Landwirtschaft der Zukunft Plötzlich dürfen Gentech-Befürworter hoffen
Ein überraschender Entscheid, eine neue Allianz – und schon ist nicht mehr sicher, ob das Parlament das Gentech-Moratorium ohne Ausnahmen verlängern wird.

Es war wie immer. Im September verlängerte der Nationalrat mit grosser Mehrheit das Moratorium für den kommerziellen Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen in der Landwirtschaft, um weitere vier Jahre bis Ende 2025. Seit 2005 besteht das Verbot, erlaubt sind nur Feldversuche zu Forschungszwecken. Es war die insgesamt vierte Verlängerung.
Die Zustimmung des Ständerats, der das Geschäft am Donnerstag berät: nur noch eine Formsache? Mitte November hat seine vorberatende Wissenschaftskommission die Verlängerung bestätigt. Doch dann geschah etwas, womit kaum jemand gerechnet hatte: Eine knappe Mehrheit entschied, neue gentechnische Verfahren wie die Genom-Editierung vom Moratorium auszunehmen – genau das also, was Politiker aus FDP und GLP im Nationalrat vergebens gefordert hatten. Zudem verlangt die Kommission einen Bericht über die Möglichkeiten der neuen Gentechnik.
In der 13-köpfigen Wissenschaftskommission sitzen drei Freisinnige und kein Grünliberaler. Es müssen sich also Vertreter anderer Parteien auf die Seite von FDP und GLP geschlagen haben. Einer davon ist just der Präsident der Kommission: «Wir können nicht reflexartig alle vier Jahre das Moratorium verlängern», sagt Ständerat Hannes Germann. Das sind neue Töne aus dem Mund des SVP-Politikers. Er gehört, wie etwa Nationalrat Martin Bäumle (GLP), zu jenen Parlamentariern, die ihre Meinung justiert haben. Die Ausgangslage habe sich verändert, so Germann.
Was meint er damit? Zum einen: Die Forschung macht Fortschritte, 2020 haben zwei Wissenschaftlerinnen für die Entwicklung der Genschere Crispr/CAS den Nobelpreis für Chemie erhalten, auch drängt in der Schweiz ein Verbund aus Forschern auf eine Auflockerung des Gentech-Moratoriums. Zum anderen: Die Gesellschaft wünscht eine nachhaltigere Landwirtschaft, das Parlament will die Risiken des Pestizideinsatzes bis 2027 halbieren. Und schliesslich: Der Klimawandel befeuert die Notwendigkeit, Pflanzen an neue Begebenheiten besser anpassen zu können. «Wenn wir das Moratorium verlängern», sagt Germann, «verpassen wir womöglich eine grosse Chance.»
«Das Moratorium um weitere vier Jahre zu verlängern, ist keine Zukunftsstrategie.»
Verändert hat sich die Ausgangslage auch, weil nach dem Entscheid des Nationalrats ein neuer Akteur die Bühne betreten hat: der Verein «Sorten für morgen», eine Allianz, welche die ganze Lebensmittelkette abdeckt. Mit dabei sind unter anderen die Detailhändler Coop und Migros, die Agrargenossenschaft Fenaco, das Konsumentenforum sowie die Obst-, Gemüse und Kartoffelproduzenten. «Das Moratorium um weitere vier Jahre zu verlängern, ist keine Zukunftsstrategie», sagt Präsident Jürg Niklaus. Die Landwirtschaft müsse den ökologischen Fussabdruck reduzieren und brauche dafür taugliche Werkzeuge. Die Genschere Crispr/CAS könne eines davon sein.
Niklaus sagt, eine Zustimmung zum Vorschlag der ständerätlichen Kommission bedeute nicht, dass die Bauern sofort Pflanzen, die mit Genom-Editierung verändert wurden, anbauen dürften. «Aber es würde den nötigen Druck für eine offene, faktenbasierte Debatte erzeugen.» Wie lange ein Bewilligungsverfahren dauern würde, ist unklar. Weil es bislang noch keine Freisetzungsversuche für die Kommerzialisierung in der Schweiz gegeben hat, fehlen entsprechende Erfahrungen.
Bund kann Gesuche sistieren
Der Schweizer Bauernverband (SBV) dagegen bekämpft jedwelche Lockerungsversuche. Pikanterweise sind im SBV Organisationen vertreten, die nun auch im Verein «Sorten für morgen» mitwirken, etwa IP Suisse. SBV-Präsident Markus Ritter sieht keinen Widerspruch. «Innerhalb der Landwirtschaft besteht der Konsens, sich mit der Thematik vertieft auseinandersetzen zu wollen.» Wie, dazu seien die Diskussionen im Gange. Für Ritter liesse es derzeit schlicht «zu viele Fragen offen», wenn der Bund die Genom-Editierung jetzt schon vom Moratorium ausnähme.
Sollten sich National- und Ständerat in dieser Session nicht einigen, läuft das Moratorium Ende Jahr aus. Gesuche für die kommerzielle Freisetzung wären dann theoretisch möglich. Allerdings kann das Parlament im neuen Jahr das Moratorium rückwirkend per 1. Januar 2022 in Kraft setzen. Zudem hat das Bundesamt für Umwelt (Bafu) die Möglichkeit, allfällige Gesuche zu sistieren, bis das Parlament seine Beratungen abgeschlossen hat. Ob es dies auch täte, lässt es offen.
Stefan Häne ist Redaktor im Ressort Inland. Er schreibt und recherchiert zum aktuellen Politgeschehen in der Schweiz.
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