zu einer Kasse wechseln können, die Scenesse bezahlt. Nur: Eine Garantie, dass die neue Versicherung nicht plötzlich ihre Vergütungspolitik ändert, gibt es nicht.
Laura K. wehrte sich vor dem Tessiner Versicherungsgericht gegen den Entscheid ihrer Versicherung. Dieses gab ihr im vergangenen September recht und verpflichtete die Krankenkasse, weiterhin die Kosten für die Behandlung zu übernehmen. Es sei erwiesen, dass die junge Frau nur dank Scenesse ein normales Leben mit Sozialkontakten führen könne. Darauf habe sie ein Recht. Die Freude über das Urteil war indes nur vorübergehend, denn die Versicherung zog dieses ans Bundesgericht weiter. Dort ist der Fall noch hängig.
Vorsichtiger Optimismus
Nun treten per 1. März neue Verordnungsbestimmungen in Kraft. Sie sollen laut Bundesrat die Vergütung der teuren Arzneimittel klarer regeln. In der Verordnung steht, dass die Versicherer für in der Schweiz nicht zugelassene Medikamente – wie eben Scenesse – die Kosten vergüten, «zu denen das Arzneimittel aus dem Ausland importiert wird».
Beim Interessenverband der Lichtkranken, der Schweizerischen Gesellschaft für Porphyrie, gibt man sich vorsichtig optimistisch: Die neue Bestimmung könne dazu führen, dass jene Kassen, die Scenesse allein wegen des gestiegenen Preises nicht mehr zahlten, nun wieder dafür aufkommen.
Ist der Optimismus gerechtfertigt? Redaktion Tamedia hat bei einzelnen dieser Kassen nachgefragt. Die Antworten sind vage. Die Versicherer räumen zwar ein, dass ihnen künftig nichts anderes übrig bleibe, als den Importpreis zu vergüten. Man werde aber weiterhin jeden Einzelfall prüfen, bevor man entscheide, ob man zahle oder nicht. Denn daran ändert sich nichts: Auch künftig müssen die Kassen für die Medikamente nur aufkommen, wenn die «Kosten in einem angemessenen Verhältnis zum therapeutischen Nutzen stehen», heisst es in der Verordnung. Das gilt nicht nur bei importierten Medikamenten, sondern auch bei solchen, die in der Schweiz zugelassen, aber nicht für eine bestimmte Krankheit vorgesehen sind. Wenn Ärzte solche Medikamente gegen schwere, seltene Krankheiten verschreiben wollen (Off Label Use), brauchen sie das Okay der Kasse.
Die einzelnen Krankenkassen entscheiden weiterhin, ob sie für die Medikamente aufkommen oder nicht.
Neu ist, dass die Versicherung ihren Entscheid zwei Wochen nach Eingang des ärztlichen Gesuchs fällen muss. Bis anhin gab es keine solche Frist, was in der Vergangenheit zu teilweise langwierigen Auseinandersetzungen zwischen Patienten, Ärzten und Versicherungen geführt hatte.
Die limitierte Entscheidungsfrist sei die einzige konkrete Verbesserung für Patientinnen und Patienten, heisst es bei Pro Raris, der Allianz für seltene Krankheiten. Stossend sei, dass weiterhin die einzelnen Krankenkassen entscheiden, ob sie für die Medikamente aufkommen oder nicht. Damit bleibe das Problem der Willkür und der Ungleichbehandlung von Patienten bestehen. Der Bundesrat habe es verpasst, gleichzeitig mit der Revision der Verordnung auch einheitliche Standards für die Beurteilung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses zu verlangen. «Die Kassen beschliessen einfach nach Absprache mit ihren Vertrauensärzten. Dabei haben diese oft gar nicht die erforderlichen Kenntnisse über die einzelnen seltenen Krankheiten, um den Nutzen einer Therapie beurteilen zu können», sagt Rocco Falchetto, Präsident der Gesellschaft für Porphyrie.
Beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) will man diese Kritik nicht gelten lassen. Man gehe davon aus, dass die Vertrauensärzte über die nötige Ausbildung verfügten und sich regelmässig mit anderen Ärzten austauschten, sodass sie in der Lage seien, über den Nutzen einer Therapie zu befinden. «Aber es ist nun mal so, dass verschiedene Ärzte ein und dieselbe Sache unterschiedlich beurteilen können», sagt Jörg Indermitte, Co-Leiter der Sektion Medikamente im BAG. Mit einheitlichen Kriterien liesse sich das nicht aus der Welt schaffen.
Den Patientinnen und Patienten, die von ihrer Krankenkasse einen abschlägigen Entscheid bekommen, bleibt auch in Zukunft nur der Gang ans Gericht, um sich zu wehren. Das ist nicht nur zeitraubend, sondern aufwendig und kostspielig. Nicht jeder und jede kann sich das leisten. Auch der Tessinerin Laura K. war dies nur dank der Unterstützung eines befreundeten Arztes möglich. Er half ihr bei der Suche nach einem geeigneten Anwalt und übernimmt auch dessen Kosten.
Einseitige Kritik
Dass die Patienten selber gegen einen negativen Beschluss ihrer Versicherung vorgehen müssen, sei stossend, findet Stefan Heini vom Krankenversicherer Helsana. Doch sind die Versicherer gesetzlich verpflichtet, nur für Leistungen aufzukommen, die wirtschaftlich sind. In der Diskussion um teure Medikamente könnten die Versicherer nur verlieren, egal wie sie entscheiden, so Heini. «Zahlen wir nicht, sind wir die Buhmänner für die betroffenen Patienten. Zahlen wir, so steigen die Gesundheitsausgaben für alle Versicherten, was auch zu Kritik führt.»
Die Versicherer wiederum müssen sich von den Patientenorganisationen vorwerfen lassen, dass sie nur die hohen Preise der Medikamente für seltene Krankheiten anprangerten. Dabei mache deren Anteil an den gesamten Arzneimittelkosten nur rund 3 Prozent aus. Wer von hohen Kosten spreche, müsse auch die vielen teuren Behandlungen erwähnen, die von den Kassen ohne Diskussion übernommen würden.
«Für seltene Krankheiten wird es nie günstige Medikamente geben», betont Rocco Falchetto von der Gesellschaft für Porphyrie. «Die Zahl der Patienten pro Medikament ist viel zu gering, die Kosten für die Entwicklung und die Auflagen der Zulassungsbehörden sind aber sehr hoch.»
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