Pfeift das Bundesgericht die Kantone zurück?
Zu den lautesten Befürwortern der USR III gehören die Kantone. Beschwerden gegen ihre Intervention im Abstimmungskampf machen die Reform nun aber zum Gerichtsfall.

«Die Reform ist weder ein Fass ohne Boden noch ein überladenes Fuder.» Mit diesen metaphernreichen, aber faktenarmen Worten wird für die Unternehmenssteuerreform III geworben. Die Aussage wurde aber nicht etwa in der «Abstimmungsarena» (die heute Abend ausgestrahlt wird) gemacht, sondern in einer behördlichen Mitteilung, nämlich einer Medienmitteilung der Finanzdirektoren-, Volkswirtschaftsdirektoren- und Kantonsregierungskonferenzen. Auch sonst haben sich viele Vertreter der Kantonsregierungen wenig Zurückhaltung auferlegt und weibeln an Medienkonferenzen und in Interviews für ein Ja.
Stefan Thöni, Co-Präsident der Piratenpartei, wirft den Parteien deshalb vor, sich unerlaubterweise in einen Abstimmungskampf auf nationaler Ebene eingemischt zu haben. Der Informatiker hat eine Stimmrechtsbeschwerde an den Regierungsrat seines Wohnkantons Zug erhoben und sammelt nun Geld, um die Gerichtskosten für einen Weiterzug der Beschwerde ans Bundesgericht tragen zu können. Eine gleichlautende Beschwerde hat auch Severin Bischof von der St. Galler Piratenpartei beim dortigen Regierungsrat eingereicht.
Kantone müssen besonders betroffen sein
Gelangen Thöni, Bischof und allfällige weitere Beschwerdeführer ans Bundesgericht, wäre dieses gezwungen, mehr Klarheit darüber zu schaffen, inwiefern die Kantone in nationalen Abstimmungskämpfen mitmischen dürfen. Erst im vergangenen Dezember hat das Bundesgericht einen ersten Grundsatzentscheid zu der Frage gefällt. Es entschied, dass die Ostschweizer Polizei- und Justizdirektoren zu Unrecht Position zugunsten des neuen Nachrichtendienstgesetzes bezogen hatten. Im selben Urteil befand es aber auch, dass sich der Kanton Zürich zu Recht zur Vorlage geäussert hatte. Den entscheidenden Unterschied sah es darin, dass der Kanton Zürich als Standort wichtiger Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur wie dem Flughafen Kloten ein besonderes Interesse an wirksamem Schutz vor Terrorismus habe. Die Ostschweizer Kantone seien hingegen von der Vorlage nicht besonders betroffen gewesen. Weiter hielt das Bundesgericht fest, dass die Ostschweizer Polizei- und Justizdirektoren nicht das zuständige Gremium gewesen wären, um die Haltung der Kantone kundzutun. Auf den Entscheid berufen sich auch Thöni und Bischof. Die Kantonskonferenzen seien nicht berechtigt gewesen, sich zu äussern. Zudem seien nicht alle Kantone besonders betroffen, weshalb sie sich nicht alle einmischen dürften.
Wie das Bundesgericht seinen Entscheid vom Dezember auf den jetzigen Abstimmungskampf im Detail anwenden wird, ist nach Ansicht von Staatsrechtlern ungewiss. Felix Uhlmann von der Universität Zürich ist der Ansicht, dass das Bundesgericht «die Grenze recht eng gezogen» habe, indem es in jedem Fall eine besondere Betroffenheit der Kantone verlange und dabei nicht danach differenziere, ob sich die Kantone bloss in einer Medienmitteilung äusserten oder für den Abstimmungskampf öffentliche Mittel einsetzten. Für Markus Schefer von der Universität Basel lässt das Urteil vom Dezember zwei Lesarten offen. Nach der ersten, die wohl im Vordergrund stehe, dürfen Kantone nur dann Position zu nationalen Abstimmungsvorlagen beziehen, wenn sie von diesen stärker betroffen sind als die restlichen Kantone. «Das würde bedeuten, dass im jetzigen Abstimmungskampf nur jene Kantone intervenieren dürfen, die aufgrund ihrer Wirtschaftsstruktur mit erheblich stärkeren Auswirkungen zu rechnen haben als andere Kantone.» Nicht auszuschliessen ist laut Schefer aber auch eine zweite Lesart, wonach alle Kantone Position beziehen dürfen, wenn sie generell ganz intensiv betroffen seien. Diese Frage sei seiner Meinung nach noch nicht endgültig entschieden.
Ohne Kantone lassen sich Folgen kaum abschätzen
Die Unternehmenssteuerreform ist eine besondere Vorlage, weil sich ihre Auswirkungen gar nicht beurteilen liessen, wenn die Kantone nicht bekannt gegeben hätten, wie sie ihre Steuersysteme anzupassen gedenken. Der Informationsstand der Bevölkerung wäre ohne Stellungnahmen der Kantone also wohl schlechter. «Zu sagen, dass sich die Kantone nicht zu den Auswirkungen der Vorlage auf ihre eigene Situation äussern dürfen, wäre sehr streng», sagt deshalb auch Uhlmann. Sein Fakultätskollege Andreas Kley pflichtet ihm da bei: Da die Kantone die Reform nicht zur umzusetzen hätten, sondern auch bei ihren Einnahmen sehr stark betroffen seien, sei es vertretbar, dass sie ihre Haltung hierzu äusserten. Schefer gibt ausserdem zu bedenken, dass den Behörden unter Umständen gar eine Pflicht zukommen könne, Fakten bereitzustellen, wenn diese andernfalls nicht zur Verfügung stünden.
Von Bedeutung ist denn auch, wie sich die Kantone zur Vorlage äussern. Nach der schon lange geltenden Rechtsprechung des Bundesgerichts dürfen Behörden nur korrekt, transparent und verhältnismässig informieren – nicht aber Propaganda betreiben. Die Grenze dazwischen ist im Einzelfalls schwer zu ziehen. Für Schefer ist entscheidend, dass die Behörden sachlich darlegen, wie sie zu ihrer Position gekommen sind. «Der Staat darf nur zur Meinungsbildung der Bürger beitragen – nicht aber versuchen, mit schlagwortartiger Propaganda seine Position durchzusetzen.»
Eine Aufhebung ist unwahrscheinlich
Direkte Folgen auf die Unternehmenssteuerreform werden die Beschwerden aller Voraussicht nach nicht haben – auch wenn dem Bundesgericht die Einmischung der Kantone zu weit gehen sollte. Eine Volksabstimmung hebt das Bundesgericht nur auf, wenn der gerügte Mangel mit einiger Wahrscheinlichkeit das Ergebnis der Abstimmung beeinflusste. Die Reform müsste also sehr knapp angenommen werden – und das Bundesgericht das Verhalten der Kantone als eine sehr folgenreiche Einmischung in die Abstimmungsfreiheit der Bürger erachten. Andernfalls wird das Bundesgericht die Intervention der Kantone höchstens rügen – die Beschwerden aber abweisen.
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