Dunkle Wolken über dem Springsport
Die vier positiven A-Proben bei Springpferden an Olympia haben die Diskussion um Doping im Pferdesport neu entfacht.
Taifun Nuri brachte dicke Regenwolken, heftige Winde und legte das öffentliche Leben in Hongkong lahm. Ämter, Schulen und die Börse wurden geschlossen, die Beförderung auf dem Land und zu Wasser eingestellt. Sämtliche Flüge, darunter zwei Transporte mit Olympiapferden, sind abgesagt worden. Das düstere Wetter passt zur gedrückten Stimmung am Tag nach dem olympischen Einzelfinal der Springreiter. Die vier mutmasslichen Dopingfälle haben einen Sturm der Entrüstung, Wut und Enttäuschung ausgelöst.
Der Deutsche Christian Ahlmann, der Brasilianer Bernardo Alves, der Ire Denis Lynch und der Norweger Toni Andre Hansen wurden vom Wettkampf ausgeschlossen, nachdem im Blut oder Urin ihrer Pferde die verbotene Substanz Capsaicin gefunden worden war. Zuvor waren je 20 Vielseitigkeits- und 20 Dressurpferde ohne Befund getestet worden. Dass die Dopingfälle im Springen aufgetaucht sind, überrascht Sven Holmberg, den Vizepräsidenten des Weltreiterverbandes FEI, nicht: «Im Springsport geht es um grosse Summen.» Erschreckend ist jedoch, dass von 15 getesteten Pferden mehr als ein Viertel positiv waren. Dass sie alle mit der gleichen Substanz erwischt wurden, spricht für systematische Verwendung.
Vorsätzlich oder naiv gehandelt?
Diese Tatsache überrascht Anton Fürst, Leitender Oberarzt an der Pferdeklinik der Universität Zürich, aus zwei Gründen: «Es ist seit einem Jahr bekannt, dass auf Capsaicin getestet wird». Der relativ schwache Wirkstoff sei ausserdem nicht mit klassischen Dopingmitteln wie Epo oder Anabolika vergleichbar. Bevor es auf die Dopingliste kam, waren Salben und Gels mit Capsaicin bei Tierärzten beliebt zur Therapie von Schwellungen und Entzündungen. Problematisch wird Capsaicin dann, wenn es zum «chemischen Barren» eingesetzt wird. Dabei wird die Haut durch Einreiben der Substanz in hoher Konzentration so gereizt, dass das Pferd die schmerzenden Beine höher über die Hindernisse hebt. «Das stufe ich als schweres Vergehen ein», sagt Fürst.
Der erwischte Lynch bestreitet diesen Tatbestand. Er will mit der Salbe nur die Rückenmuskeln seines Pferdes Lantinus aufgewärmt haben. Ob das angesichts von Temperaturen über 35 Grad in Hongkong nötig war, sei dahingestellt. Auf der Dose des Produkts Equi-Block, das der Ire für sein Pferd verwendet hat, steht: «will absolutely not test positive». Für die Herstellerfirma dürfte dies möglicherweise Folgen haben, der Reiter, der wie die übrigen drei Reiter vom Olympiafinal ausgeschlossen worden war, spürte sie bereits. Ob Lynch und die drei anderen betrogen haben oder nur naiv waren, wird wohl auch das FEI-Tribunal nicht herausfinden.
Fälle wie diese zeigen aber auch die Unsicherheiten auf, die hinsichtlich der medikamentösen Behandlung von Pferden bestehen. Reiter, Pferdepfleger und Veterinäre wandeln auf einem schmalen Grat. Denn die sogenannte Nulltoleranz-Politik, welche die FEI im Bezug auf verbotene Substanzen seit rund 30 Jahren betreibt, ist eine Utopie. Die Messverfahren sind heute so gut, dass selbst eine Jahre zurückliegende Medikation nachgewiesen werden kann. Wird ein krankes Pferd behandelt und tauchen später Spuren der Medikamente bei einer Analyse auf, wird dies als Doping gewertet.
Der Weltverband versucht zwar, die Abgrenzung zwischen Medikation und Doping zu ziehen und Schwellenwerte festzulegen. Um Doping oder verbotene Medikation «aus Versehen» künftig einzuschränken, hat die FEI bereits eine Liste mit den Abbauzeiten einiger gebräuchlicher Medikamente veröffentlicht. Diese umfasst jedoch erst eine Hand voll Produkte: Nulltoleranz ist für den Verband billiger als das aufwändige Feststellen von verbindlichen Schwellenwerten.
Pferdesport auf der Abschussliste?
Die neuen Dopingfälle in Hongkong könnten sich katastrophal auswirken. Das IOK hat angekündigt, die Olympischen Spiele zu entschlacken. Wegen der hohen Kosten gilt der Pferdesport seit Jahren als Streichkandidat. Doping sieht man nicht gerne bei Olympia, und in Südchina sind die Reiter zu Wiederholungstätern geworden. Bereits in Athen waren vier Pferde positiv, zweimal ging deswegen Gold verloren: Der Einzelsieger Cian O'Connor musste seine Medaille zurückgeben, weil er sein Pferd mit Psychopharmaka behandelt hatte. Die deutsche Equipe verlor Gold, nachdem Ludger Beerbaum disqualifiziert worden war. Er hatte die Behandlung seines Pferdes Goldfever mit einer kortisonhaltigen Salbe nicht angemeldet.
Noch in Hongkong versprach FEI-Vizepräsident Holmberg, die Dopingprozeduren zu überarbeiten und die Zahl der zu testenden Pferde zu erhöhen. Massnahmen wurden schon nach Athen angekündigt. Durch ihre gradlinige Dopingpolitik fiel der Pferdesportverband allerdings bisher nicht auf, dafür mit Verfahren, die von Formfehlern geprägt waren, und Dopingsündern, die sich freikaufen konnten.
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